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Das verflixte siebte Jahr. Jürgen Klopp wird Dortmund nach dem Ende der Saison verlassen. Als sein Nachfolger wird Thomas Tuchel gehandelt.

© Cathrin Müller/M.i.S.

Jürgen Klopp verlässt Borussia Dortmund: Noch einmal um den Borsigplatz fahren

Er schluckt und räuspert sich. Und der BVB-Manager weint beinahe mit, als Jürgen Klopp seinen Ausstieg verkündet. Beide sind sich einig: Mit dem Erfolg endet auch ihr gemeinsamer Weg in Dortmund. Und eine Ära. Über den Nachfolger wird viel geredet – aber nichts gesagt.

Ach ja, Berlin ... einmal noch nach Berlin, zum Pokalfinale ins Olympiastadion und dort natürlich gewinnen, dann zurück im Triumphzug nach Dortmund ... „Noch einmal mit dem Lastwagen um den Borsigplatz fahren“, sagt Jürgen Klopp, „das wäre ziemlich lässig.“

Ziemlich lässig. Das trifft nicht ganz die Gemütslage an diesem Mittwoch in jenem Teil des Ruhrgebiets, der sich dem Ballspielverein Borussia 09 e.V. Dortmund verpflichtet fühlt. Aus und vorbei. Am frühen Nachmittag erlangt ein Gerücht Nachrichtenstatus. Ein Gerücht, das seit Stunden durch die sozialen Medien geistert und das schwarz-gelbe Dortmund komplett schwarz einfärbt. Eine Stadt trägt Trauer. Jürgen Klopp wird in der kommenden Saison nicht mehr Trainer von Borussia Dortmund sein. Der Mann, der den Verein neu erfunden hat, der dem Fußball in den vergangenen Jahren ein Stück Romantik zurückgegeben hatte, die Gewissheit, dass auch in Zeiten des globalisierten Kommerzfußballs die schwerreichen Bayern zu schlagen sind, und das sogar nachhaltig.

Zweimal in Folge hat Klopp seine Mannschaft zur Deutschen Meisterschaft geführt, der von ihm gepredigte überfallartige Tempofußball war ein paar Jahre Gegenstand philosophischer Abhandlung in den Feuilletons, und das nicht nur in Deutschland. Und jetzt hört er auf. Einfach so. Nach einem weniger guten Jahr und einem schlechten, das noch nicht ganz zu Ende ist. Klopp hat zwar noch einen bis ins Jahr 2018 datierten Vertrag, aber er mag ihn nicht erfüllen. Eine Ära geht zu Ende und mit ihr verabschiedet sich eine Figur, die die Bundesliga so stark geprägt hat wie lange niemand.

Als bei der Pressekonferenz die letzten Blitzlichter zucken und langsam Ruhe einkehrt im Auditorium, ergreift Hans-Joachim Watzke das Wort. Der Geschäftsführer wirkt ernst, mit schmalen Lippen und leerem Blick versucht er, den richtigen Ton zu treffen, es gelingt ihm nicht „Ich bin heute sehr angefasst“, sagt Watzke, „da können Sie sich sicher sein!“

Trainer und Geschäftsführer sind den Tränen nahe

Beide Seiten seien in gemeinsamen Gesprächen zu der Entscheidung gelangt, „dass der unglaublich erfolgreiche Weg, den wir in den letzten sieben Jahren gemeinsam gegangen sind, zu Ende ist“, sagt Watzke. Der Mann ist ein Selfmade-Millionär, er hat den vor der Insolvenz stehenden Verein saniert und wird gern als der starke Mann der Borussia bezeichnet. In diesem Augenblick aber fürchten viele in dem mit Reportern, Kameraleuten und Fotografen überfüllten Saal, der starke Mann werde gleich anfangen zu weinen. Er steht auf, dreht sich nach links, umarmt seinen Trainer und mag ihn gar nicht mehr loslassen. Immer wieder hat er erzählt, Jürgen Klopp sei unkündbar. Jetzt hat der sich selbst gekündigt.

Dann ist Klopp dran. Er schluckt und räuspert sich und versucht in Worte zu kleiden, was ihm vielleicht schon seit Tagen, Wochen, Monaten durch den Kopf geht. Er habe zuletzt nicht mehr das Gefühl gehabt, der perfekte Trainer für Borussia zu sein, erklärt Klopp. Eine Feststellung, die unendlich schwer fällt, „aber man ist Profi und muss so eine Entscheidung treffen“. Er sagt „man“ und nicht „ich“, und es wirkt ein wenig so, als distanziere Klopp sich von sich selbst.

Borussia Dortmund, jener Verein, der unter Klopp nach seiner Beinahe-Insolvenz einen beispiellosen Aufstieg erlebte, durchleidet schwere Zeiten. Investitionen von rund 70 Millionen Euro in neue Spieler sind wirkungslos verpufft, nach 19 Spieltagen taumelte der einstige Riese sogar als Tabellenletzter durch die Bundesliga. Die akute Abstiegsgefahr ist mittlerweile zwar gebannt, doch immer wieder erlebt die Borussia Rückschläge, die sich keiner erklären kann, nicht mal der rhetorisch so versierte Klopp.

