zum Hauptinhalt

Kapitänsfrage: Michael Ballack: Einer von vielen

Heute wird Bundestrainer Joachim Löw erklären, wer Kapitän der Nationalmannschaft ist – die Tendenz geht zu Michael Ballack, doch den Führungsstatus früherer Tage wird er nicht mehr haben.

Dass man als Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft so etwas wie öffentliches Eigentum ist, hat Joachim Löw schon sehr bald nach seinem Amtsantritt gemerkt. Von guten Wünschen und schlauen Ratschlägen wird seine Arbeit stets begleitet, das betrifft auch die Gestaltung seiner Wochenenden. Für den allgemeinen Geschmack treibt sich der Freiburger Löw ein bisschen zu oft im heimatnahen Stuttgart herum. Auch am Sonntag wurde er wieder bei einem Bundesligaspiel des VfB gesichtet, aber vielleicht hat sich Löw diesmal selbst geärgert, dass er sich nicht für einen Besuch in Leverkusen entschieden hat.

In der Leverkusener Arena hätte er ein rassiges Spiel gesehen, in dem die Heimelf von den Mönchengladbachern regelrecht überrannt wurde. Nichts konnte ihrem Offensivdrang Einhalt gebieten, Michael Ballack schon mal gar nicht. Bayers Mittelfeldspieler wirkte hilflos wie ein Fischkutter bei einem Seebeben, nach einer Stunde wurde er ausgewechselt – beim Stand von 2:5. Joachim Löw hätte sich also entspannt zurücklehnen können. Der Bundestrainer hatte Ballack schon vor der 3:6-Niederlage der Leverkusener für noch nicht länderspieltauglich befunden. Nach Bayers Debakel durfte er sich in seiner Ansicht bestätigt fühlen. „Er braucht noch ein bisschen Zeit, um seine Topform zu erreichen“, hatte Löw verkündet.

Der Verzicht auf Ballack für die EM-Qualifikationsspiele in Belgien und gegen Aserbeidschan war vor allem eins: eine sportliche Entscheidung. Und trotzdem wird daraus in der hitzigen Debatte um Ballacks Zukunft in der Nationalmannschaft und seine Rolle als Kapitän schnell ein Politikum. Will Löw Ballack zermürben? Seit Wochen steht dieser Verdacht im Raum, er gründet jedoch allenfalls auf Vermutungen. Es ist keine einzige Aussage des Bundestrainers aktenkundig geworden, die sich gegen den bisherigen Kapitän verwenden ließe.

Heute wird nun endlich ein wenig Licht in die undurchsichtige Angelegenheit kommen. Löw hat Aufklärung angekündigt, was jedoch zunächst einmal zu neuen Spekulationen geführt hat. Mehrere Boulevardzeitungen berichteten, dass Ballack zum Treffpunkt der Nationalmannschaft nach Frankfurt am Main reisen werde. Das aber hat Löw entschieden dementiert.

Dass der Bundestrainer die Debatte um Ballack über Wochen hat köcheln lassen, ist weder Zufall noch ein Ausdruck für Entscheidungsschwäche. Es entspricht Löws Führungsstil. Der Bundestrainer will endgültige Festlegungen vermeiden, die durch den Lauf der Dinge schnell wieder hinfällig werden können. Deshalb hat er vor der EM-Qualifikation zum Beispiel auch den Konkurrenzkampf um den Platz im Tor neu belebt. Manuel Neuer hat bei der Weltmeisterschaft keinen Grund zu Beanstandungen geboten. Aber was, wenn er schwächelt? Oder sich verletzt so wie René Adler, der im Frühjahr zur Nummer eins ernannt worden war und dann bei der WM fehlte? Natürlich geht Neuer mit leichtem Vorsprung in das Rennen, aber die Botschaft an ihn lautet: Fühl dich nie zu sicher.

Auch in der Entscheidung um das Kapitänsamt deutet sich eine unspektakuläre Lösung an. „Ich weiß, wie es ausgeht“, erklärte Manager Oliver Bierhoff am Dienstag. Michael Ballack wird wohl pro forma Kapitän bleiben – de facto ist es zumindest in den anstehenden beiden Spielen Philipp Lahm, der ihn schon während der WM vertreten hat. Es gibt eben einfach mehrere Kapitäne.

Die Situation ändert sich natürlich, wenn Ballack ins Team zurückkehrt. „Jeder, der tolle Leistungen bringt, wird eingeladen“, sagt Löw. Aber bisher hat Ballack keine tollen Leistungen gebracht. Drei Monate ist er verletzt ausgefallen, Ende dieses Monats wird er 34 Jahre alt – so leicht wie Michael Ballack selbst sich seine Rückkehr zu alter Form vorgestellt hat, wird es wohl nicht werden.

Der Bundestrainer jedenfalls wäre fahrlässig, wenn er seine Planung ausschließlich auf einen 34-Jährigen ausrichtete, der schon in der Vergangenheit von kleineren und größeren Verletzungen geplagt wurde. Allein deshalb ist es notwendig, die Hierarchie in der Nationalmannschaft neu zu justieren. „Die WM hat gezeigt, dass wir die Verantwortung auf mehrere Schultern übertragen müssen“, sagt Oliver Bierhoff. „Einer allein kann es nicht. Es sind viele Chefs auf dem Platz gefragt.“ Einer von vielen zu sein – das ist die neue Perspektive des Michael Ballack. Stefan Hermanns

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false