zum Hauptinhalt
Lehmann

© dpa

Jens Lehmann: Tor oder Terrasse

Jens Lehmann spricht über sein Karriereende. Andererseits fühlt sich die Nummer eins im Tor der Nationalmannschaft noch fit genug, eine oder zwei Spielzeiten dranzuhängen. Vielleicht unterschreibt er ja in Stuttgart.

Jens Lehmann lehnt sich in den Terrassenstuhl und spreizt die kräftigen Finger seiner Hand. Es sieht aus, als wolle er etwas Großes umfassen, etwas, was womöglich zu groß ist für seine Hände. Es geht um seine Karriere. „Ob ich nach der EM noch spiele, ist völlig offen“, sagt er und beugt sich etwas zu seinem Gesprächspartner. „Wissen Sie, ich habe nicht den Druck, dass ich nach dem Sommer noch spielen muss.“ Dann lächelt er.

Wie immer spricht Jens Lehmann sauber und leise. Und doch kommen aus seinem Mund ungewöhnliche Worte. Sicher, er ist 38. In diesem Alter darf man solche Gedanken haben. Er sagt: „Stand der Dinge im Moment ist, dass ich aufhöre, weil ich keinen Verein habe.“ Er setzt dabei ein Gesicht auf, das man von ihm kennt. Das eigentlich markante Gesicht wird weich, es soll wohl dem Gesagten die Härte nehmen. Oder ist der Nationaltorwart einfach nur müde geworden?

Wäre Oliver Kahn noch da, würde er vermutlich nicht ans Aufhören denken. Beide haben sich über Jahre einen harten Konkurrenzkampf geliefert. Wenige Wochen vor der WM 2006 hatte Lehmann, die ewige Nummer zwei, den Kampf für sich entschieden. Er spielte ein gutes Turnier und erlangte wegen der beiden gehaltenen Elfmeter im Viertelfinale gegen Argentinien Heldenstatus. Doch hinter Lehmann liegt eine fahrige Saison beim FC Arsenal. Nach zwei Patzern zu Beginn nahm ihn Trainer Arsène Wenger aus dem Tor und er kam nur noch sporadisch, meist in unwichtigeren Pokalspielen, zum Einsatz. Lehmann hat alles probiert, er hat gut trainiert, er hat Wenger öffentlich angegriffen – es half alles nichts. Am 30. Juni endet sein Arbeitsverhältnis in London.

Jens Lehmann ist wieder auf dem Markt. Es scheint, als gefalle ihm dieser Gedanke. „Ich habe keine Eile“, sagt er kokett. Der VfB Stuttgart ist an einer Verpflichtung interessiert. Wie aus Stuttgart zu hören ist, liegt dem Torwart ein Vertrag vor. Demnach ist es an Lehmann, zuzusagen – oder eben nicht. Mit Raphael Schäfer, den der VfB vor einem Jahr für 2,3 Millionen Euro aus Nürnberg holte und mit einem hoch dotierten Vierjahresvertrag ausstattete, sind die Stuttgarter nicht glücklich geworden.

Lehmann guckt milde, fast so, als wolle er die Journalisten ein wenig verführen. Es könne ganz schnell eine Entscheidung fallen, „oder erst wenn ich im Juli aus dem Urlaub komme“. Sicher ist, dass er sich im Sommer mit seiner Familie in München niederlassen wird. Vor einem halben Jahr, als die Situation bei Arsenal unerträglich geworden war und er befürchten musste, wegen fehlender Spielpraxis die EM zu verpassen, hätte er nach Dortmund wechseln können. Seiner Familie zuliebe entschied er sich dagegen. Er blieb in London. „Meine Kinder sind jetzt in einem Alter, da kann ich ihnen nicht zumuten, immer rumzureisen“, sagt er. Wenn er, was zu vermuten ist, in Stuttgart unterschriebe, würde er pendeln, oder sich in Stuttgart etwas suchen.

„Ich bin ja in der glücklichen Lage, noch sehr fit zu sein“, sagt er plötzlich und richtet sich auf in seinem Stuhl. Dabei spielt er an seinen Fingern und sagt: „Alle ehemaligen Spieler, die ich traf, haben mir gesagt, ich solle so lange spielen, wie es geht.“ Lehmann schaut freundlich. Sein gern gespieltes Spielchen, Fragen mit Gegenfragen zu kontern, scheint er satt zu haben. Vielleicht muss er erst noch erfühlen, was für ihn das Beste ist. Arsenal sei eine Topstation gewesen. Dort ist er einmal Meister geworden, ohne eine einzige Saisonniederlage. „Ich habe diese Mannschaft gemocht“, sagt er nachdenklich. „Wegen meines Alters war ich für viele junge Spieler fast ein Vater.“ Jetzt faltet er seine Hände.

Nein, zerrieben habe ihn der Fußball nicht. Eher würde ihn schon ein zu frühes oder zu spätes Ende zerreiben. Jetzt steht die EM an. Dass der Bundestrainer nun wieder im deutschen Tor den Konkurrenzkampf ausgerufen und Lehmann „kleine Vorteile“ eingeräumt hat, ruft einen winzigen Lacher hervor. Dann sagt er: „Natürlich werde ich spielen, deswegen bin ja hier.“ Und dabei guckt er, als habe er für eine halbe Stunde nur Spaß gemacht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false