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Sport: „Jetzt startet meine zweite Karriere“

Thomas Haas über die neue Harmonie im Daviscup-Team, seine lange Verletzungspause und den Unfall seiner Eltern

Wissen Sie noch, wer vor dem Daviscup gesagt hat: „Ich will unbedingt spielen, sonst brauchte ich ja gar nicht anzureisen?“

Ich nicht.

Doch. 1998, vor dem Spiel gegen Südafrika.

Ab und zu sagt man ja mal ein paar Sachen. Aber daran kann ich mich nicht erinnern.

Jetzt, vor dem Spiel gegen Israel, haben Sie gesagt, Sie seien nicht enttäuscht, wenn Sie nicht zum Einsatz kämen. Was hat sich verändert seit 1998?

Wenn man jung ist und, wie ich damals, vor seinem Debüt im Daviscup steht, will man natürlich auch spielen, weil der Daviscup mit das Größte ist, was ein Tennisspieler erleben kann. Inzwischen habe ich gelernt: Entscheidend ist, dass das Team gewinnt. Der Beste soll spielen. Ob der Haas, Kiefer, Schüttler oder Meier heißt, ist mir mittlerweile nicht mehr so wichtig. Ich bin nicht so egoistisch, dass ich sage: Ich will unbedingt spielen, selbst wenn ich nicht in bester Form bin. Letztes Jahr bin ich zu beiden Daviscup-Partien angereist, obwohl ich verletzt war und gar nicht spielen konnte.

Haben sich die Spieler ein bisschen zurückgenommen?

Das glaube ich nicht. Wir sind älter geworden, und wir wissen, dass wir im Daviscup nicht mehr viele Chancen bekommen. Mittlerweile spielen wir in der Zweiten Liga. Wir müssen erst wieder in die Weltgruppe. Das sind unsere eigentlichen Sorgen. Alles andere ist nicht mehr interessant.

Welche Rolle spielt der Teamchef Patrik Kühnen für die neue Harmonie im Team?

Patrik Kühnen ist ein sehr, sehr wichtiger Mann. Er versucht, uns zu verstehen. Patrik ruft einen auch mal außer der Reihe an, um zu fragen, wie es einem geht oder ob man Hilfe braucht. Mit ihm kommen alle gut aus.

Wieso hat das mit den Lichtgestalten Boris Becker und Michael Stich nicht funktioniert? Weil die Spieler das Gefühl hatten, in ihrem Schatten zu stehen?

Nein, Boris Becker hätte den Job auch machen können. Er hätte sich vielleicht ein bisschen zurücknehmen müssen. Aber was heißt zurücknehmen? Boris Becker kann sich ja nicht zurücknehmen. Er ist im deutschen Tennis nun mal die Lichtgestalt, die niemand erreichen kann. Manche sind damit zurechtgekommen, andere wahrscheinlich nicht. Ich hatte damit kein Problem. Im Gegenteil: Ich fand Becker immer sehr motivierend, unter ihm als Teamchef hatte ich eine sehr erfolgreiche Zeit. Ich habe auch nicht gesagt, dass er zurücktreten soll. Die Probleme gab es mit dem Deutschen Tennis Bund. Bei Michael Stich war es ähnlich. Wobei niemand genau weiß, was da für Geschichten abgelaufen sind.

Am Samstag haben Sie nach 18 Monaten zum ersten Mal wieder ein Daviscup-Match bestritten. Was sagt Ihre Schulter nach der Belastung?

Es geht eigentlich. Sie ist vielleicht ein bisschen müder als normal.

Müder?

Ja, das ist schwer zu beschreiben. Es ist kein richtiger Schmerz. Eher ein kleines Ziehen in den Muskeln. Sobald die im Training warm werden, ist das wieder okay.

Horchen Sie nach zwei Operationen jetzt stärker in Ihren Körper hinein, als Sie es früher getan haben?

Das mag sein. Es gibt Tage, an denen die Schulter bellt, wo sie mir etwas sagen will. Aber es wird von Woche zu Woche besser. Ich glaube, die Schulter ist stärker als je zuvor.

Was fehlt Ihnen noch nach der Verletzungspause?

