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Sport: Irakisches Sommermärchen

Peter von Becker über den Triumph des Fußballs als Traum von Normalität

Es hat etwas von einer Fata Morgana. Nach weit mehr als tausendundeiner Nacht des Krieges und Terrors feiern die geschundenen Iraker ausgerechnet ein Fußballfest. Im indonesischen Jakarta sind sie, durch ein Kopfballtor ihres Kapitäns Younis Mahmoud gegen Saudi- Arabien der neue Asienmeister geworden. Topographisch sogar eine Art Halbweltmeister, wenn man bedenkt, dass Asien von Japan bis zum Bosporus reicht. Vermutlich hat aber alle Welt kaum geahnt, dass es überhaupt noch eine irakische Nationalmannschaft gibt. Weil es ja schon fast keine irakische Nation mehr gibt. Und nun hören wir, dass dort in Jakarta kein Geisterteam gespielt hat, sondern eine real existierende Gemeinschaft von jungen Sunniten, Schiiten und Kurden, die sich allesamt als Iraker fühlen und so auch feiern lassen.

Jakarta freilich liegt viertausend Kilometer von Bagdad entfernt, wie auf einem anderen Planeten. Trainiert haben sie in Jordanien, der Trainer kommt aus Brasilien (und kehrt gleich dahin zurück), Torschütze Mahmoud lockt jetzt die englische Premier League. Trotzdem verkörpert dieser überraschende Asienmeister eine schöne Utopie – des Nation Building durch eine Nationalmannschaft.

Die Deutschen waren die Hälfte ihrer Teilungszeit offiziell auch nur noch durch eine gemeinsame Olympiamannschaft vereint. Italien, der Fußballgesamtweltmeister, ist eigentlich ein Land der Regionen, das den kalten Bürgerkrieg durch die heiße Seria A, seine erste Fußball-Liga, ersetzt. In internationalen Wettbewerben würde kein Florentiner je für einen Klub aus Mailand die Daumen drücken, und als der HSV einst den Europapokal gegen den italienischen Landesmeister Juventus Turin gewann, las man tags darauf auf römischen Hauswänden: „Grazie Amburgo!“

Nur wenn die Squadra Azurra spielt, sind die Italiener jedesmal eine Nation. Bagdad ist allerdings nicht Rom, und selbst die irakischen Freudenfeuer fordern noch Tote. Doch für einen Moment hat der Fußball erhellt, dass auch im Irak eine andere Identität als die des selbstmörderischen Irsinns existiert und es die Sehnsucht gibt nach einer Normalität, die viel mehr ist als ein Sommermärchen.

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