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Italiens Fußballfans demonstrieren gegen staatliche Kontrolle.

© AFP

Italien: Kurve gegen Karte

Italien versucht, die Gewalt in den Stadien mit Fanausweisen in den Griff zu bekommen – doch viele Fans entziehen sich der digitalen Kontrolle und suchen die Konfrontation.

Rauchbomben, Feuerwerkskörper, brennende Autos: Roberto Maroni stand gerade auf einer Bühne bei Bergamo, als ihm 500 Ultras ungewollt Recht gaben. Fünf brennende Wagen, zwei verletzte Polizisten und fünf festgenommene Fans – so lautete die Bilanz ihres Angriffs auf das Parteifest der Lega Nord Ende August. Doch die mit Schals und Mützen vermummten Anhänger Atalanta Bergamos bestärkten in ihrem Protest Italiens Innenminister Maroni nur in einer Überzeugung: dass der Fanausweis eine richtige Entscheidung gewesen ist.

Seit dieser Saison dürfen italienische Fans Dauerkarten und Auswärtstickets nur noch erwerben, wenn sie sich vorher eine Chipkarte besorgen, auf der ihre persönlichen Daten gespeichert sind. Nicht nur im Stadion, schon bei der Anfahrt sind die Anhänger damit kontrollierbar – ein Versuch der italienischen Liga, ihr Gewaltproblem in den Griff zu bekommen. Denn laut Innenministerium haben die Aussschreitungen in der Serie A vergangene Saison um 18 Prozent zugenommen, dazu habe es 24 Prozent mehr Verletzte als im Jahr davor gegeben – in der Zweiten Liga waren es gar 71 Prozent. Auch die 1840 Stadionverbote, die ausgesprochen wurden, änderten daran wenig. Nun also der Fanausweis als letzte Hoffnung. Ein italienischer Sonderweg – oder ein Sicherheitskonzept, das Schule machen könnte, auch in Deutschland?

In Italien schreitet die Digitalisierung des Fanlebens jedenfalls voran. Über eine halbe Million Italiener hat sich den elektronischen Fanausweis bereits zugelegt. Neben der Polizei sind es vor allem die Marketingstrategen der Klubs, die sich darüber freuen. Vereine wie der AC Mailand – mit über 220.000 Fanausweisen der Marke „Cuore Rossonero“ (rot-schwarzes Herz) eindeutiger Spitzenreiter in dieser Wertung – locken mit Punkten, die den Ausweisinhabern bei jedem Stadionbesuch gut geschrieben werden. Die Punkte machten, so ein Milan-Sprecher, die „Treue der Fans sichtbar“. Sie wandeln ein so diffuses Gefühl wie Treue in ein zählbares um. Und da sie als Bezahlkarten einsetzbar sind, zeigen sie auch welcher Fan was kauft. Für Marketingstrategen ist dies ein Traum. Der Inhaber der „Tessera del Tifoso“ wird dafür – analog zu Treuekarten im Kaufhaus – mit Rabatten gelockt: Die italienische Eisenbahngesellschaft gewährt 15 Prozent auf jedes Ticket, das er erwirbt, um von jedem Ort Italiens aus zum Spiel seiner Mannschaft anzureisen. Autobahnraststätten offerieren an den Hauptspieltagen Samstag und Sonntag zehn Prozent Nachlass in ihren Gaststätten. Innenminister Roberto Maroni jubiliert: „Das ist eine wichtige Initiative, um den Fanausweis voranzubringen. Jetzt wird der Fußballfan von einem unerwünschten Gast zu einem privilegierten Kunden.“ Dass sich dank der Karte nachvollziehen lässt, wo und wie der zahlende Fan anreist, trägt dabei sicher auch zur Begeisterung Maronis und der Polizei bei.

Doch an der Plastikkarte führt kaum ein Weg vorbei: Wer dauerhaft Spiele im Stadion besuchen und seinen Klub auch bei Auswärtsspielen begleiten will, wird zum Kauf des Ausweises gezwungen. Jahresabonnements sind nur mit Fanausweis möglich, Tickets im Gästeblock bei Auswärtsspielen ebenfalls.

Fans, die nicht wie die Bergamo-Anhänger auf Randale setzen, drücken ihren Prostest aus, indem sie auf Jahresabos und Auswärtsfahrten verzichten. Dies hat bei den Erstligaklubs bereits zu Einbußen von im Schnitt 20 Prozent geführt. Besonders krass ist der Rückgang in einstigen Fanhochburgen: Nur 4500 Anhänger des SSC Neapel erneuerten ihr Jahres-Abo. Im Vorjahr waren es noch 17.000. Der AS Rom verzeichnet einen Rückgang um 9000 Abos (im Vorjahr noch 24.000), der AC Florenz um 7000 (13.000 statt 20.000).

