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Josep Guardiola beim FC Bayern: Grüß Gott in München

Zünftig hat er sich am Montag in München vorgestellt. Jetzt soll Josep Guardiola als Trainer richten, wovon der FC Bayern schon immer träumt. Für ihren Fußball geliebt zu werden. Eine Reportage.

Pep Guardiola weiß nicht, wohin mit seinen Augen, sein Blick irrt durch den Saal. Nach links, nach rechts, nach oben. Es sieht so aus, als fänden seine Pupillen keinen Halt. Würde Pep Guardiola Bestätigung suchen, müsste er jetzt zu Boden blicken, dahin, wo der Monitor steht – und gerade Pep Guardiola gefeiert wird. Vor ihm auf dem Monitor und hinter ihm auf der Videowand laufen Bilder aus seiner glänzenden Karriere als Spieler und seiner noch viel glänzenderen als Trainer, die großen Erfolge, die dicken Pokale. Aber Pep Guardiola schaut nicht hin. Als er im Kommentar als „der wohl beste Trainer der Welt“ bezeichnet wird, reibt er sich mit dem Rücken seines Zeigefingers über die Nase. Nur einmal lächelt er kurz. Er hat im Publikum ein bekanntes Gesicht entdeckt.

Bei der Masse Mensch, die an diesem Vormittag in zehn aufsteigenden Reihen vor ihm sitzt, ist das vermutlich gar nicht so einfach. Als „die größte Pressekonferenz in der Geschichte des FC Bayern München“ wird die Veranstaltung von Mediendirektor Markus Hörwick anmoderiert. 240 Journalisten aus elf Ländern haben sich angemeldet, 50 Fernseh- und Radiostationen berichten aus dem Presseraum der Fußball-Arena, zwölf TV-Sender sind live auf Sendung, als Guardiola um 12.05 Uhr aus der Tür tritt und mit Bayerns Granden Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und Matthias Sammer aufs Podium tritt. Guardiola, der neue Trainer des deutschen Rekordmeisters, trägt einen dunkelgrauen Dreiteiler, eng geschnitten, weißes Hemd, weinrote schmale Krawatte, weißes Einstecktuch. Er zieht die Hemdsärmel noch einmal unter dem Sakko zurecht. Eine perfekte Erscheinung.

Bei seinem letzten Auftritt in München hatte Guardiola eine grüne Hose an und einen grauen Rollkragenpullover. Es war Anfang des Monats, an einem Sonntag, nachts um halb zwei. Guardiola fuhr mit der S-Bahn-Linie 2 Richtung Irdning und war gerade mit seinem Smartphone zugange, als er von einem Mitfahrer fotografiert wurde. Kann das Guardiola sein?, fragte die Boulevardpresse, nachdem das Foto an die Öffentlichkeit gelangt war. Er war es natürlich nicht, sondern ein Doppelgänger mit Glatze und Dreitagebart. Aber wenn schon ein falscher Guardiola so viel Wirbel verursacht, was passiert dann erst, wenn der echte auftritt?

Josep Guardiola ist Sohn eines Maurers aus dem katalanischen Örtchen Santpedor

Anderthalb Stunden, bevor die Präsentation am Montag beginnt, belagern die Kameraleute das kalte Buffet. Sie filmen, mangels anderer Attraktionen, den Queso Manchego, einen Schafsmilchkäse aus der Region Kastilien-La Mancha, und den iberischen Schinken, der heute serviert wird. Als Jupp Heynckes exakt 20 Tage zuvor an selber Stelle das Ende seiner Trainerkarriere verkündete, gab es noch rheinischen Sauerbraten.

Es ist acht Minuten nach zwölf, als Pep Guardiola, der Sohn eines Maurers aus dem katalanischen Örtchen Santpedor, seine ersten Worte als neuer Bayern-Trainer spricht. Er spricht sie auf Deutsch, aber das ist nach allem, was in den vergangenen Tagen berichtet wurde, schon keine Überraschung mehr. „Guten Tag und Grüß Gott“, sagt er. „Verzeihen Sie mein Deutsch.“ Es hört sich an wie „verseihen“. New York, wo er im vergangenen Jahr mit seiner Familie gelebt hat, sei nun mal nicht der optimale Ort, um Deutsch zu lernen. Er spricht es trotzdem, manchmal ein wenig stockend, aber für einen Anfänger schon erstaunlich wortreich.

