zum Hauptinhalt

Sport: Jordan ohne Air

Es war ein merkwürdiger Anblick. Michael Jordan ganz in Blau.

Es war ein merkwürdiger Anblick. Michael Jordan ganz in Blau. Ohne den roten Bullenkopf auf der Brust. Ohne Scottie Pippen an seiner Seite. Ohne Phil Jackson auf der Trainerbank. Auch die Basketball-Legende schien bei seiner Rückkehr nach über drei Jahren irritiert. "Das Spiel ist ein wenig anders, meine Mitspieler sind ein wenig anders", sagte Jordan im Presseraum des Madison Square Garden, "und ganz augenscheinlich ist das Ergebnis auch ein wenig anders, als ich es mir vorgestellt habe."

Seine Washington Wizards unterlagen beim Start in die neue NBA-Saison den New York Knicks mit 91:93. Keine Überraschung. Aber auch nicht die von vielen Fans erwartete Sternstunde. Die Lichtgestalt Michael Jordan zeigte beim zweiten Comeback in der besten Basketball-Liga der Welt nur allzu menschliche Züge. 19 Punkte, fünf Rebounds, sechs Vorlagen und vier Steals wären für jeden 38-Jährigen nach einer so langen Pause eine Traumbilanz. Doch für Jordan gelten andere Maßstäbe.

Letztlich fehlten nur Zentimeter, und der Rückkehrer wäre wieder in die Heldenrolle geschlüpft. 18 Sekunden vor Schluss hatten die Wizards mit 88:91 zurückgelegen, als Jordan den Ball vor der Dreipunktelinie bekam. Solche Situationen hatte der beste Basketballer aller Zeiten in Chicago geliebt. Doch jetzt traf Jordan nur den Ring, und die Knicks erzielten im Gegenzug das vorentscheidende 93:88. "Es war eine großartige Situation", sagte der 38-Jährige, "aber mein Wurf war den ganzen Abend einfach zu kurz und zu flach." Bei 21 Wurfversuchen traf der Oldie nur siebenmal in den Korb. Für einen Basketball-Gott ist das einfach zu wenig.

Auch bei seinem letzten Comeback dauerte es ein halbes Jahr, bis sich der Erfolg für Jordan wieder einstellte. Dann entwaffnete der "Michaelangelo der Neuzeit", wie die "New York Times" schrieb, seine Kritiker mit drei Titelgewinnen. Die Wizards hingegen gelten nach 19 Siegen in der vergangenen Saison als Verliererteam. Jordan sagte: "Jeder spekuliert über uns, aber niemand weiß etwas Genaues. Und dies ist Teil der Herausforderung."

Jordan wurde im ausverkauften New Yorker Madison Square Garden mit Ovationen begrüßt. Auf dem Schwarzmarkt handelte man Tickets für einige tausend Dollar. Der Spitzname "Air" verpflichtet, auch wenn die akrobatischen Kunststücke unter den Körben Jahre zurückliegen. Doug Collins sagte: "Der Druck ist enorm, denn die Leute werden jetzt jeden Schritt von ihm auf dem Feld beurteilen." Noch stehen in dieser Saison mindestens 81 Prüfungen unter den wachsamen Augen einer Nation an. Aber Michael hat es ja so gewollt.

Stefan Liwocha

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false