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Sport: Kathedralen für das Fernsehen

Er baut Fußballstadien, obwohl ihm die Verschandelung durch Werbung und VIP-Tribünen auf die Nerven geht. Deswegen mag er seine Bauwerke am liebsten leer

VOLKWIN MARG

Der Profifußball ist heute Teil der modernen Unterhaltungsindustrie, des Kommunikationszeitalters. Bei den Griechen dienten große Sportveranstaltungen kultisch- paramilitärischen Zwecken zur Körperertüchtigung. Die römischen Imperatoren nutzten sie, um die Massen abzulenken und zu beschäftigen. Heute haben wir es beim Fußball mit kommerzialisierten Gladiatorenkämpfen zu tun, die nicht vorrangig für die Zuschauer im Stadion veranstaltet werden, obwohl sie Eintritt bezahlen, sondern für das Fernsehen, das den wesentlichen Profit bringt. Die Gleichung ist die: Masse = Quote = Werbeeinnahmen.

Die modernen Fußballstadien werden also weniger für die Fans bei den Spielen gebaut, sondern vielmehr für die Fernsehwerbung. Ohne ein kochendes Stadion bekommt man zu Hause auf der Couch kein authentisches Spielgefühl. Das Stadionpublikum wird zum Claqueur fürs Fernsehen, dessen Hintergrund die Bandenwerbung ist und dessen Gliederung die Einblendungen der Werbespots.

Schon immer hatten die Stadien den Zweck, Menschenmassen in einen Rausch zu versetzen. Das ist auch heute noch so. Trotz unserer Millionen Jahre zurückliegenden Abspaltung vom Tier sind wir im Grunde immer noch die alten Primaten. Und diese sind, wie alle Affen, natürlich Hordentiere. Das führt zu dem Phänomen, dass wir auch als rationale Menschen manchmal die gebremste Spontaneität freilassen wollen, die Besinnung verlieren möchten. Diese Triebabfuhr ist durchaus gesund und ein zutiefst menschliches Bedürfnis – da schließe auch ich mich überhaupt nicht aus. Der Aufschrei einzeln und im Kollektiv wirkt enthemmend und befreiend. Auch Soldaten lässt man beim Sturmangriff schreien, damit sie kollektiv ihren skeptischen kritischen Verstand ausschalten und in der Massenhysterie ihre Hemmungen verlieren. Wenn einen dabei die Strömung beim Bad in der Menge treibt, fühlt man sich mächtiger, als man es alleine wäre. Auch die Voyeure in den Logen und auf den „Business-Seats“, die sich für etwas Besseres halten, spüren das – allerdings ohne von der Plebs, von der sie sich distanzieren, angerempelt zu werden. Fein säuberlich abgetrennt von den anderen.

Beim Bau eines Profistadions für die kommerzialisierte Unterhaltung ist eine von der Vermarktung vorgegebene Segregation programmiert – und alle nehmen das inzwischen hin. Anders als in den früheren Volksstadien für öffentlichen Breitensport wird unterschieden zwischen Super-VIPs, VIPs, Businesskunden, Normalbesuchern und Fans. Die VIPs und Super-VIPs gehen ins Stadion, wie sie in die Oper gehen: um sich gegenseitig zu sehen. In den holzgetäfelten Logen begießen sie ihre Geselligkeit mit Sekt und stopfen sich am Buffet voll. Die Businesskunden müssen anstelle von Separees mit Lounges und Tresen vorliebnehmen, sie trinken aus Pappbechern im Stehen. Die Mehrheit, das ist die inszenierte Masse. Die soziale Entmischung im Stadion merkt man spätestens, wenn La Ola an der Ehrentribüne abstirbt.

Alle modernen Fußballarenen kann man als Hysterieschüsseln verstehen. Sie sind ähnlich konzipiert, um den synchronen Ur-Schrei zum kollektiven Ur-Erlebnis zu potenzieren. Sie sind eng, steil und haben ein Dach als Schalldeckel. In der Schalker Arena wirkt das extrem. Beim Umbau des Berliner Olympiastadions wollte ich beweisen, dass diese verdichtete Atmosphäre auch über die Distanz einer Leichtathletiklaufbahn in einem Universalstadion funktionieren kann. Früher ging der Schall komplett nach oben weg, heute bleibt er im Resonanzkörper des Stadions.

