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Flasche leer: Für Jupp Heynckes ist nach der Saison Schluss - zumindest beim FC Bayern.

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Update

Jupp Heynckes: Die Leichtigkeit des Abschieds

Auch wenn es für die Bayern noch nicht zur Meisterschaft gereicht hat, ist der Triumph nur eine Frage der Zeit. Am Ende könnten sie noch DFB-Pokal und Champions League gewinnen. Doch der Trainer, dem sie dies verdanken, muss gehen.

Am Mittwoch kam die bittere Kälte auch in München an. Was aber die üblichen 2.000, 3.000 Menschen nicht abhalten konnte, dem FC Bayern München beim Üben zuzuschauen. Viel gab es nicht zu sehen, weswegen Uli Köhler, der Reporter von Sky, der laufenden Kamera vor allem mitteilen konnte, dass alle Mütze tragen, nur die Südamerikaner nicht, „also die, die eigentlich frieren müssten“.

Es sind spärliche Übungseinheiten, die Trainer Jupp Heynckes in dieser Endphase der Saison anordnet, ein bisschen Kurzpasstraining, ein paar gymnastische Übungen. Es hat ja auch durchaus Sinn, das Training dezent zu dosieren nach einer langen Saison mit drei Wettbewerben und all den Spielen in den diversen Nationalmannschaften, der FC Bayern beschäftigt ja praktisch nur Nationalspieler. Aber diese Sparsamkeit, dieses Haushalten mit den Kräften ist auch ein Grund, warum es nicht nur draußen in der Stadt frostiger geworden ist, sondern auch Zeichen existieren, dass es im inneren Zirkel des Klubs nicht anders ist. Indes, beim FC Bayern sind immer Geräusche zu hören, die interpretationswürdig sind, auch überinterpretationswürdig.

Bereits am Sonnabend kann der FC Bayern München die erneute Deutsche Meisterschaft feiern, vorausgesetzt Borussia Dortmund spielt am Nachmittag beim VfB Stuttgart nur Unentschieden und die Bayern gewinnen am Abend ihr Heimspiel gegen den Hamburger SV. Eine solch frühe Entscheidung hat es noch nie gegeben in 50 Jahren Bundesliga. Sollte es schon gelingen, wird aber nicht gefeiert, Feiern sind verboten, „auf keinen Fall, es wird nicht einmal ein Essen geben“, wie Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge mitteilt, keine Bierduschen, keine Käppis, keine T-Shirts, auf denen zu lesen ist „Deutscher Meister 2013“.

Das ist gewiss auch Rücksicht auf die anstehenden Aufgaben, doch ist es auch die Angst, die hemmt, die Angst vor dem Versagen, trotz des sicheren Titels – wird er heute nicht eingefahren, dann eben nächste Woche. „Wir können Geschichte schreiben“, sagt Jupp Heynckes – oder eben auf fast lächerliche Weise scheitern. Wie in der vergangenen Saison, in der die Münchner in der Meisterschaft, im nationalen Pokalwettbewerb und in der Champions League höchst aussichtsreich im Rennen lagen, am Ende aber nur dreimal Zweiter wurden. Schon für kommenden Dienstag ist das Viertelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Juventus Turin terminiert – erster Stolperstein, am 16. April spielt der Klub das Halbfinale des DFB-Pokals gegen den VfL Wolfsburg – zweiter Stolperstein. Da kommt ein Umstand, den Präsident Uli Hoeneß in den vergangenen Tagen herausgefunden hat, eher kontraproduktiv daher: „Wir spielen seit Wochen einen gewaltigen Dreck!“ Schreibt Dreck Geschichte?

Es wäre nicht der FC Bayern, hätte es im Verlauf der Spielzeit nicht auch Irritationen gegeben. Die bleiben nie aus, nicht einmal, wenn die Bayern so souverän wie wohl noch nie eine deutsche Mannschaft durch die Liga marschierten, wenn sie die Pokalaufgaben lässig abschüttelten und wenn sie Europa demonstrierten, dass Real Madrid, der FC Barcelona und die anderen üblichen Verdächtigen fürs Nonplusultra des Weltfußballs den Vergleich mit den Bayern zwar nicht scheuen müssen, ihm aber in dieser Saison nicht wirklich standhalten.

Verantwortlich für all das Gute, das mitunter auch noch mit einer Ästhetik daherkam, die selbst notorische Bayern-Hasser überzeugte: Jupp Heynckes. Lange Zeit hat das niemand bestritten, zumindest öffentlich nicht. Da lobte Präsident Hoeneß „die großartige Arbeit“ des Trainers, aber der Präsident ist ohnehin befangen, er ist eng befreundet mit Heynckes. Aber als Matthias Sammer, der Manager, sein Haupt erhob, kamen zumindest Zweifel auf, ob die Konstellation ein Segen sei: Da der Manager, kantig, stur, eher konservativ, ein Vertreter der Spezies, die Fußballspieler vor allem Gras fressen sehen möchte, ein Mann, der den ganzen Tag lang Fußball erklärt. Und hier der Trainer, der von Haus aus weiß, wie es geht, ergraut in ungezählten Spielen als Spieler und Trainer, der in all den Jahren, spät zwar, aber dann gründlich vor allem eins gelernt hat: Gelassenheit. „Mich schreckt nichts mehr, allenfalls der Tod“, sagte er zu seinem Amtsantritt vor zwei Jahren.