In der Münchner Arena wird an diesem Mittag großes Theater gespielt. Die aktuell beste Fußballmannschaft der Welt präsentiert den derzeit wohl begehrtesten Trainer des Planeten. Nach der Pressekonferenz wird Guardiola in die Arena geleitet. Er soll genau den Weg gehen, den er künftig immer zu seinem Arbeitsplatz gehen wird. Bevor der neue Trainer aus den Katakomben in den Innenraum kommt, wummert ein Herzschlag aus den Lautsprechern durch die leere Arena, dann wird die Bayern-Hymne „Stern des Südens“ eingespielt. Auf dem Rasen steht Guardiolas neuer Dienstwagen, der Vorstandsvorsitzende von Audi ist persönlich zur Übergabe erschienen. Guardiolas Vorgänger mussten immer nach Ingolstadt fahren, um dort ihr Auto in Empfang zu nehmen.

Pep Guardiola gibt sich demütig, fast ein wenig zu devot.

Pep Guardiola kontert die große Inszenierung durch demonstrative Bescheidenheit. „Ich bin ein bisschen nervös“, sagt er. Der Neue gibt sich demütig, fast ein wenig zu devot. Was ihn zu der Entscheidung für die Bayern bewogen habe, wird er gefragt. Immerhin hatte er die freie Wahl des Arbeitsplatzes: Manchester oder Mailand, Hauptsache Millionengehalt. Guardiola war die heißeste Personalie des internationalen Fußballs, als klar war, dass er nach einem Jahr Auszeit auf die Trainerbank zurückkehren würde. Trotzdem tut er so, als verstehe er den Sinn der Frage nicht. Nicht er habe entschieden, sondern „die Dirigenten, die Bosse, die Vorstände“ des FC Bayern. „Sie haben mich gerufen.“ Eine Ehre und ein Geschenk sei es, für diesen Verein arbeiten zu dürfen.

159 Tage sind vergangen, seitdem die Münchner am 16. Januar die Verpflichtung Guardiolas bekannt gegeben haben; 159 Tage, in denen sich der Katalane komplett dem Zugriff der Öffentlichkeit entzogen hat. Im Mai ist er bei einer Konferenz in Buenos Aires als Redner aufgetreten, mehrere tausend Kilometer von München entfernt, und in der vergangenen Woche tauchte im Netz ein Foto auf, das ihn mit seinem Mentor Johan Cruyff beim Besuch eines Sternerestaurants zeigte. Nicht Guardiola, der große Johan Cruyff („having lunch with my good friend Pep Guardiola in Barcelona“) hatte es auf seiner Facebookseite gepostet. Von Guardiola selbst gab es nichts: keinen Kommentar zu den Bayern, kein Wort zu seinen Planungen. Doch je mehr er sich entzog, desto präsenter wurde er.

Wer die Berichterstattung in den vergangenen Tagen verfolgt hat, ist inzwischen umfassend über das Leben des Josep Guardiola i Sala informiert: dass er stolzer Katalane ist, höflich und gebildet; dass er mit seiner Jugendliebe verheiratet ist und mit ihr drei Kinder hat; dass er Gedichte liest, Schriftsteller und Regisseure zu seinen Freunden zählen und Coldplay seine Lieblingsband ist; dass er in seinem Sabbatjahr in New York eine Wohnung direkt am Central Park bewohnt hat, sich dort hinter dem Pseudonym Gardomi versteckte und seit Weihnachten vier Stunden am Tag Deutsch gelernt hat, bei einer Lehrerin, die angeblich aus Berlin kommt und die, wie er am Montag erzählt, Anhängerin von Borussia Dortmund ist.

Gut zwei Jahre ist es her, dass Pep Guardiola bei Bayerns Präsident Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, dem Vorstandsvorsitzenden des Klubs, seinen Wunsch hinterlegte, einmal für die Bayern zu arbeiten. Guardiola ist ein Fußballromantiker, er mag Vereine, die einen eigenen Charakter und eine eigene Geschichte haben. Die Bayern sind so ein Verein. Von sich aus wären die Münchner vermutlich nie auf die Idee gekommen, Guardiola anzusprechen – obwohl es ihnen an Selbstbewusstsein ganz sicher nicht mangelt. Aber die Vorstellung, den Katalanen vom katalanischen Nationalheiligtum FC Barcelona wegzulotsen, den besten Trainer vom besten Klub der Welt, das wäre wohl selbst den Bayern vermessen vorgekommen. Doch in den vergangenen beiden Jahren hat sich einiges geändert.

