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Istaf in Berlin: Die Europameister suchen Bestätigung

Nach den überraschenden Erfolgen der deutschen Sportler in Barcelona kommt jetzt die Spitzen-Leichtathletik zum Istaf nach Berlin: In einigen Disziplinen haben Athleten noch Rechnungen offen.

Drei Wochen nach den Europameisterschaften in Barcelona, bei der die deutschen Athleten unerwartete Medaillengewinne feierten, kommt die Welt-Leichtathletik am Sonntag zurück ins Berliner Olympiastadion. Also dahin, wo sie 2009 bei der WM ein großes Fest feierte. Sie kommt, genau gesagt, in Form von ausgewählten Weltklasse-Athleten. Angekündigt waren bei Redaktionsschluss unter anderem fünf Welt- und sieben Europameister. Eine kleiner Rundgang durch die Höhepunkte des diesjährigen Istaf-Programms.

Hammerwurf Frauen

Natürlich haben auch Hammerwerferinnen ihre Psychospielchen. Kleine Störung der Konzentration? Die andere aus dem Rhythmus bringen? Ist doch kein Problem. Man muss ihr bloß den Hammer wegschnappen, den sie sich bereits zurechtgelegt hat. Ist nicht verboten, aber auch nicht fair. Betty Heidler kennt diese Spielchen ausgiebig. „Ich mache sie aber nicht“, behauptet sie. Bei der EM in Barcelona saß sie nur mit angezogenen Beinen auf dem Boden und beobachtete interessiert die Konkurrentinnen im Ring. Das wirkte aufreizend lässig. Am Ende hatte Heidler Gold gewonnen, vor Tatjana Lysenko, vor allem aber vor Anita Wlodarczyk, der Polin, der Weltrekordhalterin. Ihre stärkste Rivalin.

2009 durchströmten Wellen unglaublicher Glücksgefühle den muskulösen Körper der Betty Heidler aus Frankfurt am Main, geboren in Berlin-Marzahn. Sie stand im Olympiastadion, umgeben von 60 000 Menschen, die für Partystimmung sorgten. Betty Heidler steuerte zielstrebig den Höhepunkt ihrer Glücksgefühle an. Aber sie sollte ihn nie erreichen – daran war Anita Wlodarczyk schuld. Betty Heidler wollte in dieser Atmosphäre Gold holen, das wäre für sie das Größte gewesen. Aber Wlodarczyk warf weiter, sie jubelte so ausgelassen, dass sie sich am Fuß verletzte und nicht mehr werfen konnte. Heidler stieg noch in den Ring, aber Gold war weg. Sie holte Silber.

Und jetzt, in Barcelona bei der EM – Gold. Eine Revanche? Na klar, sagt Heidler lächelnd. „Es ist schon eine Genugtuung, dass sie hinter mir gelandet ist.“

Speerwurf Frauen

Es war ein bisschen Stress, aber er musste sein. Außerdem ist Linda Stahl diesen Stress gewöhnt. Am Vormittag schrieb die Medizinstudentin Stahl an der Uni Köln noch eine wichtige Prüfung, dann setzte sie sich ins Auto. Stunden später kam die Speerwerferin Stahl im Bundesleistungszentrum Kienbaum an. Die Kollegen von der deutschen Leichtathletik-Nationalmannschaft warteten schon. So war das kurz vor der EM, und ein paar Tage später war Linda Stahl aus Leverkusen Europameisterin. Eine Riesenüberraschung, eigentlich wollte Christina Obergföll nach ihrem frustrierenden Jahr 2009 mit Gold ihr großes Comeback feiern. Aber jetzt kam ihr wieder eine Frau aus Leverkusen dazwischen. Bei der WM 2009 hatte ihr Steffi Nerius die Show gestohlen und den Titel gewonnen. „Nicht, dass das jetzt ein Fluch wird“, hatte Obergföll in Barcelona zu Stahl gesagt, es war nur teilweise ein Scherz.

Deshalb ist das Duell Stahl gegen Obergföll, Europameisterin gegen Vize-Europameisterin, nicht nur ein sportlicher Zweikampf. Es geht ein Stück weit auch ums Prestige. Für Linda Stahl ist eigentlich jeder Wettkampf nach Barcelona eine Art Bewährungsprobe. Kann sie das Gold bestätigen? Oder hatte sie nur einen Glückswurf?

Beide Frauen wollen weit werfen, aber für beide ist genauso wichtig, die jeweils andere zu besiegen.

Weitsprung Männer

Christian Reif warf einen Blick auf die Teilnehmerliste, dann pfiff er durch die Zähne. Er war auf den Namen Godfrey Mokoena gestoßen. „Ich wusste, dass ein 8,50-Meter-Springer kommen wird, ich wusste nur nicht, welcher.“ Godfrey Mokoena aus Südafrika, der kommt, der Mann, der eine Freiluftbestleistung von 8,50 Meter aufweist. Das sind drei Zentimeter weiter als Christian Reif aus Ludwigshafen bei der Europameisterschaft in Barcelona gesprungen ist. Jene Weite, mit der er nicht bloß Gold gewonnen hat, sondern sich auch ins Rampenlicht katapultierte. 8,47 Meter, nur sieben Zentimeter unter dem deutschen Rekord.