Heynckes hat dann aber in dieser laufenden Saison einige Male Anlass gesehen, auf sich und seine Meriten hinzuweisen. Im Trainingslager in Katar etwa hob er mal beiläufig hervor, dass dieser von ihm aufgestellte, betreute und von Sieg zu Sieg geschickte FC Bayern der beste FC Bayern aller Zeiten sei. Das kann man so sehen. Ein anderes Mal überraschte er mit einer Anekdote aus seinen ungeschriebenen Memoiren, nämlich, dass der Deutsche Fußball-Bund ihn dreimal gefragt habe, ob er nicht die Geschicke der Nationalmannschaft lenken wolle. Das war zwar weitgehend bekannt, und bei Können und Erfolg des Jupp Heynckes auch nur zu verständlich, aber so ungefragt und scheinbar unmotiviert hinausposaunt, wirkte es ein bisschen wie die Korrekturen eines Mannes, dessen Leistung nicht genug wertgeschätzt wird.

Möglicherweise wäre auch die Personalie um den künftigen Trainer Pep Guardiola schlicht der größte Coup im Trainerwesen des deutschen Fußballs geblieben, wenn es diese leichten Sticheleien und argwöhnischen Blicke etwa des Managers nicht gegeben hätte. So aber wurde die Verpflichtung des Stars vom FC Barcelona auch ein kleines Misstrauensvotum gegen Heynckes. Zumindest wurde sie als solches interpretiert. Als der Wechsel publik wurde, blamierte sich der FC Bayern ein wenig mit unterschiedlichen Aussagen, ob, inwieweit und wann Heynckes eingeweiht war in den spektakulären Transfer seines Nachfolgers. Und plötzlich war auch die Rede davon, dass Heynckes keineswegs am Ende seiner langen Laufbahn angekommen sei, dass er auch mit bald 68 noch nicht gedenke, seine Zukunft als Rentner mit nach Auslauf hechelndem Schäferhund zu verbringen.

Das ohnehin etwas weglobend wirkende Angebot von Karl-Heinz Rummenigge, Heynckes könne ja in Bälde im Beirat des FC Bayern wirken, wies er mit für ihn recht harschen Worten zurück: „Ich bin kein Funktionär.“ Er schaute dabei, als wäre Funktionär zu sein, etwas höchst Anrüchiges, etwas für Schmarotzer, aber doch nichts für ihn, den Mann der Praxis. Inzwischen sind auch im Fußball die kleinen Dinge, die Gedanken zwischen den Worten oder eine hochgezogene Augenbraue so bedeutungsschwanger wie eine Erklärung zur Lage der Nation.

Wird es seine letzte Meisterschaft sein? - Da lacht Heynckes.

Ein Ende in Schönheit. Aber vielleicht ist es ja gar kein Ende, vielleicht macht Jupp Heynckes doch noch weiter. Aber wo, bei welchem Verein? Der Trainer schweigt und freut sich seines Schweigens.
Ein Ende in Schönheit. Aber vielleicht ist es ja gar kein Ende, vielleicht macht Jupp Heynckes doch noch weiter. Aber wo, bei welchem Verein? Der Trainer schweigt und freut sich seines Schweigens.

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Möglicherweise hatte sich Rummenigge nichts dabei gedacht, als er Heynckes den Beiratsposten anbot, möglicherweise war das auch als seine Möglichkeit gedacht, höchstes Lob auszusprechen. Möglicherweise kann man aber auch ein Austragshäuserl hineinlesen, das Rummenigge dem Trainer gnadenweise offerierte, und das wäre in der Tag eines Jupp Heynckes unwürdig. Lassen wir es dabei bewenden, dass Rummenigge in Fragen der Diplomatie und der Sensibilität nicht immer die glücklichste Hand hat.

Heynckes indes ist klug genug, um zu wissen, dass ein Verein, der nicht nur in der Gegenwart denken kann, zugreifen muss, wenn sich die Gelegenheit ergibt, einen Mann wie Guardiola zu binden. Unabhängig davon, ob einem Mann wie Heynckes nicht auch noch ein Ehrenjahr gebührt hätte. Kann sein, dass er sich das gewünscht hat, er äußert sich nicht dazu. Und unter anderen Umständen hätte man es ihm gewiss auch angeboten. Es ist nämlich fast ein Treppenwitz der Geschichte, der Geschichte des Fußballspielers, Trainers und Menschen Jupp Heynckes, dass ihn der designierte Abschied vom aktiven Fußball in einer Zeit trifft, in der er den absoluten Höhepunkt erlebt.

