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Sport: „Ist das typisch für einen geldgierigen Legionär?“

Herthas neuer Stürmer Christian Gimenez über sein schlechtes Image, seine Zeit mit Maradona und seine Arbeit im Strafraum

Herr Gimenez, Sie haben 148 Tore in der ersten Schweizer Liga geschossen, dazu acht in der Champions League, gegen Mannschaften wie Juventus Turin, Manchester United und den FC Liverpool. Warum hat nie ein großer Klub bei Ihnen angefragt?

Gute Frage! Aber die dürfen Sie nicht mir stellen. Fragen Sie doch mal nach bei den großen Klubs!

Vor vier Jahren wollte Sie mal der Hamburger SV verpflichten.

Davon habe ich auch gehört. Aber es gab keine konkreten Verhandlungen. Ich war glücklich in Basel, und es gab keinen Grund für einen Wechsel.

Jetzt sind Sie in Berlin gelandet, bei einer Mannschaft, die mitten in einem Umbruch steckt. Haben Sie die damit verbundenen Probleme nicht abgeschreckt?

Heute haben doch alle Vereine Probleme, na ja, vielleicht nicht alle, aber mindestens 95 Prozent. Ich war und bin überzeugt von dem Projekt, hier mit jungen Spielern etwas aufbauen zu können.

Haben Sie den Namen Marcelinho schon mal gehört?

Einmal? Tausende Male, und nicht erst hier in Berlin. Ein hervorragender Fußballspieler.

Er war bei Hertha eine Überfigur: Torjäger, Spielmacher, Publikumsliebling. Er hat fünf Jahre lang das Spiel geprägt. Vielleicht ein bisschen zu sehr geprägt.

Jeder hat seine eigene Persönlichkeit. Ich kann nur über die Spieler der jetzigen Mannschaft urteilen. Alle sind sehr uneigennützig, jeder bringt sich ein. Ich glaube zu 100 Prozent an diese Mannschaft.

Marcelinho war eine Überfigur für die jungen Berliner Spieler. Sie haben zum Beginn Ihrer Karriere mit der Lichtgestalt des Weltfußballs gespielt. Mitte der neunziger Jahre standen Sie bei Boca Juniors mit Diego Maradona auf dem Platz.

Eine sehr spezielle Erfahrung mit einem sehr speziellen Menschen. Allein der ganze Trubel, immer war das Fernsehen dabei. Boca hatte damals eine sehr gute Mannschaft, mit Kily Gonzalez, Juan Sebastian Veron oder Claudio Caniggia, und als ich 1997 in die Schweiz gewechselt bin, kam noch Juan Riquelme dazu. Maradona stand natürlich über allen.

Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Diego hat viel mit uns geredet, er hat mir auch ein paar Tipps gegeben, aber das Wichtigste war, mit ihm auf dem Platz zu stehen. Verstehen Sie, auf demselben Platz, in derselben Mannschaft wie der beste Fußballspieler der Welt! Er war mein Idol, als ich mit vier Jahren zum ersten Mal bei uns im Hof gespielt habe.

Wie war Maradona in seiner fußballerischen Spätphase? Hat er auf dem Platz noch hart gearbeitet?

Diego Maradona musste nicht mehr zeigen, was er konnte, er war längst eine lebende Legende. Es war aber immer noch ein Vergnügen, ihm zuzuschauen, ihn zu beobachten, wie der den Ball behandelt. Für die Mannschaft war seine Präsenz wichtig, wir wussten: Wir spielen mit Maradona! Aber das Unglaublichste waren die Abende mit ihm.

Sind Sie zusammen um die Häuser gezogen?

Nein, wir haben oft beim Abendessen zusammengesessen und die ganze Nacht geredet, das heißt: Eigentlich hat nur einer geredet. Maradona hat erzählt und erzählt, Anekdoten aus Barcelona, Neapel oder Buenos Aires. Er ist zwar auch nur ein Mensch, aber er hat Geschichten erzählt, die für zehn Leben reichen.

Eine Anekdote, bitte!

Lesen Sie sein Buch „Yo soy El Diego“. Unglaubliche Geschichten, und er hat sie uns allen schon vor zehn Jahren beim Abendessen erzählt.

Auf dem Platz war Maradona eine typische Nummer zehn. Ein Spielmacher, der die Bälle verteilt und die Stürmer einsetzt. Wie wichtig ist so einer für einen typischen Strafraumspieler wie Sie?

Sehr wichtig. Ein guter Stürmer kann immer nur das umsetzen, was ein guter Mittelfeldspieler vorbereitet.

In Berlin gibt es keine Nummer zehn, sondern eine Nummer sieben …

… aber die spielt wie meine perfekte zehn. Yildiray Bastürk ist ein hervorragender Fußballer. Überhaupt hat Hertha eine sehr intelligente Mannschaft.

Wie äußert sich das?

Vor allem in der Art, wie wir miteinander umgehen. Wir reden sehr viel.

Ist das nicht selbstverständlich?

Ja, aber es muss in beide Richtungen funktionieren. Die jungen Spieler müssen bereit sein, sich Kritik von den älteren anzuhören. Sie müssen aber auch selbst Kritik formulieren dürfen. Über einen Fehler muss man reden dürfen. Das klappt bisher sehr gut. Das liegt natürlich auch an dem guten Start. Er gibt den jungen Spielern das Selbstvertrauen, ihre Fähigkeiten einzubringen.

