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Sport: Kaderschmiede "made in East Germany" soll für Medaillensegen sorgen

CANBARRA .Die DDR ist tot, am anderen Ende der Welt lebt ihr Sportsystem fort.

CANBARRA .Die DDR ist tot, am anderen Ende der Welt lebt ihr Sportsystem fort.Was sich einst im Osten Deutschlands bewährte, wurde in "down under" zielstrebig auf das Australian Institute of Sport (AIS) übertragen und perfektioniert."Natürlich haben wir uns aus Ostdeutschland sehr vieles abgeguckt.Wir haben uns dort schon lange vor dem Mauerfall umgeschaut und unsere Schlußfolgerungen gezogen", gibt AIS-Pressesprecher Allan Yates ehrlich zu."Aber unser Institut ist keine Kopie.Es ist eine Mischung aus dem DDR-System und dem College-System in den USA.Wir haben das etwas variiert, zum Beispiel indem wir unsere Türen täglich für tausende Besucher aufmachen, indem wir nichtolympische Sportarten fördern, viele ausländische Trainer beschäftigen - also indem wir offen für alle sind.Beispielsweise hätten wir überhaupt nichts dagegen, wenn die deutschen Olympiateilnehmer in zweieinhalb Jahren hierherkommen würden, um sich die letzten Tage vor Beginn der Spiele in Sydney auf unserem Gelände zu akklimatisieren.Wir würden uns sogar sehr darüber freuen."

Die australische "Kaderschmiede" befindet sich am Rande der 250-Einwohner-Hauptstadt Canberra.Etwa zehn Auto-Minuten von der Metropole entfernt, gehört das AIS-Areal mit seinen hochmodernen Sporthallen gewissermaßen schon zum Outback.In insgesamt 28 Sportarten werden am AIS Athleten für ihre Auftritte in den internationalen Arenen und für Olympia 2000 fit gemacht.Schwimmer, Leichtathleten, Ruderer oder Schützen (insgesamt etwa 150) wohnen im Internat auf dem Instituts-Gelände, noch einmal so viele direkt in Canberra.Weitere 300 ausgewählte Kader-Athleten tragen das blau-weiß-rote AIS-Signet in den Außenstellen auf dem Trikot.In Brisbane und an der Goldcoast, den Zentren der Wasserspringer, Squash-Spieler und Kanuten, in Adelaide (Bahnradsport), in Perth (Hockey) und in Melbourne (Golf und Tennis)."Für uns ist dieses System ideal.Wir wohnen praktisch auf dem Trainingsgelände", berichtet der 19jährige Volleyballer Kallen Houghn."Die Trainer, Ärzte, die Forscher, die Ernährungswissenschaftler, alle sind sofort greifbar.Die Uni in Canberra, an der die meisten hier studieren, ist ganz nahe.Alle Wettkampfreisen und Trainingslager werden vom Institut bezahlt.Für uns ist das ideal." Manche Sportler kommen schon im Alter von fünf Jahren ans AIS nach Canberra, manche erst mit fünfzehn.Manche bleiben zwei Jahre, manche ewig."Das ist von Sportart zu Sportart unterschiedlich.In jedem Fall sind regelmäßig Leistungssteigerungen nachzuweisen und Normen zu erfüllen, um das Stipendium zu behalten", berichtet der 24jährige Leichtathlet Dwine Cousin.

Das Delegierungs-System von Talenten in gemeinsame Trainingsgruppen der nationalen Elitesportler und zu befähigten Übungsleitern ist eines der auffälligsten Elemente, die in "down under" zielstrebig aus der ostdeutschen Erbmasse übernommen wurden.Jeder Athlet, auch wenn er am AIS tausende Kilometer von zu Hause entfernt lebt, gibt sich "stolz und zufrieden", daß er zu den ausgewählten Stipendiaten gehört.Ganze Strukturen scheinen kopiert, wie der Besucher aus der Fremde verblüfft feststellt.Selbst in den "kleinen Disziplinen" wie Badminton, Schießen, Tischtennis oder Boxen wird derzeit auf dem fünften Kontinent fieberhaft gearbeitet.Schließlich gilt es für die nächsten Olympischen Sommerspiele 2000 in Sydney eine Olympiamannschaft zu formen, die das Gastgeberland würdig vertritt.

Zum Stab der Mitarbeiter aus aller Welt, auf die das AIS zurückgreift, gehört auch ein halbes Dutzend Experten aus Deutschland.Im Sommer vorigen Jahres stieß der frühere Weltklasse-Geher Ronald Weigel aus Potsdam in seiner Spezialdisziplin als australischer Bundestrainer zu seinen deutschen Kollegen.Wie Harald Jährling aus Magdeburg (Rudern), Heiko Salzwedel aus Cottbus (Straßenradsport), Bodo Andreass aus Berlin (Boxen) oder Claudia Kulla (Schießen) bereitet der Ex-Weltmeister die australischen Sydney-Kandidaten auf die nächsten Sommerspiele vor.

Selbstverständlich ist auch inhaltlich vieles "made in Germany".Beispielsweise ein typisches DDR-Programm "zur Identifikation und Entwicklung von Talenten", das man in Canberra erfolgreich in die Tat umsetzt.Bereits 1987 hatte man am AIS damit begonnen, in Schulen gezielt nach jungen Leuten zu suchen, die geeignete körperliche Voraussetzungen für das Rudern mitbrachten.Rund 500 Jugendliche wurden präzise vermessen, 47 von ihnen anatomisch für besondes geeignet befunden.Zwei von ihnen gewannen in Atlanta Olympia-Gold.

"Für die weltbesten Sportler die weltbesten Trainer und die weltbesten Bedingungen", erläutert Yates jene Philosophie, die aus einer großen Pleite erwuchs.Bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal gewann die Sportnation im Zeichen des Känguruhs nur eine Silber- und vier Bronzemedaillen."Die allgemeine Enttäuschung im ganzen Land damals war riesig.Das war der Punkt, an dem die Lobbyisten des Sports den Politikern klarmachen konnten, daß spätestens zu diesem Zeitpunkt etwas passieren mußte." Seit der Gründung des Instituts, das 1981 bescheidene Anfänge erlebte, ging es beständig aufwärts.Bei den Sommerspielen in Atlanta 1996 gewannen australische Sportler neun Gold-, neun Silber- und 23 Bronzemedaillen.Ein Ergebnis, das ohne die AIS-Programme undenkbar gewesen wäre.Im Jahr 2000 in Sydney sollen es jeweils zwanzig Gold-, Silber- und Bronzemedaillen sein."Das halte ich ehrlich gesagt für ein bißchen übertrieben", bekennt Yates.Seiner Meinung nach seien "von jeder Sorte 15 vollkommen in Ordnung." Zu DDR-Zeiten galt es, mit Hilfe des Sports die "Überlegenheit des Sozialismus" zu demonstrieren.Die australische Version sei unpolitischer Natur, versichert der AIS-Pressesprecher."Sport ist für uns eine elementare Lebensgrundlage, ein Stück unserer Lebenskultur.Und es ist fast die einzige Möglichkeit, aufgrund unserer geographischen Randlage der Welt die Hand zu reichen."

ANDREAS MÜLLER

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