Man darf nicht vergessen, dass ich nach beiden Operationen zwei, drei Monate überhaupt keinen Schläger in die Hand nehmen konnte. Ich muss jetzt einfach viele Matches spielen, um wieder richtig reinzukommen. Matchfitness ist doch etwas ganz anderes als normale Fitness. Nach einer Stunde auf dem Platz bist du viel müder. Die Anspannung ist ganz anders: Man spielt vor Publikum, um Punkte, will auch mal wieder Titel gewinnen. Das kannst du nicht trainieren.

Haben Sie manchmal daran gezweifelt, je wieder professionell Tennis zu spielen?

Als die Diagnose kam, dass ich operiert werden und sechs, sieben Monate pausieren muss, habe ich gedacht: Okay, da musst du jetzt durch. Ich möchte einfach nicht mehr unter Schmerzen spielen, und ich bin noch jung genug, um ein Comeback zu schaffen. Vor der zweiten Operation habe ich dann schon gezweifelt: Boah, das kann doch eigentlich nicht gut sein. Anschließend gibt es die Phasen, in denen du jeden Tag Krafttraining machst und trotzdem keine Fortschritte feststellst. Also, wird das überhaupt noch mal was? Ich bin auch nicht unbedingt der allergeduldigste Mensch. Aber grundsätzlich denke ich positiv: Selbst wenn ich ein drittes Mal hätte operiert werden müssen, hätte ich alles gegeben, um auf den Platz zurückzukehren.

Haben Sie auch über einen Plan B nachgedacht?

Nein, nicht richtig. Wollte ich nicht. Ich habe noch ein paar Ziele im Tennis.

Haben Sie sich in den anderthalb Jahren verändert?

Schon ein bisschen. Es hätte in dieser Zeit ja auch nicht sehr viel schlimmer kommen können. Ein halbes Jahr vor meiner Verletzung hatten meine Eltern diesen schweren Motorradunfall, nach dem mein Vater drei Wochen lang im Koma lag. Meine Mutter hat es auch sehr schwer erwischt. Meine Schwester und ich sind dadurch ganz plötzlich in eine Rolle geraten, die unsere Eltern früher für uns eingenommen haben. Das war eine wahnsinnige Erfahrung, auf einmal für die eigenen Eltern da zu sein, die lange Zeit so hilflos waren. Gott sei Dank sind sie jetzt wieder ganz gut auf den Beinen. Dann habe ich mich auch noch von meiner Freundin getrennt, zu einem beschissenen Zeitpunkt eigentlich, weil ich jemanden an meiner Seite hätte brauchen können. Der Unfall, die Trennung, die Verletzung – da lief alles ein bisschen falsch. Deshalb war ich auch für ein paar Wochen gar nicht richtig ansprechbar.

Hat Ihnen der schwere Unfall Ihrer Eltern geholfen, Ihre eigene Verletzung ein bisschen besser zu ertragen?

Natürlich, ich habe gemerkt, dass es auch noch ein anderes Leben gibt. Meine Mutter zum Beispiel kann ihre rechte Schulter gar nicht mehr richtig bewegen, ohne dass sie ihren linken Arm zu Hilfe nimmt. Das Bein meines Vaters ist immer noch nicht in Ordnung. Das Knie wird dick, seinen Unterschenkel kann er nur bis zu einem bestimmten Grad abwinkeln. Wenn man sieht, was die beiden durchgemacht haben, sagt man sich: Okay, deine kleine Schulteroperation ist wirklich nicht so schlimm. Da musst du jetzt durch.

Sie haben gerade erst wieder mit dem Tennisspielen begonnen. Haben Sie bereits Ziele für dieses Jahr?

Meine erste Karriere habe ich jetzt abgehakt. Mit dem, was ich erreicht habe, bin ich recht zufrieden, aber das war einmal. Jetzt startet meine zweite Karriere. Im Moment kann ich mir keine allzu großen Ziele setzen, weil ich nicht absehen kann, was meine Schulter macht. Ich will dieses Jahr voll durchspielen, vielleicht wieder unter die ersten 100 der Welt kommen. Und wer weiß: Wenn ich zwischendrin mal eine geile Woche erwische, bin ich auch wieder ein gefährlicher Gegner für alle. Vielleicht kann ich dann in diesem Jahr noch irgendwo einen Titel gewinnen.

Das Gespräch führte Stefan Hermanns.

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