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Sport: Irgendwo in Örnsköldsvik

Kurz vor dem Polarkreis spielt eines der besten Teams der Welt – Peter Forsberg und das Eishockey sind nach Hause gekommen

Willkommen in Örnsköldsvik: Vor der Flughafenbaracke sind es fünfzehn Grad unter Null, der Wind weht über die verschneite Straße. Peter Forsberg trägt T-Shirt und Sandalen und lächelt den ankommenden Gästen entgegen. Gerade waren die Kanadier da, Belgier, Schweizer und Dänen werden erwartet, ein internationaler Fernsehsender verhandelt über Live-Übertragungen nach Amerika. Alle wollen Peter Forsberg sehen, da muss der Mann schon zum Empfang bereitstehen und wenn auch nur als Pappfigur in Lebensgröße. Willkommen in Örnsköldsvik, 50 000 Einwohner, 300 Kilometer vor dem Polarkreis.

Peter Forsberg ist der beste Eishockeyspieler der Welt. Ein Nationalheld war er schon 1994, mit zwanzig, als er die Eishockey-Nation Schweden in Lillehammer zur ersten Goldmedaille schoss. Die Post widmete ihm eine eigene Briefmarke, und Forsberg ging nach Amerika, in die National Hockey League (NHL). Dort wird zurzeit nicht gespielt, weil sich Gewerkschaft und Liga nicht über einen neuen Tarifvertrag einigen können. Foppa, wie sie ihn in Schweden alle nennen, spielt wieder in der Heimat und hat ein paar Bekannte mitgebracht. Sieben Profis sind direkt aus Nordamerika an den Bottnischen Meerbusen gekommen, drei weitere haben noch vor einem Jahr in der besten Liga der Welt gespielt. Peter Forsbergs Vater Kent, seit dieser Saison Trainer bei Modo Hockey Örnsköldsvik, gebietet über ein Team mit der Erfahrung von 3004 NHL-Spielen. Das kleine Örnsköldsvik hat auf einmal eine der besten Eishockeymannschaften der Welt.

In Russland zahlen eishockeyverrückte Ölmagnaten Fantasiegehälter, auch in der Schweiz und Deutschland wird mehr verdient, und wenn es denn unbedingt Schweden sein muss – es gibt hübschere Gegenden als Örnsköldsvik mit seinen Industriebrachen und Schloten. Im Winter sinkt die Temperatur auf minus 25 Grad, an Weihnachten ist es vier Stunden lang hell. Sonntags ist es schwer, ein geöffnetes Restaurant zu finden. Warum also Örnsköldsvik?

Peter Blomqvist lacht. „Das können Sie nur verstehen, wenn Sie von hier kommen“, sagt der Klubdirektor von Modo Hockey. „Das ist eine Herzensangelegenheit.“ Es sind nicht irgendwelche Profis, die hier den nordamerikanischen Arbeitskampf überbrücken wollen. Fast alle sind sie in Örnsköldsvik groß geworden. Im vergangenen Jahr standen in der NHL 13 Profis unter Vertrag, die ihre Ausbildung bei Modo erhalten hatten. Ein Soziologe hat das „Wunder von Modo“ zum Thema seiner Doktorarbeit gemacht und dabei errechnet: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Stadt mit den Voraussetzungen von Örnsköldsvik in einer Saison 13 NHL-Spieler stellt, liegt bei 1:2 706 620 287.

Das Zentrum des öffentlichen Lebens ist die Kempehallen. Kein Schild weist den Weg zu dem unscheinbaren Flachbau. 5100 Zuschauer passen rein, zehn Prozent der Bevölkerung. Das Eisstadion ist fast immer ausverkauft. Modo Hockey ist kein reicher Verein, das Budget für diese Saison beträgt fünf Millionen Euro. Forsberg verdient in Colorado elf Millionen Dollar pro Jahr. Die Zwillinge Henrik und Daniel Sedin, die in Vancouver schon mit Anfang zwanzig Millionäre wurden, spielen in Örnsköldsvik zum Nulltarif. „Wir zahlen nur die Versicherung“, sagt Peter Blomqvist. „Die beiden wissen, was sie ihrer Ausbildung bei uns verdanken.“

Die perfekte Nachwuchsarbeit, sie ist der Schlüssel zum Geheimnis von Örnsköldsvik. Sonntagvormittag, Kindertraining in der Kempehallen. Die Sechsjährigen gehen aufs Eis. 15 Eishockeyspieler, drei Trainer. Nur die besten Trainer dürfen mit dem Nachwuchs aufs Eis, zuvor absolvieren sie eine Ausbildung, die den Ansprüchen eines schwedischen Hochschulstudiums entspricht. Im Stadtzentrum gibt es ein Eishockey-Gymnasium. Peter Blomqvist war hier Direktor, bevor er den Job bei Modo annahm. In jeder Jahrgangsstufe werden jeweils fünfzehn Spieler ausgebildet, „die stehen zwanzig Stunden die Woche auf dem Eis, das erste Mal morgens um acht“, sagt Anders Mellinder. Er ist tagsüber Lehrer am Eishockey-Gymnasium und abends Kotrainer bei Modos Profimannschaft.

