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© dpa

Jan Ullrich: Aus Radrennfahrer wird Rennradfahrer

Ein halbes Jahr nach seinem Karriereende taucht Jan Ullrich wieder auf - und wird wie ein Idol behandelt.

Die Nacht vor dem Rennen war kurz. Lange hatten sie noch an der Hotelbar im Marriott-Hotel in Sindelfingen gesessen. Sie hatten getrunken, Erfahrungen ausgetauscht, über die vergangenen Monate gesprochen und über die Zukunft. Irgendwann, sagte Jan Ullrich später, habe er dann den Kreis der Freunde verlassen. Fünf Uhr morgens war es da schon. Die Augen sind ein wenig verquollen, als er sich wenige Stunden später aus der Limousine in der Paul-Reusch-Straße in Weil der Stadt quält. Die ganze Nacht hat es geregnet, die Bierbänke sind nass, die letzten Nebelschwaden haben sich gerade erst verzogen. Und jetzt tritt er auf: Jan Ullrich, umstrittener Ex-Radprofi, Tour-de-France-Sieger von 1997, ein Mann unter starkem Dopingverdacht. Es ist 9.20 Uhr, über Weil der Stadt kommt die Sonne heraus.

Gut 15 Monate ist es her, dass der 33-Jährige von seinem Rennstall T-Mobile entlassen wurde und den Radsport in Deutschland in eine schwere Krise stürzte. Am 26. Februar beendete Jan Ullrich dann mit einem bizarren Auftritt seine sportliche Karriere. An diesem Mittwoch, an diesem Tag der Deutschen Einheit, feiert Weil der Stadt den gefallenen Star, seine Rückkehr in den Rennsattel. Er nimmt an dem erstmals ausgetragenen Benefizrennen zu Gunsten der Behindertenwerkstätten im Tennental teil, wie auch die Profis Andreas Klöden, Jens Voigt und Stefan Schumacher. Aber die sind nur Randfiguren. „Gut sieht er aus“, sagt ein Besucher. Die Beine sind rasiert, das Trikot spannt, aber von Bauch kann keine Rede sein, das Gesicht ist etwas voller als früher, aber nicht dick. Am Ziel hat sich der Jan-Ullrich-Fanclub postiert. „Jan – Du bist und bleibst der Allergrößte“ steht auf ihren T-Shirts oder „Ulle-Fan – trotzdem“. Weil der Stadt ist heute Jan-Ullrich-Land.

Und Weil der Stadt ist heute der Nabel der Ullrichschen Parallelwelt, in der sich der frühere Profi am wohlsten fühlt. Die, die ihn lieben, sind gekommen. Die, die ihn für einen Betrüger halten, sind daheim geblieben. Jan Ullrich ist unter Freunden – keine Anfeindungen, keine Kritik. „Die Atmosphäre ist toll“, sagt Ullrich. Er schreibt Autogramme, signiert sein Buch „Jan Ullrich – Ganz oder gar nicht“, Fotos hier, Fotos dort.

Es könnte ein schöner Tag sein für den Mann, der mit der Öffentlichkeit nur noch über seine Homepage kommuniziert hat. Hier, bei diesem Rennen, ist Jan Ullrich der zu Unrecht verfolgte einzige deutsche Toursieger.

Doch ein paar Menschen, die Ullrich nicht verklären, die seine Schattenseiten kennen lernen wollen, sind auch unter den rund 2000 Besuchern. Diese Menschen sind Journalisten, sie stellen Fragen zu den 4,5 Litern Blut, die ihm im Labor des spanischen Dopingarztes Fuentes zweifelsfrei zugeordnet wurden, Fragen zu den Überweisungen an den Dopingarzt von seinem, Ullrichs Konto. Die Indizien sind erdrückend. „Deutschland hat es in der Hand, ob es den Radsport kaputt macht“, sagt Ullrich. Mehr nicht.

Er macht sich auf zum Start. Unter dem Jubel der Zuschauer besteigt er das schwarze Rad, „Jan Ullrich“ steht auf dem Rahmen. Um 10.08 Uhr fährt er los, das erste Mal seit 15 Monaten. 200 Meter geradeaus, dann links abbiegen, vorbei am Schild „Blut spenden rettet Leben“. Dort verschwindet er aus dem Blickfeld.

Heinz Betz, der früher selbst Radrennfahrer war, ist es zu verdanken, dass Jan Ullrich hier startet. Es war nicht unumstritten, dass ausgerechnet Ullrich, der gefallene Held, an diesem Rennen für einen guten Zweck teilnimmt, da er doch einigen Schaden angerichtet hat. Und ob er noch mehr Schaden anrichten wird, wenn die ganze Wahrheit ermittelt ist, das weiß keiner. Der Hauptsponsor dieser Veranstaltung, die Volksbank, hat untersagt, dass Ullrich als Teamkapitän einer der Mannschaften an den Start geht. Sonst wäre er ja Teil der Veranstaltung, heißt es. Nun fährt Ullrich im schwarzen Trikot seines Ausrüsters, ohne Startnummer. Am Vorabend hat Ullrich 5000 Euro gespendet.

Um 12.39 Uhr fährt Jan Ullrich über die Ziellinie, nach 60 Kilometern. 37 Minuten hinter dem Sieger, als einer der letzten des Feldes. Jan Ullrich hat sich Zeit gelassen, er wollte es wohl genießen. Die Zeit genießen bei dem, was er am besten kann, aber nie mehr als Radprofi tun wird. Wunderschön sei es gewesen, sagt er dann, als er wieder umringt ist, als er Autogramme schreibt und für die Fotografen posiert. Ob es ein Comeback geben wird, fragt einer? „Ja, ich werde Profi-Hobbyfahrer“, sagt Jan Ullrich. Er lächelt gequält. Dann geht er.

Tobias Schall

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