Abschied mit Ankündigung

Eine Art Vorspiel des Abschieds war schon am Samstag zu beobachten. Beim Bundesligaspiel in Mönchengladbach, in dem die einst so stolzen Dortmunder vorgeführt wurden und sich scheinbar machtlos in ihr Schicksal fügten. Kurz vor Schluss, Dortmund lag schon 1:3 zurück, da machte Klopp das, was er eigentlich immer macht und wofür sie ihn in Dortmund geliebt haben und immer noch lieben, im harten Kern der Fans. Er hüpfte auf und ab, gestikulierte wild mit den Armen und brüllte Kommandos auf den Rasen. „Authentisch“, wurde das in seinen großen Zeiten genannt, da sei jemand, der das Spiel noch mit jeder Faser seines Körpers lebe und liebe. Einer, der nicht aus seiner Haut könne und genau deshalb von allen vergöttert wurde, von den Fans, aber auch von seinen Spielern.

An diesem Nachmittag in Mönchengladbach kommt die Liebe sehr erkaltet daher.

Das verflixte siebte Jahr. Jürgen Klopp wird Dortmund nach dem Ende der Saison verlassen. Als sein Nachfolger wird Thomas Tuchel gehandelt.
Das verflixte siebte Jahr. Jürgen Klopp wird Dortmund nach dem Ende der Saison verlassen. Als sein Nachfolger wird Thomas Tuchel gehandelt.

© Cathrin Müller/M.i.S.

Am nächsten steht Klopp der Mittelfeldspieler Sebastian Kehl, der älteste und dienstälteste Dortmunder, er spielte schon für die Borussia, als Klopp in der zweiten Liga seine Trainerkarriere begann. Kehl schaut kurz hinüber zu seinem tobenden Trainer und vollführt mit der Hand eine wegwerfende Bewegung. Krieg dich mal ein, da draußen! Kurz darauf brüllen sich die beiden noch ein paar Sachen an den Kopf, von denen auch in Zeiten allgegenwärtiger Richtmikrofone nichts Näheres bekannt ist. Später reicht Klopp eine nichtssagende Erklärung nach: „Ich habe den Jungs gesagt, dass sie die Bälle auf die Flügel spielen sollen. Das ist nicht so gut angekommen.“

In der Mannschaft regte sich Unbehagen

Es ist wohl einiges schon seit längerem nicht so gut angekommen bei den Jungs. Wer in die Mannschaft hineinhorcht, registriert schon seit Monaten ein immer deutlicheres Unbehagen über die Rolle ihres Trainers. Über die sich häufenden Auftritte in Werbespots, über den von ihm – bewusst oder unbewusst – gepflegten Starkult. Einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, spricht von den „großen Problemen, die wir hier haben, davon ahnt ihr da draußen ja gar nichts“.

Ist Klopp der Erfolg zu Kopf gestiegen? Hat er sich größer gemacht als die Mannschaft? War ihm der Fußball nicht mehr genug?

In Dortmund hätten sie gern eine Dynastie mit ihm begründet. Eine Erbmonarchie, wie sie etwa Alex Ferguson bei Manchester United eingeführt hat. In 27 Jahren gewann der Schotte 38 Titel, darunter auch zweimal die Champions League und einmal den Europapokal der Pokalsieger. Klopp wäre gern der Ferguson von Dortmund geworden. Jetzt geht er als ein Trainer, dem der Verein unendlich viel verdankt, von dem es aber am Ende heißen wird, dass er gescheitert ist. Gescheitert mit dem ambitionierten Vorhaben, einen Klub auf Dauer an der Tabellenspitze zu etablieren, dessen Mittel im Vergleich zu den Bayern, aber auch zu den Mäzenatenklubs aus Hoffenheim, Wolfsburg und demnächst Leipzig bescheiden sind. Gescheitert aber auch an dem Anspruch, eine gute Mannschaft noch besser zu machen oder zumindest ihr Niveau zu halten.

Diese Mannschaft tritt schon lange nicht mehr als verschworene Gemeinschaft auf, die ihrem Trainer bedingungslos folgt und bis zum Umfallen rennt. Ein Beispiel für den schleichenden Niedergang ist Kevin Großkreutz. Der Ur-Dortmunder galt mal als Klopps Musterschüler, doch das ist vorbei. Von der Weltmeisterschaft in Brasilien kehrte er zurück, ließ sich den WM-Pokal auf den Rücken tätowieren, doch sein untadeliges Arbeitsethos hatte er über all die Feierlichkeiten vergessen. In der Dortmunder Mannschaft spielte er eine immer geringere Rolle, zuletzt lief er in der zweiten Mannschaft auf. Mats Hummels, der als Kapitän in Krisenzeiten die Reihen schließen müsste, denkt lieber öffentlich über ein Auslandsengagement nach. Auch dies ein Indiz dafür, dass das Biotop, in dem Spitzenleistungen in einem Klima von Eintracht und Solidarität gedeihen, der Vergangenheit angehört. Auch wenn der scheidende Trainer betont, es habe „nie einen Riss zwischen mir und der Mannschaft gegeben“.

