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Historisch. Pluschenko steht vor seiner vierten Olympia-Medaille in Folge.

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Jewgeni Pluschenko: Triumphator oder Leidensgestalt?

Auf den russischen Eiskunstlaufstar Jewgeni Pluschenko hofft in Sotschi das gesamte Gastgeberland der Olympischen Spiele. Doch ist der 31-Jährige nach seiner komplizierten Operation bereits fit für eine Medaille?

Eigentlich ist seine Zeit längst vorbei. Eigentlich müsste er nach zwölf Operationen an den Knien, den Leisten und am Rücken vernünftig genug sein, nicht auch noch dieses Abenteuer zu riskieren. Eigentlich kann Jewgeni Pluschenko, Russlands Star in Sotschi, seinem Land nicht noch einmal eine Medaille verheißen. Eigentlich.

Doch der berühmte Eiskunstläufer, dreimaliger Welt- und siebenfacher Europameister sowie Olympiasieger 2006, wagt bei den Winterspielen seinen vierten und letzten großen Auftritt. Sotschi und Präsident Wladimir Putin haben gerufen – und Pluschenko hat verstanden.

Werden der 31-Jährige und die russische Mannschaft am Sonntag also auf dem Podest landen? Wird Pluschenko der erste Kunstläufer der Welt sein, der sich bei vier Winterspielen nacheinander (2002 und 2010 jeweils Silber) im Medaillenglanz spiegelt – rund ein Jahr nach einem komplizierten medizinischen Eingriff, bei dem vier Schrauben und ein Stück Kunststoff in seiner Bandscheibe verankert wurden?

Pluschenko (links) bewundert Putin, und der mächtige Staatschef schätzt seinen besten Wintersportbotschafter.
Pluschenko (links) bewundert Putin, und der mächtige Staatschef schätzt seinen besten Wintersportbotschafter.

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Der Sankt Petersburger mit der blonden Mähne konnte nach der Operation in Tel Aviv wochenlang kaum gehen, geschweige denn trainieren. Die Ärzte waren skeptisch, ob er überhaupt jemals wieder Sport treiben könnte. Sie rieten ihm, frühestens im September das Eis wieder zu betreten. Doch so lange hielt es Pluschenko nicht aus. Bereits im Juli hatte er sein Training wieder aufgenommen und stand einen dreifachen Axel, seine Frau Jana Rudkowskaja veröffentlichte das Trainingsvideo bei Facebook. Der Sportler soll für seinen letzten Auftritt auf der Weltbühne vom russischen Staat so reichlich bezuschusst worden sein, dass er sich nolens volens für seine Abschiedsvorstellung noch einmal in Form zu bringen versucht hat. Pluschenko bewundert Putin, und der mächtige Staatschef schätzt seinen besten Wintersportbotschafter neben Eishockey-Weltstar Alexander Owetschkin. Zusammen holten sie 2007 in Guatemala die Spiele nach Russland. Es war Sportkamerad Pluschenko, der damals in der lateinamerikanischen Sommerhitze auf einer kleinen Eisfläche für Mütterchen Russland Kringel drehte.

Der letzte Wettlauf gegen die biologische Uhr hat für Pluschenko bereits am Donnerstag mit dem Kurzprogramm begonnen. Mit der persönlichen Rekordpunktzahl von 91,39 gab er ein glänzendes Comeback und verhalf Russland mit zur Führung im neuen Teamwettbewerb. Erleichtert schrie er seine Freude heraus und küsste seinen Trainer Alexej Mischin. „Ich habe schon gewonnen, weil ich es geschafft habe, dabei zu sein“, sagte er.

Pluschenko garantiert das große Drama

Die ganze Nation schaut aber vor allem am Samstag bei der Kür hin. Die ersten drei Trainingseinheiten im Eisberg-Palast, wo er seine sportliche Abschiedsvorstellung gibt, hatte Pluschenko einfach ausgelassen. Ein böses Omen? Mischin sagt: „Bei uns läuft alles nach Plan.“ Abwarten.

Pluschenko ist der einzige männliche Teilnehmer, den Russland für die olympischen Eiskunstlauf-Wettbewerbe melden durfte. Viele zweifeln indes, ob sich der Meister von gestern in der kommenden Woche auch noch die Einzelkonkurrenz zumuten kann. Zieht er sich, versehen mit einem gültigen Attest, nach dem Teamwettstreit verletzt zurück, könnte für ihn der 18 Jahre alte Russische Meister Maxim Kowtun nachrücken. Kowtun besiegte Pluschenko, der in diesem Winter sonst nur als Sieger eines kleinen Wettbewerbs in Riga am Start war, zwar bei den nationalen Meisterschaften im Dezember. Dann stolpert Kowtun aber bei der EM in Budapest im Januar vor lauter Nervosität über die eigenen Füße und wurde nur Fünfter. „Ich weiß, dass es Leute gibt, die sich über jeden Fehler, den ich mache, freuen“, klagte er danach.

Pluschenko sagte erst einmal gar nichts, sondern bereitete sich daheim auf einen Probelauf in Nowogorsk nahe Moskau unter den Augen russischer Preisrichter und unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor. Dabei soll er seine Programme inklusive der beiden Vierfachsprünge so makellos absolviert haben, dass am Ende er, wie von Seiten der Verbands- und Staatsoberen gewünscht, zu Russlands Mann für Sotschi erklärt wurde.

„Er kann dafür sorgen, dass Russland im Teamwettbewerb eine Medaille gewinnt“, rief ihm Freund Owetschkin zu, „die goldene, so Gott will.“ Andere befürchten dagegen, dass Pluschenko in Sotschi womöglich seine Gesundheit aufs Spiel setzt. Der Champion garantiert jedenfalls das große Drama, das die olympischen Eiskunstlaufdisziplinen alle vier Jahre wieder überlagert. Er wird es bei jedem seiner Auftritte und Interviews befeuern, da dieser Jewgeni Pluschenko auch ein großer Geschichtenerzähler ist – ob als gefeierter Triumphator über alle Widerstände hinweg oder als vom Applaus der Fans getröstete Leidensgestalt.

Vor seiner letzten olympischen Reise ins Ungewisse hat Pluschenko Signale der Zuversicht ausgesendet. „Ich bin meine Programme fehlerfrei gelaufen“, verkündete er, „es ist alles gut.“ In Sotschi spürt er „die große Verantwortung“ gegenüber ganz Russland. „Ich bin bereit, mit meiner Gesundheit ist alles in Ordnung.“ Ob er selbst daran glaubt?

Andererseits: Der Eiskunstlauf lebt vom schönen Schein auf schmalen Kufen. Dieses Grundgesetz einer Sportart, die auch von hässlichen Intrigen und manipulativen Absprachen durchsetzt ist, hat Jewgeni Pluschenko schon immer verstanden. The Show must go on: Dieser Suchtantrieb, sich trotz allem in der gewohnten Hauptrolle zu zeigen, hat ihn noch immer nicht losgelassen. Darum sagt der Star voller Vorfreude auf seinen ultimativen Kampf gegen die Schwerkraft: „Ich liebe den Wettkampf, das Adrenalin, die Atmosphäre – das hat mir gefehlt.“ Worte, an denen er sich in der Tat messen lassen muss.

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