Drei bis vier Nationalspieler bringt der Verein in jedem Jahr hervor, alle wollen sie werden wie Peter Forsberg. Der hat auf einem der ungezählten Weiher rund um Örnsköldsvik seine ersten Kreise gedreht und hatte immer nur eines im Sinn: gewinnen. Sein Vater hat einmal eine Geschichte vom kleinen Peter erzählt, wie der eines Tages weinend nach Hause kam. Seine Mannschaft hatte verloren. Ob er denn kein Tor geschossen habe, wollte der Vater wissen. „Doch, sieben!“

Zwanzig Jahre später sitzt Peter Forsberg nun auf einem roten Schalensitz in der Kempehallen und schaut den Kindern zu. Satinhosen, Turnschuhe, struppiger Vollbart, auf dem Parkplatz vor der Halle steht sein Volvo. Kleine Jungen kommen und bitten um ein Autogramm, vorn auf das Blatt ihrer Eishockeyschläger, wo das weiße Isolierband klebt. Wenn der Schläger neu umwickelt wird – kein Problem, für Kinder hat Forsberg immer Zeit. Vor ein paar Wochen gastierte Modo in der Kleinstadt Mora, gut 200 Kinder standen in der Eiseskälte nach Autogrammen an. Forsberg schrieb geduldig und als seine Kollegen schon längst unter der Dusche standen, schrieb er immer noch. Erst als nach einer halben Stunde der letzte Fan bedient war, ging er in die Kabine.

Mora ist überall in diesen Tagen, in Lulea, Malmö und Stockholm. Die Forsberg-Tour durch Schweden beschert allen Klubs ausverkaufte Stadien, viele verdoppeln die Eintrittspreise, wenn Modo kommt. Auf dem Eis krankt Modo noch ein wenig am Real-Madrid-Syndrom – nicht immer ergeben die besten Spieler die erfolgreichste Mannschaft. Modo steht nur auf Platz sechs, aber Peter Forsberg führt wie selbstverständlich die Scorerliste der schwedischen Elitserien an, mit zehn Toren und zwanzig Vorlagen. Er ist ein begnadeter Schlittschuhläufer, und seine Hände stellen mit dem Stock Dinge an, die das menschliche Auge schwer nachvollziehen kann. Dazu denkt er oft zwei Züge voraus. Manche seiner Pässe sehen zunächst wie Fehlpässe aus, bis sich im letzten Augenblick die Laufwege auf dem Eis so fügen, wie Forsberg sie vorhergesehen hat. Attacken erkennt er so früh, dass es kaum einem gelingt, ihn mit einem Check zu Boden zu bringen. Wie ein Torero auf Kufen dreht er dann seinen Körper, und der Angreifer stürzt ins Leere.

Zweimal hat Forsberg mit Colorado Avalanche den Stanley Cup gewonnen, die begehrteste Eishockey-Trophäe der Welt. Er wird gejagt auf dem Eis, oft spielt seine Reihe gegen die gegnerische Checker-Line, deren Ziel allein das Zerstören des Spiels ist. Vor drei Jahren traf ihn ein gegnerischer Stock in Los Angeles so unglücklich, dass er später beim Abendessen zusammenbrach. Milzruptur, Notoperation. Innere Blutungen hätten Forsberg um ein Haar das Leben gekostet.

Schon damals hat er sich eine längere Auszeit in Örnsköldsvik genommen, ohne Eishockey. Sein Argument damals wie heute: „Ich habe ein Leben nach dem Eishockey. Mein Körper musste in den letzten Jahren viele Schmerzen ertragen. So kann das nicht weitergehen.“ Forsberg hatte die Rückkehr in die Heimat lange angekündigt, da kam ihm der Arbeitskampf in Nordamerika gelegen. Er wäre auch so gekommen, aber zusammen mit den alten Freunden aus der NHL ist es noch mal so schön. 82 Spiele umfasst allein die Vorrunde in der NHL, da wirken die 50 Spiele in Schweden wie eine Regenerationsphase. Ab und zu gibt Forsberg ein Interview im Lokalblatt „Örnsköldsviks Allehanda“, daraus dürfen sich die amerikanischen Zeitungen bedienen. Die „Hockey News“, Zentralorgan des nordamerikanischen Eishockeys, widmete Forsbergs Comeback in Schweden eine Titelstory.

Am Donnerstag verhandeln Gewerkschaft und Liga in Toronto über ein Ende des Arbeitskampfes in der NHL. Peter Forsberg ist es egal, was dabei herauskommt, er hat sich für die gesamte Saison bei Modo verpflichtet. Es gibt genug zu tun in Örnsköldsvik, nicht nur für den Eishockeyprofi. Gemeinsam mit seinem Vater hält er 40 Prozent der Anteile an der neuen Eishalle, die auf dem Gelände des alten Stadthafens entsteht. 20 Millionen Euro kostet das Projekt, in zwei Jahren soll es fertig sein.

Wird er noch einmal in der NHL spielen? Peter Forsberg redet nicht gern und erst recht nicht über dieses Thema, zu oft ist er schon gefragt worden. Ja, er genieße die Ruhe daheim, er könne auch mal abends in einen Pub gehen, ohne die in Amerika üblichen Belästigungen zu erfahren und natürlich sei es schön, die Freunde von früher um sich zu haben. So hofft nun ganz Örnsköldsvik, dass der beste Eishockeyspieler der Welt auf Dauer in sein Haus im Vorort Gullvik zieht. Die Papptafel am Flughafen bleibt erst einmal stehen bis zum Sommer, wenn die Tage in Nordeuropa so lang sind wie nirgends sonst in der Welt und Peter Forsberg durch Örnsköldsvik spaziert, in T-Shirt und Sandalen.

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