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Sport: Karriereende unter Vorbehalt

Schwimmstar Mark Warnecke hört auf – es sei denn, er darf zur WM, obwohl er die Norm verpasst hat

Gegen 16 Uhr stampfte Mark Warnecke zu seinem Auto vor dem Stadtbad Hannover, gab Gas und jagte nach Hause, nach Witten-Herdecke. Seinem Trainer Horst Melzer hatte er Minuten zuvor noch wutentbrannt einen Satz hingeworfen: „Wenn ich nicht zur WM fahren darf, trete ich zurück.“ Aber noch ist nicht klar, ob er wirklich nicht nach Melbourne darf, zur Schwimm-Weltmeisterschaft im März 2007. Klar ist: Der Weltmeister von 2005 brauchte 28,18 Sekunden über 50 Meter Brust. Damit wurde der 36-Jährige zwar Deutscher Meister über 50 Meter Brust, aber er war dennoch acht Hundertstelsekunden zu langsam. Die WM-Norm beträgt 28,10 Sekunden. Und klar ist auch: Es gab gestern nach dem letzten Finale der deutschen Schwimm-Wintermeisterschaften in Hannover, der WM-Qualifikation, ein Kommunikationsdebakel. Verantwortlich dafür war Örjan Madsen, der neue Cheftrainer der deutschen Schwimmer.

Er hat das letzte Wort bei der Frage, wer zur WM darf, und ob es für Athleten, die die WM-Norm knapp verpasst haben, eine Ausnahme gibt. Für Warnecke zum Beispiel. „Ich sehe das locker“, hatte Warnecke noch direkt nach dem Rennen gesagt. Madsen würde schon eine Ausnahme machen. „Es wäre doch schade, wenn ich im Februar eine Weltklassezeit schwimmen würde und wäre dann nicht bei der WM.“ Das war gegen 15 Uhr. Knapp eine halbe Stunde später sagte Madsen in ein Hörfunkmikrofon: „Ich mache keine Ausnahme.“ Aber gegen 16.30 Uhr Kommando zurück: „Ich muss noch eine Nacht drüber schlafen. Die Entscheidung fällt am Montag.“

„Auch Mark soll mal eine Nacht drüber schlafen“, sagte sein Trainer Horst Melzer. Er konnte seinen Athleten nicht mehr erreichen, Warnecke hatte sein Handy ausgeschaltet. Melzer selbst schwankte zwischenzeitlich zwischen Enttäuschung, Fassungslosigkeit und Wut. „Madsen ist gerade dabei, die Nationalmannschaft kaputt zu machen“, stieß Melzer erregt und im ersten Zorn hervor. „Wir sind doch nicht bei der Allianz oder bei Mannesmann, wo man verdiente Leute rauswirft.“ Anne Poleska, die Olympiadritte über 200 Meter Brust, darf möglicherweise auch nicht nach Melbourne. Die 26-Jährige hatte über 200 Meter Brust die Norm um lediglich fünf Hundertstelsekunden verfehlt. Mit ihr hatte Madsen gegen 15.30 Uhr ein Gespräch, danach brach sie in Tränen aus.

Die Nachricht von Warneckes Rücktritt aber überstrahlte alles in Hannover. Dann tauchte Madsen auf und erklärte: „Ich bin mir jetzt der Konsequenzen meiner Entscheidungen bewusst. Wir haben einige Leute, die knapp an der Norm vorbei sind. Man muss bei ihnen berücksichtigen wie früher ihre Leistungsentwicklung vor internationalen Höhepunkten war.“

Britta Steffen versuchte, Madsen bei seiner harten Linie mit Worten zu unterstützen. „Es tut mir für alle Betroffenen echt leid, aber ich finde es gut, dass Herr Madsen bei seinem Amtsantritt von vornherein gesagt hat, er mache keine Ausnahmen. So weiß jeder, woran er ist. Es hätte ja auch mich treffen können.“

Die Chance wäre sogar recht groß gewesen. Denn am Samstag noch war die vierfache Europameisterin nicht einsatzfähig. Ein Magen-Darm-Virus hatte sie außer Gefecht gesetzt. Gestern aber ging sie an den Start über 100 Meter, und sie lieferte einen glänzenden Auftritt. Mit 53,78 Sekunden gewann sie in einer exzellenten Zeit den Titel auf ihrer Spezialstrecke 100 Meter Freistil. „Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet“, sagte Steffen. „Ich wollte mich eigentlich nur für die 4-x-100-Meter-Staffel qualifizieren.“ Vielleicht, sinnierte sie, war es ja sogar gut, dass sie kurzzeitig angeschlagen war. „Da fühlt man weniger Druck, man erwartet weniger von sich.“

Als sie das erzählte, war Mark Warnecke schon lange auf dem Weg nach Hause. Dort wartet Rebell auf ihn, das 13-jährige Pferd, das er sich im Sommer gekauft hat. „Es hat für mich therapeutische Wirkung“, hat Warnecke am Samstag gesagt. „Er merkt sofort, wenn ich hektisch bin. Er zwingt mich zur Ruhe. Das Tier stabilisiert mich seelisch.“ Rebell wird heute viel zu tun haben.

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