Es wird also voraussichtlich zum Duell kommen, Mokoena gegen Reif. Sie wird von der Spannung des klassischen Zweikampfs leben, diese Auseinandersetzung. Keiner sollte erwarten, dass Reif wieder in die Nähe der 8,47 Meter kommt, das hält er nach den Belastungen von Barcelona kaum für möglich. Aber darum geht es auch nicht. Für Reif ist es eine Chance, seinen Titel zu bestätigen. Viele hatten ja geglaubt, er sei wie Phönix aus der Asche zum Europameister aufgestiegen, das ist natürlich Unsinn. Reif war Nummer eins der europäischen Rangliste, er hatte eine Saisonbestweite von 8,27 Meter. Er wollte eine Medaille, er wollte sogar Gold, nur mit der Siegerweite, mit der hatte er nicht gerechnet. Wenn er in Berlin im Bereich zwischen 8,20 und 8,30 Meter bleibt, dann darf er sich bestätigt fühlen. Gut springen dürfte aber auch der Brite Chris Tomlinson, der EM-Dritte.

Hürdensprint Frauen

Am Ende flog sie noch auf die Bahn. Carolin Nytra hatte alles versucht, sie hatte sich quasi ins Ziel geworfen, am Ende reichte es zu Bronze über 100 Meter Hürden bei der EM in Barcelona. Mit Gold hatte sie geliebäugelt, aber das war vor allem ein Traum. Ein Traum, seit sie in Lausanne in einem für sie hervorragenden Lauf 12,57 Sekunden gerannt war. Diese Leistung hatte sie in Braunschweig, bei der deutschen Meisterschaft bestätigt mit ihren 12,71 Sekunden. Dass sie noch mal 12,57 Sekunden laufen würde, durfte niemand erwarten.

Aber Carolin Nytra aus Bremen gehört jetzt zur Weltspitze. Sie hat sich zielstrebig und konsequent nach oben gekämpft. Sie hat sehr an ihren Schwächen gearbeitet. Ihre Hauptschwäche heißt Angst. Carolin Nytra hatte nach sieben, acht Hürden Angst, dass sie in die nächste Hürde knallt. Sie war zu schnell zwischen den Hürden, sie hatte Angst, zu nahe aufzulaufen, und deshalb nahm sie Geschwindigkeit raus und verlor ihren Rhythmus. Deshalb arbeitete sie an ihrer Angst. Sie kämpfte erfolgreich. Nun ja, es gibt immer noch Reserven, aber es gibt jetzt Rennen, da läuft sie in ihrem Rhythmus durch.

Ihre größte Rivalin in Berlin wird die US-amerikanische Hallen-Weltmeisterin LoLo Jones werden. Eigentlich sollte auch Jennifer Oeser laufen, die Bronzemedaillengewinnerin von Barcelona im Siebenkampf. Aber Oeser hat aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig abgesagt und ihre Saison beendet.

Diskuswurf Männer

Mit ein bisschen Phantasie kann Robert Harting am Sonntag eine Zeitreise unternehmen. Dann beamt er sich geistig ins Jahr 2009 zurück. Er taucht ein in einen Abend im Sommer, auf den Rängen des Olympiastadions jubeln, klatschen und schreien 60 000 Menschen. Robert Harting stapft in den Diskusring, er konzentriert sich, er dreht sich um seine Achse, er wuchtet die Scheibe mit einem mächtigen Schrei in den Nachthimmel. Aber dieser Schrei ist nichts gegen die Schreie von den Rängen. Robert Harting ist Weltmeister im Diskuswerfen geworden. Die Bilder von seinem Sieg prägen sich ein: seine Urschreie, sein zerrissenes Trikot und dass er auch noch das Maskottchen Berlino schulterte. Auf jeden Fall ein besonderer Abend. „Diese Atmosphäre damals war einmalig. Es war der Wettkampf meines Lebens“, sagt er heute.

Die Atmosphäre heute könnte wieder motivierend werden, nicht so wie bei der Weltmeisterschaft, aber dass man Harting zujubelt, damit ist zu rechnen. Ein Sieg beim Istaf wäre so etwas wie eine kleine Wiedergutmachung. Für Barcelona, für die Silbermedaille. Er wollte Gold, er wollte 70 Meter werfen. „Ich ärgere mich, dass ich die Chance nicht genutzt habe“, sagte er in Barcelona. Jetzt will er sie nutzen.

Sein Dauerrivale Piotr Malachowski aus Polen fehlt zwar aus privaten Gründen im Olympiastadion, aber dafür wirft Virgilius Alekna, der Olympiasieger und Doppel-Weltmeister. Die Bestweite des Litauers steht bei 73,88 Meter, seine JahresBestweite allerdings nur bei 63,73 Metern. In Barcelona belegte er den fünften Platz.

800 Meter Frauen

Caster Semenya darf wieder laufen, das ist für sie die wichtigste Nachricht. Alles andere, ihre Zeiten, ihre Platzierungen, ist dagegen im Moment zweitrangig. Elf Monate lang durfte sie keine Wettkämpfe bestreiten, elf Monate lang konnte der Weltverband IAAF nicht offiziell entscheiden, ob die Überraschungs-Weltmeisterin aus Südafrika über 800 Meter eine Frau oder ein Mann ist. Erst seit ein paar Wochen ist die 19-Jährige wieder startberechtigt, in Berlin läuft sie über 800 Meter unter anderem gegen die EM-Sechste Lenka Masna aus Tschechien. Die Südafrikanerin betrachtet das Istaf auch als Vorbereitung auf die Commonwealth-Spiele im Oktober in Neu-Delhi. Aber das Letzte, was ihr gerecht würde, wäre der Umstand, dass sie auf der Bahn betrachtet wird wie ein exotisches Tier. Sie ist eine Läuferin, die seelisch schwierige Monate hinter sich hat. Sie verdient Applaus und besonderen Respekt.

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