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Sport: Keine Hürden für den Helden

Für Liu Xiang vergisst sogar Chinas Polizei die Pflicht

Mit dem rechten Arm stützt sich Liu Xiang auf einer Hürde ab und schwingt seitwärts darüber. Die nächsten Hindernisse lässt der Hürdensprinter aus, die letzten überwindet er erneut mit der Abstütztechnik. Doch dies ist kein 110-Meter-Rennen, sondern ein Sprint im Südwestbereich des Olympiasstadions gegen rund 100 chinesische Pressevertreter. Sie versuchen verzweifelt, Liu Xiang durch das Gewirr aus Absperrgittern zu folgen. Kurz bevor Chinas Volksheld durch eine Tür zu entkommen droht, kann ihn eine Frage stoppen: Was er über das Erdbeben in Sichuan sage? „Ich möchte denjenigen, die in die Katastrophe verwickelt sind, mein tiefste Sympathie aussprechen“, sagt er – und verschwindet.

Der Hürdenspringer Liu Xiang ist schon jetzt der Held der Olympischen Spiele 2008. Für die meisten der 1,3 Milliarden Chinesen steht außer Frage, dass der Olympiasieger von 2004 auch am 21. August Gold über 110 Meter Hürden gewinnen wird. Seine Darbietung an diesem Wochenende bei den China Athletics Open deutete darauf hin, dass ihm das tatsächlich gelingen wird. In 13,18 Sekunden gewann er vor 45 000 Zuschauern im Olympiastadion locker das Finale über 110 Meter vor dem chinesischen WM-Finalisten Shi Dongpeng (13,29). Zwar blieb Liu Xiang drei Zehntelsekunden über seinem Weltrekord, doch er sagte: „Ich habe das Rennen hier als Training betrachtet, deshalb habe ich so eine Zeit erwartet.“ Nach der letzten Hürde ließ er seinen Lauf locker austrudeln. Im Halbfinale hatte er mit dem Publikum gespielt und absichtlich einen Fehlstart verursacht. „Ich wollte die Zuschauer etwas animieren“, sagte der 24-Jährige.

In seiner Heimat ist die Begeisterung für ihn grenzenlos. Während er bei der Siegerehrung die Medaille umgehängt bekommt, verlässt ein Polizist, der seit Stunden stramm gestanden hat, verbotenerweise seinen Platz – und lässt sich von einem Helfer mit dem Siegerpodium im Hintergrund fotografieren. „Wir sind wegen Liu Xiang hier“, sagt die Studentin Li Yao, „er ist der Beste.“ Neben Yao Ming ist Liu Xiang der chinesische Superstar des Sports. Vergangenes Jahr ist der Hürdensprinter sogar vor dem Basketballer zum beliebtesten Sportler des Landes gewählt worden. In den jüngsten Tagen dürfte er an Sympathien hinzugewonnen haben. Der Centerspieler der Houston Rockets musste sich Kritik gefallen lassen, weil er ursprünglich 45 500 Euro für die Erdbebenopfer gespendet hatte. Zu wenig fanden viele Chinesen, Yao Ming verdiente 2007 insgesamt 34,85 Millionen Euro und führt die Forbes-Liste in China in den Kategorien Einkommen und Einfluss an. Liu Xiang hat die aktuelle Nationalsportart „Wie viel hast du gespendet?“ offenbar erkannt. Er gab 350 000 Euro.

Im August werden die 110 Meter Hürden aus Chinas Sicht den Höhepunkt bilden. Der Druck auf den Jurastudenten aus Schanghai ist riesig. Trotzdem bleibt er selbstbewusst. „Ich habe schon einmal Gold gewonnen“, sagt er. Und wie man auf der Olympiabahn von Peking Gold bekommt, weiß er seit Samstag auch.

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