Beim Entwurf eines Stadions geht es in erster Linie um eine Massenchoreografie. Das beginnt bei der Ankunft. Das Berliner Olympiastadion zwang die Menschen 1936 zu einer monumentalen Prozession. Das Olympiagelände in München lud 1972 mit seiner Hügelbaulandschaft und seinen geschwungenen Dächern dazu ein, sich frei und beschwingt zu bewegen. Der Architekt kann also beeinflussen, in welcher Stimmung Menschen sein Stadion betreten.

Als Zweites ist da die Lenkung der Besucherströme in Bezug auf ihre Sicherheit. Betrete ich als Zuschauer ein Hochsicherheitsgefängnis voller Gatter und Zäune? Oder wird meine Sicherheit ganz unmerklich gewährleistet? Zäune finde ich abstoßend – die sind auch innerhalb eines Stadions so unerfreulich wie ein Zaun zwischen Nachbarn. Als Drittes stellt sich die Frage, wie die Orientierung inszeniert wird. Mein persönlicher Ehrgeiz ist, den Menschen sogleich einen Überblick zu verschaffen, sobald sie das Stadion betreten. Es gibt leider Stadien, in denen sie sich wie Herdenvieh durch Gatter und dunkle Gänge zu ihrem Sitzplatz tasten müssen. Ich finde das zutiefst entwürdigend. Man muss dem Besucher sinnvolle Ausblicke, Überblicke und auch Rückblicke geben. Dazu kommt schließlich auch die Inszenierung durch die Illumination, das hatten schon die Nazis mit Fackelläufen für das olympische Feuer und mit Lichtdomen rund um das Stadion erfunden. Heute haben wir das Flutlicht, das sich sogar dynamisch einsetzen lässt, wie zum Beispiel mit dem „Ring of Fire“ beim umgestalteten Olympiastadion.

Leider sind die Stadien inzwischen als Gebäude zu Werbeträgern reduziert worden. Die Werbeindustrie nutzt jede Mauer und mittlerweile sogar die Namen dafür. Das einstmals gemeinnützige Frankfurter Waldstadion heißt jetzt Commerzbank-Arena, Konrad Adenauers Kölner Stadion für den Breitensport ist nun das Rheinenergie-Stadion. In der Kultur ist es noch nicht ganz so weit. Stellen Sie sich vor, die Münchner Staatsoper hieße Siemens-Oper, oder es gäbe das Hamburger Hapag-Lloyd-Theater.

Wenn Sie jetzt sagen: Das ist doch schizophren, der Mann hat so viel Skepsis und baut trotzdem weiter Fußballstadien, dann sage ich: ja, trotzdem. Im Mittelalter gab es für Baumeister nichts Größeres, als eine Kathedrale zu bauen. Dieses überwältigende räumliche Ereignis! So geht es mir heute mit Stadien. Ich fühle mich wie ein Atheist, der eine Kathedrale bauen darf, denn ich liebe eigentlich leere Fußballstadien. Halb voll ist furchtbar, ganz leer oder ganz voll, so müssen sie sein!

Zurzeit baue ich mit unserem enthusiastischen Architektenteam drei Stadien für die WM 2010 in Südafrika und weitere zwei für die Europameisterschaft in Polen. Ich wünsche mir, dass die Sportbegeisterung nicht nur gut ist für die Unterhaltungsindustrie, sondern auch für die Völkerverständigung – wie bei der WM 2006 in Deutschland.

Volkwin Marg ist Mitbegründer des Architekturbüros Gerkan, Marg und Partner und hat unter anderem die WM-Stadien in Frankfurt am Main und Köln entworfen und das Berliner Olympiastadion umgestaltet.

Volkwin Marg

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