Hoeneß über Josep Guardiola: „Das ist der richtige Mann.“

Die Bayern gelten jetzt selbst als der beste Klub der Welt. Sie haben in der vorigen Saison alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, und auf dem Weg zum Champions-League-Triumph den FC Barcelona in zwei Spielen mit insgesamt 7:0-Toren bezwungen. „Oben zu sein ist das eine“, sagt Uli Hoeneß. „Oben zu bleiben das andere. Wenn nicht er, wer sonst könnte diese Herausforderung bestehen?“ Bayerns Präsident sitzt rechts von Guardiola auf dem Podium, und er wirkt neben dem Asketen noch viel mehr wie ein barocker Bauchmensch. Hoeneß bekommt dieses selige Lächeln gar nicht aus dem Gesicht. Er kann das nicht: seine Gefühle unterdrücken, weder im Schlechten noch im Guten. Sein aktuelles Gefühl ist: Stolz. Stolz auf diesen unglaublichen Coup, den die Bayern da wieder gelandet haben. Hoeneß erzählt von seinem Besuch bei Guardiola in New York, von dessen wunderbarer Familie, von ihrem Gespräch über den Fußball, das in Hoeneß' Erinnerung erst drei, dann vier Stunden gedauert hat. Er berichtet von Guardiolas Präsentation am Computer, was den analogen Menschen Hoeneß in der Regel wenig beeindruckt. Doch bei Guardiola war alles anders. „Nach fünf Minuten habe ich gespürt: Das passt“, sagt er. „Das ist der richtige Mann.“

Ein Triple wie Guardiolas Vorgänger Jupp Heynckes ist dem Spanier mit Barcelona auch schon gelungen

Bis vor ein paar Wochen war Jupp Heynckes noch der richtige Mann. Ein Freund der Familie, einer aus der Generation des Präsidenten, der sich im Verein der großen Egos als altersweiser Moderator ausgezeichnet hat. „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch Jupp Heynckes dankbar sein sollten“, sagt Hoeneß. Für einen kurzen Moment schimmert die Vergangenheit noch einmal durch. Man will ja nicht undankbar wirken. Aber die Zukunft hat längst begonnen. Guardiola ist 26 Jahre jünger als sein Vorgänger, und das, was Heynckes im letzten Jahr seiner Trainerkarriere geschafft hat, das Triple aus Meisterschaft, nationalem Pokal und Champions League zu gewinnen, das ist Guardiola mit Barcelona auch schon gelungen: gleich im ersten Jahr seiner Trainerkarriere. In vier Jahren holte er als Trainer mit den Katalanen 14 von 19 möglichen Titeln.

Es ist nicht allein die imposante Trophäensammlung des Pep Guardiola, die den FC Bayern angefixt hat; Guardiola steht noch viel mehr für eine Sehnsucht, der die Münchner seit Jahren hinterherjagen. Hoeneß will nicht, dass die Bayern für ihre Erfolge gefürchtet und im besten Fall bewundert werden; er will, dass sie für ihren Fußball geliebt werden. So wie der FC Barcelona unter Pep Guardiola, diesem Philosophen des Fußballs, geliebt wurde. Guardiola hat Erfolg und Schönheit miteinander versöhnt, den FC Barcelona zur aufregendsten Mannschaft des Planeten geformt und ihr ein unverwechselbares Gesicht gegeben. Der Fußball, „er ist mein Drang“, sagt Guardiola bei seiner Präsentation. „Ich liebe es, anzugreifen, das ist meine Idee vom Fußball.“

Schnell, offensiv, in seinen besten Momenten unwiderstehlich – das war der Fußball der Bayern in der vorigen Saison auch. Und mit jedem Titel, den die Mannschaft gewonnen hat, mit jedem Rekord, den sie auf dem Weg zum Triple gebrochen hat, wurde die Frage lauter: Was wollen die Bayern noch mit Guardiola? Was soll nach Perfektion kommen? „Es geht darum, aus diesem denkwürdigen Jahr eine Ära zu machen“, sagt Bayerns Kapitän Philipp Lahm.

Und Guardiola, der bisher nur den FC Barcelona trainiert hat? Wird er überhaupt mit den Eigenheiten der Bayern zurechtkommen? Wird er sich mit den drei Herren arrangieren, die neben ihm sitzen und schon aus ihren eigenen Biografien als erfolgreiche Fußballer ein Mitspracherecht in allen sportlichen Belangen ableiten? Kann er nicht nur verlieren, wenn er am Erfolg seines Vorgängers gemessen wird? Pep Guardiola sagt: „Ich kann mich nicht beklagen, hier zu sein.“

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