Besteht nicht die Gefahr, dass Ihre Kollegen sich zu sehr auf Sie verlassen?

Ich bin ja nicht der einzige Mann mit Erfahrung. Wir haben Nationalspieler wie Arne Friedrich, außerdem Routiniers wie Dick van Burik und Josip Simunic, dazu passen die vielen jungen Leute. Die Mischung in der Mannschaft ist sehr gut.

Hertha war in den vergangenen Jahren eine Art Sphinx. Die Mannschaft konnte jede andere schlagen, auch die ganz oben, aber sie hat auch gegen schwache Teams auf dilettantische Weise verloren.

Was in der Vergangenheit war, ist nicht mehr von Bedeutung. Ich kann nur für die Gegenwart sprechen und für die Zukunft arbeiten. Hertha ist ein großartiges Projekt. Aber wir alle wissen, wie schwer es ist, nach oben zu kommen. Wir müssen weiterarbeiten.

Was ist mit dieser Mannschaft möglich?

Ich könnte es mir einfach machen und sagen: Hertha steht auf Platz eins, und am Ende gewinnt der Erste die Meisterschaft. Aber so einfach ist es nicht. Die Saison ist vier Spieltage alt. Es ist zu früh für eine seriöse Prognose.

Sie haben in der Schweiz schon Titel gewonnen. Was macht den Unterschied zwischen einer guten und einer meisterlichen Mannschaft?

Man muss zu jedem Zeitpunkt so intensiv spielen, als würde es noch 0:0 stehen. Auch wenn man mit zwei, drei Toren vorne liegt oder 0:1 hinten ist. Immer das Tempo und den Rhythmus halten. Eine Mannschaft, die das beherrscht, hat die Qualität, Titel zu gewinnen.

Mit dem FC Basel waren Sie dreimal Schweizer Meister, aber Ihr Abschied vor einem Jahr war von atmosphärischen Störungen begleitet. Sie wollten unbedingt nach Marseille und deshalb nicht für Basel in der Champions-League-Qualifikation in Bremen spielen.

Ja, ich wollte wechseln. Am Montag, zwei Tage vor dem Bremen-Spiel, stand zu 95 Prozent fest, dass Marseille sich nicht für den Uefa-Cup qualifiziert. Sie hatten das Hinspiel im UI-Cup 0:2 gegen La Coruña verloren. Zu diesem Zeitpunkt war mein Abschied aus Basel von beiden Seiten beschlossen. Ich hätte gern in der Champions-League-Qualifikation geholfen. Aber am Dienstag hat Marseille 5:1 gegen La Coruña gewonnen und sich doch noch für den Uefa-Cup qualifiziert. Wäre ich gegen Bremen aufgelaufen, hätte ich für Marseille nicht international spielen können.

Ohne Sie verlor Basel 0:3, und Sie gelten seitdem als Legionär, der nur nach dem Geld schaut.

Wissen Sie, ich habe ja nicht nur ein paar Monate in Basel gespielt, sondern vier Jahre. Davor war ich genauso lange in Lugano. Ist das typisch für einen geldgierigen Legionär? Und noch etwas: Bevor ich nach Basel kam, hatte der Verein seit 21 Jahren nicht mehr die Meisterschaft gewonnen. Mit mir wurden wir dreimal Meister und einmal Pokalsieger, und ich war dabei nicht ganz unwichtig. Dann kam das Hinspiel gegen Bremen, das wichtigste in diesem Jahr. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch kein Angebot aus Marseille. Wir haben 2:1 gewonnen, und ich musste 90 Minuten lang auf der Bank sitzen. Denken Sie mal darüber nach, ob das Problem nicht vielleicht woanders lag. Es gibt immer zwei Seiten.

In Marseille wurde aus dem Torjäger Gimenez ein Bankdrücker. Sie sind in Frankreich gescheitert.

Ich habe zwar gleich im ersten Spiel ein Tor geschossen, aber ich war in einem körperlich schlechten Zustand. Dazu kam: Ich bin ein Stürmer, der viel im Strafraum arbeitet, ich brauche viele Bälle. Marseille hat aber auf Konter gespielt, da habe ich den Rhythmus nicht gefunden. Auch großartige Stürmer wie Luca Toni und Christian Vieri sind schon in vergleichbaren Situationen gescheitert. Nach der Winterpause hat Marseille zwei neue Stürmer geholt, ich bekam keine Chance mehr. Aber für mein Selbstbewusstsein ist es wichtig, dass ich mich in jeder Woche beweisen kann. Diese Möglichkeit hat man mir in Marseille nicht gegeben. Hier habe ich sie.

Weil in der Bundesliga nicht so schnell gespielt wird wie in Frankreich?

Nein, ganz im Gegenteil. In Deutschland wird viel offensiver gespielt, das kommt mir entgegen. In Deutschland fallen viel mehr Tore als in Frankreich, der Fußball ist viel attraktiver.

Der Leihvertrag mit Marseille läuft ein Jahr, danach kann Hertha Sie für 500.000 Euro kaufen. Oder Sie müssen zurück nach Frankreich.

Um Gottes Willen, ich will auf jeden Fall in Berlin bleiben!

Das Gespräch führte Sven Goldmann

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