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Sport: "Jetzt will ich Tyson"

Lennox Lewis verliert selten die Kontrolle. Wie es sich eben für einen Mann gehört, der im brutalen Ringgewerbe den Titel "Gentleman" trägt.

Lennox Lewis verliert selten die Kontrolle. Wie es sich eben für einen Mann gehört, der im brutalen Ringgewerbe den Titel "Gentleman" trägt. Jetzt darf er sich zudem wieder Box-Weltmeister nennen. Und da Lewis seine Karriere mit einer eindrucksvollen Demonstration der Stärke rettete, musste der ansonsten reservierte Brite einfach einmal raus aus seiner Haut. Also tanzte er nach getaner Arbeit durch den Ring, hob die rechte Faust im Zeichen des Sieges und trommelte abschließend mit seinen Schlaginstrumenten auf die Brust. Ein seltenes Imponiergehabe des Routiniers, das Hasim Rahman nur verschwommen wahrnehmen konnte. Denn während 10 500 Fans im Event Center des Mandalay Bay Hotels auf den euphorischen Champion hinabblickten, schaute ein irritierter Rahman zu ihm hinauf. Niedergeschlagen und ausgezählt.

"Ich wollte ihn schneller ausknocken, als er es mit mir getan hat. Meine Welt ist jetzt wieder in Ordnung. Jetzt will ich definitiv Tyson", sagte der britische Champion nach seiner grandiosen Revanche, die für Rahman im Krankenhaus endete. Am 22. April hatte er Lewis in Südafrika durch einen "Lucky Punch" in der fünften Runde sensationell entthront. Der schon langersehnte "Kampf der Giganten" gegen den titellosen Ex-Weltmeister Mike Tyson, der mit der Rekordsumme von 100 Millionen Dollar veranschlagt sein soll, ist laut Promoter Cedrik Kushner bereits für den 4. April geplant. "Iron Mike" meldete sich auch sofort nach Kampfende aus seinem Camp in Phoenix. "Ich gratuliere Lennox Lewis, dass er wieder Champion ist. Ich bin bereit für ihn", ließ der "Bad Boy" wissen und eröffnete die Verbalschlacht: "Zähle deine Tage Lennox. Ich verspreche dir, es werden deine letzten sein."

Für Rahman ist der Traum vom großen Ruhm und weiteren Zahltagen vorerst ausgeträumt. Nach dem Knockout bleibt dem Amerikaner nur ein Eintrag unter der Rubrik "Eintagsfliegen" in den Boxannalen. "Lewis hat mich mit einem guten Schlag getroffen", gestand Rahman ein, "davon konnte ich mich nicht schnell genug erholen." Es passierte in der vierten Runde, dass der 29-Jährige die erst im April gewonnenen Gürtel der Verbände IBF (International Boxing Federation) und WBC (World Boxing Council) schon wieder verlor. Lewis hatte den entscheidenden Angriff mit einem linken Haken glänzend vorbereitet und Rahman gab zu, danach "für Sekunden blind gewesen zu sein". So sah der Amerikaner die Rechte nicht kommen, die ihn wie eine Eiche fällte. Rahman lag flach auf dem Rücken und hatte große Mühe, sich beim Anzählen durch Referee Joe Cortez bis neun wieder aufzurichten. Doch die wackeligen Beine gaben sofort wieder nach. Der Kampf war vorbei.

Nur sechs Monate dauerte das süße Leben von "The Rock", der völlig überraschend im April in Johannesburg gegen einen schlecht vorbereiteten Lewis zu Weltmeisterehren gekommen war. Sechs Monate voller Empfänge, TV-Auftritte und verbaler Attacken gegen den Briten. Rahman avancierte zum Lautsprecher der mehr als müden Schwergewichtsszene. Er stempelte Lewis als Homosexuellen ab, sah sich "als Sieger im Krieg der Worte" und als "Champion der Zukunft". Der Schuss ging nach hinten los. Denn der einstige Straßenschläger aus Baltimore motivierte Lewis damit nur noch mehr. Beim gerichtlich erzwungenen Rückkampf wirkte der 36-Jährige konzentrierter und war körperlich in Topform. "Rahman hat mich ohne Respekt behandelt. Es hat in mir gebrodelt", erklärte Lewis, der wie Rahman zehn Millionen Dollar Börse kassierte.

Doch das Geld interessierte den neuen Champ in seiner Comebacknacht wenig. Lewis genoss die geglückte Revanche in vollen Zügen und ließ eine Breitseite nach der anderen auf seinen Vorgänger ab. "Ich habe euch doch gleich gesagt, dass Rahman ein Grünschnabel ist und in Johannesburg nur einen Glückstreffer gelandet hat", tönte der Brite, "er hatte ruhmreiche 15 Minuten, das reicht. Die Gürtel waren nur kurz ausgeliehen." Danach schlug der Sieger im Überschwang der Gefühle vor, den Vornamen Hasim in "Has Been" zu ändern. Dies heißt frei übersetzt, dass der Junge Vergangenheit ist. Die Bühne gehört allein wieder Lewis.

Stefan Liwocha

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