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Jubel, Trubel. Ungarns Dzsudzsak brillierte gegen Portugal.

© dpa/Gunther

Island, Österreich, Portugal: Endlich Begeisterung bei der EM

Die letzten Spiele der sonst so zähen Vorrunde versöhnten Europa mit dem Turnier. So viel Spaß hatte diese EM noch nicht gemacht.

Es ging eigentlich gar nicht so sehr um das Siegtor, hat der isländische Nationalspieler Ragnar Sigurdsson erzählt. Später, als er wieder atmen konnte, na ja, eher schnaufen, sein Land hatte ja gerade einen großen Moment hinter sich gebracht. Zum ersten Mal ist Island bei einem großen Turnier am Start und hat sich gleich für die K.o.-Phase qualifiziert. Und das nicht durch die Hintertür als einer von vier besten Gruppendritten. Sondern als Zweiter hinter dem Sensationssieger Ungarn und noch vor Cristiano Ronaldos Portugiesen.

Möglich wurde das durch ein 2:1 über Österreich im Stade de France von Saint-Denis. Das finale Tor fiel tief in der Nachspielzeit, aber als die isländische Bagage zur Party auf den Platz stürmte, stand der Sieg gar nicht mal im Mittelpunkt. Vorbei ist vorbei, was zählt, ist die Zukunft. „England, es ist England, haben die anderen gebrüllt“, so erzählte es jedenfalls der Verteidiger Ragnar Sigurdsson. England! Es geht im Achtelfinale gegen das gelobte Fußballland! Der Traum eines jeden Isländers, „wir sind alle verrückt nach der Premier League“, sagte Islands Trainer Heimir Hallgrimsson. Es war eine kindliche Freude, die um sich griff, und wie schön wäre es doch, wenn sie das gesamte Turnier anstecken könnte.

Nach zwölf drögen Tagen in Frankreich...

Am Mittwochabend hat die EM zum ersten Mal so etwas wie Begeisterung geweckt, einen Spaß am Fußball, wie ihn nach zwölf drögen französischen Tagen kaum mehr jemand für möglich gehalten hätte. Es war ein Abend, der das Schöne am Fußball betonte, das Raue und Archaische, die Lust am Spiel. Das 2:1 der Isländer über Österreich und das 3:3 der Ungarn gegen Portugal versöhnten Europa mit einem Turnier, das schon als gescheitert galt, bevor es so richtig begonnen hatte.

In Saint-Denis lief auf der Tribüne parallel zum Spiel der Isländer gegen Österreicher auf einem Monitor das Duell zwischen Ungarn und Portugal in Lyon. So mancher Zuschauer hatte seine Probleme damit, sich zwischen der realen und der virtuellen Show zu entscheiden. Da war auf dem Rasen die offene Feldschlacht der gar nicht so schlechten Österreicher, die alles, aber auch wirklich alles taten, um das Achtelfinale noch zu erreichen.

Ungarn, der freche Außenseiter

Und auf dem Monitor der freche Außenseiter Ungarn, er büchste dreimal dem ewigen Geheimfavoriten Portugal aus, aber der kam immer wieder zurück, vor allem dank Cristiano Ronaldo, den sie doch auf den Tribünen wegen seines affektierten Gehabes gern auslachen. Aber er ist eben auch ein großartiger Fußballspieler. Ronaldo hat am Mittwoch zwei Tore geschossen und eines vorbereitet, sein Kick zum zwischenzeitlichen 2:2 aus der Luft und hinter dem Standbein wird wahrscheinlich als das schönste Tor des Turniers in die noch zu schreibende Geschichte eingehen.

So viel Spaß hat diese Europameisterschaft in ihrer zähflüssigen Vorrunde zuvor nie gemacht. Bei diesem langweiligen Rasenschach, als keiner verlieren wollte und doch das große Ganze verlor. Zwölf Tage, in denen es um gar nichts ging, weil ja kaum jemand ausscheiden konnte und Mannschaften vor dem Fernseher ins Achtelfinale einzogen, die damit selbst gar nicht gerechnet haben – Nachfragen beantwortet gern Michael O’Neill, der Trainer der sympathischen, aber doch sehr limitierten Nordiren. Die Attraktivität der EM war bis zum Mittwoch gar nicht so weit von einer beliebigen Bundestagsdebatte entfernt. Ist halt irgendwie vorgeschrieben, muss einen aber nicht interessieren. War es ein Zufall, dass an diesem Mittwoch zum ersten Mal während der Europameisterschaft die Sonne über Paris schien und sich der blaue Himmel als Kulisse einschmeichelte? Frankreich hat diesen Impuls gebraucht, und vielleicht kam er gerade zur rechten Zeit.

Endlich wieder Fußball wie man ihn mag

Am Mittwochabend war der Fußball endlich wieder Fußball, mitreißend interpretiert von vier Mannschaften, dreien davon hätte man diese Rolle eher nicht zugetraut. Als die Isländer in der Nachspielzeit das Siegtor gegen Österreich schafften, bebte das Stade de France wie 1998, als Frankreichs Multikulti-Auswahl im WM-Finale Brasilien besiegte. Ein Spiel, das die Massen begeistert, gesegnet mit sympathischen Hauptdarstellern und dem Vorteil, dass niemand vorher weiß, wie es am Ende ausgeht.

Der Fußball kämpft in Frankreich um seine Reputation. Das wird nicht ganz einfach angesichts der Skandale innerhalb der Funktionärskaste, des kommerziellen Diktats und im speziellen Fall eines Modus, den nicht mal seine Hauptdarsteller verstanden. Aber um seine Zukunft stand es schon mal schlechter als am Mittwochabend. Sven Goldmann

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