zum Hauptinhalt

Sport: Kein Weg ist umsonst

Herthas Stürmer Pierre-Michel Lasogga ist ein Draufgänger – doch wie weit wird ihn das tragen?

Am Ende eines Abends, an dem ihm so gut wie alles gelungen war, schien Pierre-Michel Lasogga sogar die Grenzen von Zeit und Raum zu überwinden. Im Stadion Niederrhein zu Oberhausen war der Stürmer von Hertha BSC gerade auf den Fernsehmonitoren beim Live-Interview am Spielfeldrand zu sehen, da betrat er plötzlich den Kabinentrakt. An diesem Abend war Lasogga alles zuzutrauen. Selbst dass er zur selben Zeit an zwei verschiedenen Orten auftaucht.

Der 19-Jährige hatte am Montagabend entscheidend dazu beigetragen, dass der Berliner Fußball-Zweitligist einen überaus genehmen Einstieg in die Rückrunde fand. Lasogga erzielte schon früh das 1:0 für Hertha; nach einer guten Stunde, als Rot-Weiß Oberhausen drauf und dran war, sich die Kontrolle über das Spiel anzueignen, brachte er seine Mannschaft erneut in Führung, und nur drei Minuten später holte er den Foulelfmeter heraus, den Lewan Kobiaschwili zum 3:1-Endstand verwandelte. „Momentan kommt bei mir alles optimal zusammen“, sagte Lasogga nach dem Spiel.

Als die Begegnung abgepfiffen war, sank Herthas Mittelstürmer kurz auf die Knie und erhob seine Arme zum Himmel. Es sah so aus, als wollte er einer höheren Macht für deren Gnade danken. Lasogga selbst sprach später von Glück, „dass ich zweimal an der richtigen Stelle stehe“. Obwohl der 19-Jährige die Statur eines Büffels besitzt, hat er sich die Demut einer Kirchenmaus bewahrt. Lasogga weiß natürlich, dass er derzeit ein Begünstigter des Schicksals ist. Er hat das, was Fußballer einen Lauf nennen. „Irgendwie läuft das fast wie von selbst“, sagte er. „Die Bälle kommen dahin, wo du stehst, und gehen auch einfach rein.“

Trotz allem hat sein derzeitiger Erfolg auch ganz irdische Gründe. „Er gibt keinen Ball verloren“, sagte Herthas Manager Michael Preetz, „und er bewirbt sich immer wieder aufs Neue.“ Die beiden Tore gegen Oberhausen wirkten in ihrer Vollendung ziemlich unspektakulär: Das erste war ein Abstauber, beim zweiten musste Lasogga den Ball nur noch ins leere Tor schieben, nachdem Oberhausens Torhüter Sören Pirson ein Luftloch getreten hatte. Doch was im Fußball leicht aussieht, ist meistens das Resultat schwerer Arbeit. Vor dem 1:0 hatte Adrian Ramos dem Ball nach der Hereingabe von Raffael mit seiner Fußspitze noch einen neuen Dreh gegeben. Lasogga ahnte das, sein Gegenspieler nicht. „Da spürt man einfach, dass der Ball eventuell dahin kommen könnte“, sagte er.

Lasogga, der nie in einer Jugendnationalmannschaft des DFB gespielt hat, ist nicht das Supertalent, zu dem er jetzt gemacht wird. Er ist es auch nie gewesen, sonst müsste er sich nicht in der Zweiten Liga verdingen, sondern könnte sich in Leverkusen weiterbilden, von wo er im Sommer nach Berlin gewechselt ist. Seiner Entwicklung sind gewissermaßen natürliche Grenzen gesetzt. Aber er hat etwas, was man nur schwer lernen kann. Lasogga besitzt eine natürliche Gier nach Toren, einen Hunger, der immer wieder gestillt werden muss. Die spannende Frage bei ihm wird daher sein: Wie weit wird ihn dieser Wille über die Grenzen seines Talents hinaus tragen? „Er bringt alle Voraussetzungen mit“, sagt Herthas Trainer Markus Babbel. „Er ist fleißig, drängt sich auf, macht Tore.“

Wie in den meisten Geschichten von großen Gewinnern, so gibt es auch in dieser einen traurigen Verlierer. Er heißt Rob Friend, ist zehn Jahre älter als Lasogga und hat seinen Platz in Herthas Mannschaft fürs Erste an den Herausforderer verloren. Der Kanadier war im Sommer wichtigster Einkauf des Bundesliga-Absteigers, zwei Millionen Euro haben die klammen Berliner sich den Transfer kosten lassen: Friend sollte der Fixpunkt in Babbels Spielsystem werden, doch dieser Plan ist nie so richtig aufgegangen.

In der Rückrunde wollte Friend den Neustart wagen, und Babbel hat seine Re-Integration mit aller Macht unterstützt. Noch im letzten Testspiel vor einer Woche stand der Kanadier in der vermeintlichen A-Elf. Er habe gut trainiert, sei in der Vorbereitung sehr engagiert gewesen, sagte Herthas Trainer, und zudem sei es nicht üblich, „dass man gestandene Stürmer auf die Bank setzt und einen 19-Jährigen spielen lässt“. Die normative Kraft des Faktischen aber ließ ihm keine andere Wahl: Babbel entschied sich für Lasogga und damit für „ein Stück weit mehr Unbekümmertheit“, für Selbstbewusstsein statt Selbstzweifel. „Es war bis zum Schluss eng“, sagte Markus Babbel, „ich bin trotzdem froh, dass ich Pierre aufgestellt habe.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false