Klopp agierte zunehmend dünnhäutig

Die zunehmenden Verwerfungen wird der zunehmend dünnhäutig agierende Klopp immer deutlicher gespürt haben. „Es muss eine Veränderung her“, sagt er. „Weniger für mich als für den Verein.“ Er wolle nicht im Wege stehen, wenn Borussia Dortmund eine neue Ära einleite: „Es geht darum, die unglaublichen Möglichkeiten in diesem Verein zu nutzen, ohne ständig mit der Vergangenheit konfrontiert zu werden. Dafür muss ein großer Kopf weg.“

Der größte Kopf, den Borussia Dortmund zu bieten hat, das ist – Jürgen Klopp. „Wir haben in den letzten sieben Jahren mit ihm ein modernes Fußballmärchen geschrieben“, sagt Michael Zorc, der Sportdirektor. Er bildete mit Klopp und Watzke das Triumvirat, das für den Aufschwung stand. Auch er wirkt angeschlagen, es gehe da ja nicht einfach nur um einen Angestellten, sondern um einen Freund und Weggefährten. „Jürgen hat diesem Verein viel Energie und Optimismus mitgegeben“, sagt Zorc und widmet Klopp noch eine persönliche Ansprache: „Du hast diesen Klub, aber auch mir persönlich viel Energie und Optimismus mitgegeben. Ich glaube, alle BVB-Mitarbeiter und unsere Mannschaft sollten dir den Abschied bereiten, der diesen sieben Jahren gerecht wird. Es war eine wunderbare Zeit der Zusammenarbeit.“

Wer wohl Klopps Nachfolge antreten wird

Das verflixte siebte Jahr. Jürgen Klopp wird Dortmund nach dem Ende der Saison verlassen. Als sein Nachfolger wird Thomas Tuchel gehandelt.
Das verflixte siebte Jahr. Jürgen Klopp wird Dortmund nach dem Ende der Saison verlassen. Als sein Nachfolger wird Thomas Tuchel gehandelt.

© Cathrin Müller/M.i.S.

So emotional die Trennung am Mittwoch auch zelebriert wird – so überraschend kommt sie nicht. Unter den Trainern der Bundesliga soll Klopps Demission zum Saisonende schon lange ein offenes Geheimnis gewesen sein, und es wurde wohl nur deshalb nicht kommuniziert, weil sich kein Schwergewicht aus der Branche für eine Nachfolge begeistern ließ.

Dass es nun so schnell ging, hat weniger mit den jüngsten Niederlagen gegen Mönchengladbach und Bayern München zu tun, sondern mit der am Mittwoch abrupt und völlig überraschend veränderten Tektonik der Liga. Dieser Mittwoch könnte als einer der verrücktesten Tage in die Geschichte der Liga eingehen. Als der Tag, an dem erst der Tabellenletzte Hamburger SV sich zum dritten Trainerwechsel in dieser Saison entschloss und für die letzten sechs Spiele und auch noch das kommende Jahr den dort schon einmal geschassten Bruno Labbadia engagierte. Das war insofern überraschend, weil die Hamburger eigentlich als neue Arbeitgeber für den begehrtesten Trainer der Liga galten: Thomas Tuchel, das vermeintliche Wunderkind, von dem alle in der Branche glauben, er werde das Spiel einmal so prägen wie früher Klopp und jetzt der Münchner Pep Guardiola.

Tuchel hat bisher nut in Mainz gearbeitet

Wer weiß schon, ob er diesem Anspruch einmal gerecht werden kann, denn Tuchel hat bisher nur im beschaulichen Mainz gearbeitet und war dort nach fünf Jahren so erschöpft, dass er diese Saison zum persönlichen Sabbatical umfunktionierte. Die Hamburger aber hätten ihm gern alles Geld der Welt hinterhergeworfen, verbunden allerdings mit der Auflage, er müsse jetzt schon übernehmen und den Abstieg verhindern. Tuchel lehnte ab, der HSV holte Labbadia und plötzlich ist da eine neue Perspektive für Dortmund. Es werden sich schwerlich Buchmacher finden lassen, die noch Wetten darauf annehmen, dass Thomas Tuchel in der kommenden Saison die Kommandos im Westfalenstadion gibt.

Über seine Zukunft mag Klopp nichts sagen, und Fragen nach einem Nachfolger sind an diesem Mittwoch ausdrücklich verboten – das gebiete „der Respekt vor diesem großartigen Trainer“, sagt der Pressesprecher. Es ist noch nicht vorbei in diesem Frühling des Abschieds. Sechs Spiele in der Bundesliga stehen noch an, dazu das Pokal-Halbfinale, ausgerechnet beim alten Rivalen Bayern München. Alles kann noch gut werden, jedenfalls ein bisschen. Hoffen die Dortmunder, hofft Jürgen Klopp.

Einmal noch nach Berlin ...

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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