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Sport: Kampf um Normalität

Zwei Wochen nach den Krawallen spielt Lok Leipzig wieder – mit massiven Polizeikontrollen und alkoholfreiem Bier für die Fans

Als die Mannschaften auf den Rasen kommen, tragen sie ein Transparent: „Wir dulden weder Gewalt noch Extremismus. Wir und unsere wahren Fans wollen nie wieder einen 10. Februar.“ Die Zuschauer klatschen laut und rhythmisch. Ein paar verweigern den Applaus, es gibt einzelne Pfiffe, als der Trainer Rainer Lisiewicz eine Rede hält, um sich bei der Polizei zu entschuldigen. Die Stimmung am Samstag beim 1. FC Lok Leipzig ist seltsam gedämpft, sie pendelt zwischen echter Ruhe und angestrengter Zurücknahme. Zwei Wochen nach den schweren Krawallen an gleicher Stelle sieht alles normal aus im Bruno-Plache-Stadion. Dabei ist alles ganz anders.

Die Autofahrer müssen die Kofferräume öffnen. Am Eingang tasten Ordner auch kleine Kinder ab. Die meisten Fans vom 1. FC Lok Leipzig finden die verstärkten Kontrollen richtig und nehmen eine rote Karte entgegen – als Zeichen gegen Gewalt. Die Männer drüben am Bierstand dagegen grummeln, sie sehen in den Maßnahmen eine Provokation, die nur neuen Ärger heraufbeschwöre. Es sind kräftige Herrschaften, sie tragen Kapuzenpullover, ihre Haare kurz. In den Händen halten sie alkoholfreies Bier. Anderes gibt es hier nicht mehr.

Beim letzten Spiel vor zwei Wochen hatte es schwere Ausschreitungen und 39 verletzte Polizisten gegeben. Der Traditionsklub kämpft deshalb gegen den SSV Stötteritz nicht nur um den Aufstieg in die Landesliga, sondern auch um seinen Ruf. Der Gegner ist Tabellenvierter und spielt nur drei Bushaltestellen entfernt. Doch deshalb ist das Spiel nicht so besonders. Lokalderbys sind die Fans von Lok seit der Insolvenz und dem Neuanfang in den Niederungen des Amateurfußballs vor drei Jahren gewohnt. Es geht hier um mehr, es geht um die Existenz eines in Verruf geratenen Vereins.

Die Polizei hält sich diesmal aus dem Inneren des Stadionbereichs fern. Außerhalb sind 100 Beamte im Einsatz. Seit den Mittagsstunden sitzen sie in den Einsatzwagen an der Connewitzer Straße, dort wo es vor zwei Wochen „geknallt“ hat, wie es ein Fan nennt. 300 Beamte waren damals im Einsatz, das Spiel im Sachsenpokal gegen die zweite Mannschaft von Erzgebirge Aue hatte „von vorneherein eine andere Bedeutung“, erklärt Polizeisprecherin Diane Voigt. Dennoch war die Polizei überfordert. Bis zu 900 Gewalttäter sollen bei der Jagd auf die Polizei dabei gewesen sein. Sie schmissen Pflastersteine, einige Beamte rannten um ihr Leben, ein Polizist gab einen Warnschuss ab. Der Zaun an der Straßenecke zur Prager Straße ist noch immer aus der Verankerung gerissen. Der irakische Pizzabäcker fährt eine Stunde vor Spielbeginn sein Auto weg – vorsichtshalber.

Doch die Stimmung bei den 2240 Zuschauern bleibt friedlich, vielleicht auch weil niemand im Stadion ist, der sie provozieren könnte. Beim Spiel gegen Aue waren 5300 Zuschauer gekommen, darunter zahlreiche gegnerische Fans.

Chaoten sind hier schwierig auszumachen. Kapuzenpullis und kurze Haare tragen im Bruno-Plache-Stadion viele, selbst der Stadionsprecher und die Bierverkäufer sehen einigen Hooligans auf den 22 Fahndungsfotos ähnlich, die der Klub an die Kassenhäuschen geklebt hat.

Die Spieler beginnen nervös. Die Fans klatschen dankbar, als Leipzigs Kapitän Rene Heusel ungelenk am Tor vorbeischießt. Endlich wieder Fußball. Zwei Tore fallen für Leipzig, es gibt Applaus. Draußen halten Polizei und Ordner Funkkontakt. Sechs angetrunkenen Personen wird der Eintritt verwehrt und sie bekommen Stadionverbote. Ansonsten passiert nichts. Ein fast normales Sechstligaspiel.

Stefan Tillmann[Leipzig]

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