Am Karfreitag, über München schien endlich wieder die Sonne und das Thermometer erreichte lange nicht mehr gekannte Höhen knapp über dem Gefrierpunkt, erschien eben dieser Jupp Heynckes zum vor Heimspielen obligatorischen Get-together mit den örtlichen Pressevertretern. Er erschien bestens gelaunt, mit der Konstitution eines drahtigen Mittfünfzigers und mit der Erhabenheit eines Grandseigneurs, der alles weiß in diesem Geschäft und sich über dessen Hysterie höchst vergnügt amüsieren kann. Dass es keine Feierlichkeiten geben wird nach dem etwaigen Titelgewinn, ist die eine Sache, ob Jupp Heynckes denn seine Lederhose nicht doch sicherheitshalber mit ins Stadion nehmen würde, die andere. Der Fragesteller erntet eine hochgezogene Augenbraue, er erntet ein Grinsen und er erntet ein „Nee“. Ob es nicht doch ein kleines Buffet geben werde, „aber ja, einen rheinischen Sauerbraten“, sagt Henyckes, der Mann vom linken Niederrhein, und gluckst in sich hinein, wohl ahnend, dass es ein, zwei Menschen im Plenum gibt, die seine Ironie nicht verstehen, sondern ernst nehmen. Es sind harmlose Geplänkel, in denen Heynckes allenfalls mal ein Florett einsetzt. Das war in früheren Jahren, als Heynckes spröde war, unzugänglich, schnell genervt und schnell beleidigt, doch ganz, ganz anders.

Vielleicht ist es ja diese Leichtigkeit, die ihn zögern lässt, das Ende seiner Karriere zum Saisonfinale zu verkünden. Würde etwas anderes Sinn machen? Was könnte nach dieser Saison noch kommen? Noch einmal mit einem anderen Klub den dreifachen Triumph – das wird er nicht mehr bekommen, nur der FC Bayern ist dazu in der Lage, beim FC Bayern aber trainiert er nicht mehr. Also, Herr Heynckes, ob morgen oder nächste Woche, die Meisterschaft ist sicher. Und das dürfte dann die letzte Meisterschaft der Laufbahn ein. Da könnte Wehmut aufkommen, Melancholie. „Ja“, sagt der Jupp, „meine erste als Spieler war die schönste Meisterschaft. Und vielleicht wird die jetzt auch etwas ganz Besonderes, ich weiß nicht, was das mit mir macht.“ Aber, es wird die letzte sein? Da lacht der Trainer, strafft den Rücken, lächelt dann in sich hinein und sagt: „Das weiß man nicht.“

Man kann nun hineininterpretieren, dass dies ein klares Bekenntnis zu einem Wechsel zu einem anderen Verein bedeutet. Spekulationen, dass Schalke 04 mehr als interessiert sei, an dem Trainer, der schon einmal in Gelsenkirchen tätig war und an den dortigen eher unruhigen Strukturen verzweifelte und scheiterte.

Eher wahrscheinlich ist aber, dass Heynckes sich einfach nur wohlfühlt, dass er bester Stimmung ist, obwohl die Arbeit schwer ist, der Anspruch hoch und der Druck vor den nächsten Spielen gewaltig. Man muss ihm nur zusehen, wie er die Situationen der Spieler analysiert, ihre Befindlichkeiten nach der Länderspielpause und die damit verbundenen Beschwerlichkeiten, wie er etwaige Reisestrapazen berücksichtigt bei der Bewertung der Spielerform, mit welcher Akribie er dabei vorgeht, mit welcher Empathie und mit welcher Begeisterung, um den Spaß zu erkennen, den ihm seine Arbeit macht. Fast wirkt es, als ob Jupp Heynckes, der Mann, der alles gewonnen hat, was es im Fußball zu gewinnen gibt, zum ersten Mal wirklich und rundherum Spaß an seiner Arbeit hat.

Und weil ja auch in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen das fortgeschrittene Alter kein Hindernisgrund mehr ist fürs Mittun in der Gesellschaft, kann man sich auch bei Jupp Heynckes vorstellen, dass er ganz einfach nicht loslassen möchte von dieser Freude und dem Spaß. Ob er denn glaube, dass der FC Bayern auch in Zukunft derart dominant daherkomme wie unter seinen Fittichen, wurde er noch gefragt. Das liege ja nun nicht mehr in seiner Verantwortung, sagte er. Und wer in seinem Lächeln Süffisanz erkennen wollte und einen Seitenhieb auf den Nachfolger und die verantwortlichen Herren, der muss schon interpretationssüchtig sein. Nein, am Ende dieser grandiosen Saison, am wahrscheinlichen Ende einer noch grandioseren Laufbahn, ist kein Arg, kein Groll. Da ist nur der völlig unverkrampfte, innige Wunsch, „Geschichte zu schreiben“.

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