„Ich kenne keinen, der sein Jahresabo verlängert hat. Wir zahlen doch nicht dafür, dass wir der Polizei Daten übermitteln“, sagt Alessandro, Chef der „Fedayn“, des ältesten Fanklubs des SSC Neapel. Ausnahmsweise sind sich die Ultras und die einfachen Fans dabei diesmal einig. Ugo, seit 20 Jahren nicht organisierter Fan des FC Genua, erneuert ebenfalls sein Abo nicht. „Das ist mehr eine Prinzipien- als eine Sachfrage“, sagt er.

In den letzten Jahren mussten Fans zwar beim Ticketverkauf bereits persönliche Daten wie Wohnsitz, Geburtsdatum und Steuernummer angeben. Die „Tessera“ aber wollen die Anhänger nicht mehr hinnehmen. Um sie zu umgehen, nehmen die Tifosi auch Nachteile in Kauf. Ohne den Ausweis geht vielen der Stammplatz in der Stadionkurve verloren. Die Ultras von Genuas Stadtrivalen Sampdoria sind daher in einen anderen Bereich des Stadions umgezogen. Auch der Besuch von Auswärtsspielen wird schwieriger. „Unmöglich ist das nicht. Du findest ohne Fanausweis bloß keinen Platz im Gästeblock. Normale Tickets kannst du aber erwerben“, berichtet Ugo. Und so führt der Fanausweis zum Gegenteil des gewünschten Effekts: Die radikaleren unter den Gästefans mischen in Zukunft mit den Anhängern der Heimmannschaft. Da ist Gewalt programmiert.

Auch andere Hoffnungen auf mehr Sicherheit durch die Ausweise zieht Napoli-Ultra Alessandro infrage. „Die meisten gewalttätigen Vorfälle spielen sich doch seit langem jenseits des Stadions ab. Vieles passiert auf den Autobahnraststätten“, sagt er. Es sei davon auszugehen, dass diejenigen, die auf Randale aus sind, schlau genug sind, Benzin und Verpflegung bar zu bezahlen und eben keine digitalen Spuren zu hinterlassen.

Für Alessandro ist der Fanausweis in erster Linie ein Mittel der Diskriminierung. „Selbst Fans, deren Stadionverbot abgelaufen ist, müssen danach noch fünf Jahre warten, bis sie einen Fanausweis beantragen können", empört sich der 43-Jährige. Er selbst darf wegen seiner fünf Jahre Stadionverbot erst in zehn Jahren eine neue Karte beantragen. Referenzpunkt der „Fedayn“ will er aber bleiben.

Polizei, Innenministerium und auch die Fußballfunktionäre hoffen allerdings darauf, dass die, die den Fanausweis verweigern oder erst gar keine Chance haben, ihn zu erhalten, über kurz oder lang den Stadien fernbleiben. „Wir wollen die Stadionkurven von den ,professionellen Fans’ säubern“, sagt Polizeichef Antonio Manganelli. Nationaltrainer Cesare Prandelli beklagte in der Tageszeitung „Repubblica“ in Anspielung auf diese ,professionellen Tifosi’: „In einigen Städten existiert eine psychologische Gewalt, die alle Protagonisten beeinflusst.“ Die Leidtragenden des neuen Sicherheitsdenkens sind aber auch die normalen Fans. „Wenn mein Vater, mein Bruder oder mein Neffe einmal nicht ins Stadion konnten, habe ich mich auf ihren Platz gesetzt“, erzählt Palermo-Fan Rosy. „Mit dem neuen Fanausweis bleiben die Plätze leer, und ich komme nicht rein.“ Dem italienischen Fußball gehen auf diese Art und Weise auch einige weibliche Stadionbesucher verloren.

Trotz all dieser Nachteile ist ein Fanausweis auch in Deutschland nicht undenkbar: Thomas Schneider, Leiter Fanangelegenheiten bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL), sagt zwar: „Bei der DFL gibt es derzeit solche Gedanken nicht, auch weil ein Fanausweis unverhältnismäßig großen bürokratischen Aufwand bedeuten würde.“ Doch Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, nennt den Fanausweis „eine gute Idee, die man in die Diskussionen einbringen sollte“. Durch ihn könne man Reisebewegungen von Fans verfolgen und Gewalt vorbeugen. Die Gewerkschaft fordert seit Jahren den namentlichen Ticketverkauf, denn Gewalt sinke dort, „wo man sich identifizieren muss“.

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