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Gib ihm einen Leberhaken! Das Szenepublikum im Festsaal Kreuzberg schätzt den Glamour der Kiezboxgala. An Amateurkämpfen in sterilen Sporthallen hat es ebenso wenig Interesse wie an glitzernden Profibox-Events.

© Christian Mang

Kiezboxgala: Punk, Wodka, Knockout

Bei der Kiezboxgala in Kreuzberg treffen sich Sport und Subkultur Berlins. Barkeeper und Studenten schlagen sich k.o. und trinken danach ein Bier miteinander – ein Besuch.

Gerade hat im Ring noch eine Punkband gespielt, jetzt fliegen die Fäuste. Jeder Treffer wird vom Publikum mit lautem Applaus gefeiert. „Gib ihm einen Leberhaken“, ruft einer der 600 Zuschauer, die dicht gedrängt um den Ring stehen. Dann ertönt der erste Gong. Tätowierte Nummerngirls in Burlesque-Kostümen steigen in den Ring und schütten den Zuschauern Wodka aus Literflaschen in den Mund.

Kneipenschlägereien sind im Herzen Berlin-Kreuzbergs, des alten Postbezirks SO 36, nichts Besonderes. Professionell ausgerichtete Boxkämpfe, bei denen Amateure der verschiedenen Stadtteile gegeneinander antreten, schon. „Kiezboxgala“ nennt sich diese neue, alternative Boxkultur. „Sportlich und elegant“ lautet das Motto, das auf den Plakaten augenzwinkernd versprochen wird. Schon zum zweiten Mal findet die Boxshow im Szeneklub Festsaal Kreuzberg statt. In sechs Kämpfen mit je vier Runden prallen Berlins Bezirke aufeinander. Wedding gegen Kreuzberg, Spandau gegen Neukölln. Die Nationalitäten der Kämpfer sind so unterschiedlich wie die Stadt. Sie stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien, Armenien, Kirgisistan, der Türkei und Deutschland.

„Wir wollten das eigentlich schon vor Jahren machen“, sagt Björn von Swieykowski, der die Veranstaltung gemeinsam mit Elisa Mishto organisiert. „Es scheiterte aber lange am Geld.“ 2004 hat der 38-Jährige mit zwei Freunden den Festsaal übernommen. Der war jahrelang feste Adresse für türkische Hochzeiten mit hunderten Gästen. Doch anstatt alles zum modernen Partyclub umzubauen, versuchten die drei neuen Betreiber den rustikalen Charme des Saals zu erhalten. Jetzt bildet er mit der U-förmigen Galerie die perfekte Kulisse für die Boxkämpfe mit Auftaktkonzert im Ring.

2008 mietete ein Sportartikel-Hersteller den Club für eine Werbeveranstaltung, bei der auch geboxt werden sollte. Von Swieykowski, selbst leidenschaftlicher Freizeitboxer, stieg erstmals selbst in den Ring. Den Kampf hat er verloren, trotzdem war für ihn klar, dass er die nächste Boxshow selbst veranstalten würde. Für 5000 Euro kaufte er einen gebrauchten Boxring und ließ ihn so umbauen, dass er in den Saal passt.

„Das Problem ist doch: Es gibt nur zwei Arten von Boxkämpfen“, sagt von Swieykowski.„Amateurkämpfe mit wenig Publikum in sterilen Sporthallen oder Profikämpfe als glitzernde Megaevents mit unbezahlbaren Ticketpreisen.“ Beides wirke auf subkulturelles Szenepublikum gleichermaßen abschreckend. Die Kiezboxgala richtet sich bewusst an Studenten, Musik-Fans, Clubgänger und Künstler. „Wir wollen den Glamour des Boxens zurückbringen“, sagt er. Und das funktioniert: Beide Male war die Veranstaltung innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.

Rein juristisch gesehen handelt es sich bei den Kämpfen um ein „öffentliches Sparring mit Publikum“. Denn einen offiziellen Boxkampf mit Titelgewinn dürfen nur die Verbände veranstalten. Geboxt wird auf eigenes Risiko. Versichert sind die Sportler nicht. Sie treten trotzdem an – auch an diesem Freitagabend.

„Es kämpft der Kollege, Freund oder der Barkeeper der Stammkneipe“, heißt es in der Ankündigung, und das ist nicht übertrieben. Fabian Kunow, der kurz vor Mitternacht in den Ring steigt, steht hier normalerweise hinter der Theke. Mit 18 hat er mit dem Boxen begonnen, 2005 wurde er deutscher Hochschulmeister. Bei der ersten Kiezboxgala vor einem Jahr war er auch dabei. „Danach hatte ich eine leichte Gehirnerschütterung und dachte: Das machst du lieber nicht nochmal“, sagt er.

Doch am Ende konnte er es nicht lassen. „Die Atmosphäre ist einmalig“, sagt der 31-jährige Sozialwissenschaftsstudent. „Bei normalen Amateurmeisterschaften werden die Kämpfe wie am Fließband durchgezogen, Zuschauer sind meist nur die anderen Sportler.“ Die bunte Mischung des Festsaal-Publikums ist für ihn das Plus des Abends. „Obwohl die Leute ihre Favoriten haben, gibt es keine Abwertung der anderen Boxer“, sagt Kunow. Das gilt auch unter den Kämpfern. „Das Schöne ist, dass man nach dem Kampf mit seinem Gegner auch noch ein freundschaftliches Bier trinken kann.“

An diesem Abend hat Kunow kein Glück. Sein Gegner geht ab der ersten Sekunde mit voller Kraft auf ihn los. Zunächst stolpert Kunow und fällt hin; nach zwei harten Minuten trifft ihn dann noch ein wuchtiger Schwinger seines Kontrahenten von der Seite. Trotz Helm geht der Student sofort zu Boden. Als er sich aufrappelt, ist es zu spät. Denn wer zweimal am Boden liegt, gilt als k. o. Der Kampf ist vorbei. Fabian Kunow nimmt es mit Fassung. „Einfach schlecht gelaufen“, wird er später sagen.

Kurz nach 1 Uhr sind die Kämpfe entschieden. Viel Schweiß und ein bisschen Blut bedecken den Boden des Rings. Wer der Sieger des Abends ist, entscheidet das Publikum per Applausometer. Und dabei zeigt sich, dass Kreuzberg seine eigenen Regeln hat. Fabian Kunow erhält genauso lauten Applaus wie der sportlich versierteste Kämpfer des Abends, Mehmet. Kurzerhand werden beide zu Siegern erklärt.

Während die verschwitzten Zuschauer die Halle verlassen, steht Kunow mit einer Flasche Bier in der Hand zwischen seinen Freunden im Hof. Nächste Woche wird er wie immer im Festsaal sein – dann steht er wieder hinterm Tresen und verkauft Bier.

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