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 Abtauchen Unmöglich. Die Betreuung von minderjährigen Sportlern erfordert nicht nur Einfühlungsvermögen, sondern auch das Erkennen von fragwürdigen Situationen.

© dpa

Jugendtrainer: An der Bettkante einer 14-Jährigen

Trainer müssen vermeiden, dass sie jungen Sportlern zu nahe kommen. Weil gerade im Sport Nähe und Nötigung oftmals eng beieinander liegen, müssen sie fragwürdige Situationen frühzeitig erkennen können.

Sie hatte natürlich keinen Ruhepuls, den hat sie nie auf Kontrollgängen. Beate Ludewig ist lange genug im Geschäft, sie weiß, dass sie auf alles Mögliche vorbereitet sein muss. In den Hotelzimmern lagen ihre Schwimmerinnen, 14, 15, 16 Jahre alt; es gibt dankbarere Aufgaben, als bei ihnen den Aufpasser zu geben. Aber Beate Ludewig ist nicht bloß die Bundestrainerin für den Jugendbereich, sie ist auch der Typ „resolute Mama“, ihr machte das nicht viel aus. Bei deutschen Jugendmeisterschaften, wie jetzt im Frühjahr, gehört das dazu.

Aber dann stand sie plötzlich in dieser Tür, und sie hatte Mühe, nicht sofort loszubrüllen. Auf der Bettkante saß ein Trainer, Zentimeter entfernt von einer 14-Jährigen, die im Nachthemd mit ihm plauderte. Ludewig beendete zornrot die Szenerie, und vor der Tür brüllte sie ihren Kollegen an: „Bist du blöd? So bescheuert kann man doch gar nicht sein.“

Ein Trainer allein im Zimmer einer Athletin, schlimmer noch: auf der Bettkante. Einer der größten Regelbrüche, die es gibt im Trainer/Sportler-Verhältnis. Es ist nichts passiert, es war der langjährige Heimtrainer der 14-Jährigen, er hatte sich nichts dabei gedacht. Aber darum geht’s nicht. Es geht darum, jede angreifbare Situation zu verhindern.

„Man ist ganz schnell in einer schlimmen Geschichte“, sagt Ludewig.

Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs oder der sexuellen Belästigung – sie nehmen auch im Sport zu. Schwimm-Bundestrainer Stefan Lurz soll eine 15-jährige Athletin sexuell missbraucht oder genötigt haben, am Montag wurde er verhört. Lurz bestreitet alle Vorwürfe, niemand weiß, ob er Opfer oder Täter ist.

Sport ist auch eine Gratwanderung. Wie nahe darf ein Trainer Athleten kommen? Was ist an Hilfestellung, an Körperkontakt erlaubt? Was ist verboten?

Es gibt einen Ehrenkodex, Trainer müssen ihn unterschreiben. Jede Form von Beleidigung, Nötigung, Diskriminierung ist verboten. Beste Theorie. Aber sie muss in der Praxis umgesetzt werden, und in der Praxis, beim Training, verläuft vieles in einer Grauzone. „Ganz klare Regeln gibt es nicht“, sagt Reinhard Ketterer, der Leitende Eiskunstlauf-Landestrainer von Berlin. „Jeder muss selber das richtige Verhältnis zwischen Nähe und Distanz finden.“ Er hält sich, wenn irgendwie möglich, „an das amerikanische Modell“. Das amerikanische Modell verbietet auch im Training jeden Körperkontakt.

Ketterer kann die ganzen Sorgen und Probleme in einem Wort bündeln: Vorsicht. „Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht“, erklärt er, und seine Stimme klingt dabei sehr eindringlich. Manchmal, sagt er, und er meint andere Athleten, andere Trainer, „wäre eine Hilfestellung hilfreich“ – aber „nicht unbedingt nötig“. Vorsicht ist im Zweifelsfall wichtiger als Feinabstimmung.

Klare Regeln gibt es außerhalb der Eisfläche. Bei Kontrollgängen im Hotel ist Ketterer nie allein, ins Zimmer von Mädchen geht eine Kollegin, ins Zimmer von Jungen er als Mann. Der Begleiter steht als Beobachter im Türrahmen. Er lässt auch grundsätzlich bei Gesprächen mit Athleten in seinem Büro die Tür offen.

Seit 18 Jahren lebt der gebürtige Bayer in Berlin, Beschwerden wegen angeblicher sexueller Übergriffe hatte er noch nie. Alles das Ergebnis klugen Verhaltens? „Nein“, sagt Ketterer, „Zufall.“ Denn einen endgültigen Schutz für Athleten, aber auch für Trainer, den gibt es nicht.

Beate Ludewig hatte zu DDR-Zeiten erlebt, wie eine 14-jährige Schwimmerin in einem Trainingslager einem Arzt sexuellem Missbrauch vorwarf. Der Arzt war außer sich, Ludewig untersuchte den Fall, das Mädchen gestand, sie habe alles erfunden. Rache, weil der Mediziner nicht reagiert hatte, als sie ihn anhimmelte.

Aber da ist auch dieser Schwimmtrainer in Linz, den man im März fristlos entlassen und der einen Selbstmordversuch unternommen hat. Zwei Athleten hatten ihn angezeigt. Der Coach habe sie früher sexuell missbraucht, gaben sie zu Protokoll. Auf dem Computer des Mannes fand die Kripo kinderpornografische Bilder. Kurz darauf gestand der Coach die Taten.

In Düsseldorf ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen Ex-Turntrainer. Er soll zehn ehemalige Athletinnen, damals Kinder, sexuell missbraucht haben. Der Coach habe sie intim berührt, es sei nicht bloß Hilfestellung gewesen, sagten sie. Der Trainer bestreitet alle Vorwürfe, er habe lediglich bei Übungen geholfen. Eine Psychologin hatte Zweifel, dass die Angaben der Turnerinnen vollständig wahr sind. Möglicherweise hätten sie die Hilfestellung falsch interpretiert. Der Fall ist noch nicht geklärt.

Vor ein paar Wochen hat Beate Ludewig wieder Talente betreut, 12, 13 Jahre alt. Am Abend mussten alle Zimmertüren offen stehen, zur Kontrolle. Die Bundestrainerin hatte Bettgespräche verboten. Ludewig selber hockte im Flur, konzentriert wie ein Wachhund. Sie stand erst auf, als alle Kinder schliefen.

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