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Schüler und Lehrer. Jürgen Klopp mit seinem ehemaligen A-Jugendtrainer, dem kürzlich verstorbenen Walter Baur.

© Pressefoto UL

Jürgen Klopp: Vom verlorenen Luxus des Innehaltens

Dortmunds Trainer Jürgen Klopp predigt Gier und Leidenschaft. Aber manchmal sind Ehrgeiz und Erfolg wenig gegen das Leben.

Als die Meisterschale im Stadion übergeben und die Pressekonferenz absolviert war, stand Jürgen Klopp auf dem Weg nach unten am Aufzug und holte erst einmal tief Luft. Neben ihm stand der Pressechef von Borussia Dortmund, den der Trainer fragte, ob an diesem Tag noch viel zu erledigen sei. Josef Schneck rasselte die Namen von all den Fernsehsendern herunter, die nach einem Exklusivinterview verlangt hatten. „Oh nein“, stöhnte Klopp, ließ sich nach vorn fallen und fing sein Gewicht scheppernd mit dem Kopf an der silbernen Tür auf.

Es ist nicht immer einfach, der gefragteste Trainer der Republik zu sein, vor allem in diesen Tagen, wo die Rekorde purzeln und ein Highlight das nächste jagt. Samstag ist es wieder soweit, DFB-Pokalfinale, der Gegner kein Geringerer als der FC Bayern München, ein Klassiker also. Millionenpublikum.

Jürgen Klopp würde sich niemals darüber beklagen, schließlich hat er sich all das selbst ausgesucht und für den Erfolg und die immer größer werdende Popularität gearbeitet. Längst vorbei sind die Tage, in denen er im beschaulichen Mainz ruhig vor sich hin werkeln durfte und lediglich einige Lokalreporter auf die Idee kamen, sein Wirken erklärt haben zu wollen. So wird es nie wieder sein.

Er ist jetzt ganz oben, er ist nicht mehr nur der geniale Motivator, wie manche glaubten. Zweimal Meister wird man nicht nur durch Motivation. Im Olympiastadion könnte er seinem Klub mit dem Pokalsieg das erste Double der 103-jährigen Vereinsgeschichte schenken. Der 45-Jährige und seine Mannschaft sind vom Ehrgeiz getrieben, in der phänomenalen Rückrunde eilten die Dortmunder von Sieg zu Sieg. Es ist diese Gier, die in Dortmund alle antreibt, und die Klopp immer wieder propagiert. Das bringt viele unvergessliche Momente, doch was bei diesem irrwitzigen Tempo zwangsläufig auf der Strecke bleibt, sind Zeit und Muße, das Erreichte genießen zu können.

Zwischen Schüler und Mentor gab es enges Band

Auf der Zielgeraden der Saison hat Klopp sehr schmerzlich erfahren müssen, dass er den Luxus des Innehaltens ein Stück weit für seine außergewöhnliche Karriere geopfert hat. Samstags hatte seine Mannschaft das Revierderby auf Schalke gewonnen, montags erfuhr der Trainer, dass sein Jugendcoach und Mentor Walter Baur mit 62 Jahren im schwäbischen Ergenzingen gestorben war. Zur Beerdigung am Freitag konnte Klopp nicht fahren, weil er seine Spieler auf den finalen Meisterakt gegen Mönchengladbach vorbereiten musste. Er guckt ein wenig verlegen und sagt, stattdessen „hat mich meine Mutter vertreten, ich werde Walters Grab besuchen, sobald ich wieder in der Heimat bin“.

Zwischen dem Mann, der ihn einst aus Glatten im Schwarzwald zum TuS Ergenzingen holte, und seinem Zögling gab es ein enges Band, das auch dann noch hielt, als sich die Wege längst getrennt hatten. „Walter Baur hatte eine unheimliche Empathie für junge Fußballer“, erzählt Klopp im Gespräch. „Er war uns ganz nah und konnte dabei doch extrem streng sein.“

Der Zuhörer kann sich lebhaft vorstellen, woher der Meistertrainer seine Aura hat. Ganz ähnlich klingt es, wenn Klopps Wirken in Dortmund von Beteiligten beschrieben wird.

Walter Baur, dieser eigenwillige Jugendtrainer, verlangte von seinen Spielern, eine halbe Stunde vor Trainingsbeginn auf dem Platz zu sein. „Auf das Tor zu schießen , war strengstens verboten“, erzählt Klopp. Stattdessen war jonglieren mit dem Ball angesagt, „nach einem halben Jahr hätten wir bei jeder Weihnachtsfeier als Seehund auftreten können“. Aufgemuckt hat niemand, „wir haben Walter Baur alle geliebt, wir wären für ihn 800 Mal um den Baum gelaufen, wenn er das verlangt hätte“.

Vor dem Finale machte Klopp Baur noch ein Geschenk

Auch diese Überzeugungskraft eint den Lehrmeister und seinen erfolgreichsten Schüler. Wer Walter Baur in Ergenzingen besuchte, konnte erleben, wie dieser kautzige Kerl aus einem Schuhkarton ein altes Schwarz-Weiß-Foto fingerte, das einen Teenager mit abenteuerlichem Brillengestell und einem noch abenteuerlicheren Oberlippenbart zeigt. Mittlerweile trägt Jürgen Klopp einen Fünf-Tage-Bart, die markante Kappe mit der Aufschrift „Pöhler“ und ist hierzulande als Trainer der größte Star seiner Zunft.

Klopp berichtet, wie er Walter Baur eine Karte für das Pokalfinale kaufte und ihn zwei Wochen vor dessen Tod anrief, um ihm von seinem Geschenk zu berichten. Der ehemalige Trainer war gerührt, noch niemals in seinem Leben sei er in Berlin gewesen. „Nach dem Gespräch hatte ich das Gefühl: Das ist das Beste, was du mit der Karte machen konntest“, berichtet Klopp: „Und dann ereilt dich aus heiterem Himmel diese Schocknachricht.“

Jürgen Klopp hat seine fußballerischen Wurzeln im schwäbischen Dorf Ergenzingen nahe Tübingen niemals vergessen. Vor allem diesem Umstand ist es zu verdanken, dass dieser Mann bislang so erdverbunden rübergekommen ist, wie es hundertfach beschrieben wurde. Neulich ist Jürgen Klopp gefragt worden, wie nachhaltig sich sein Alltag durch all den Hype verändert habe, der um seine Person gemacht wird. „Ich habe ein großartiges Leben mit einer phantastischen Familie und einem tollen Job“, antwortete er. „Mein Bekanntheitsgrad ist größer geworden, und ich habe mich hoffentlich ein wenig entwickelt. Aber ich habe mich nicht verändert.“

Wenn Jürgen Klopp dies bei anhaltenden Popularitätswerten auch weiterhin glaubhaft machen kann, hat er das wichtigste Vermächtnis seines Mentors verinnerlicht. Es wäre sein ganz persönlicher Erfolg und mindestens genau so wertvoll wie ein Pokalsieg gegen Bayern München.

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