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Mit links. Herthas Marvin Knoll (links) kam im Testspiel gegen den FK Teplice zu guten Möglichkeiten. Nach einer Spielzeit für Dynamo Dresden kehrte das Eigengewächs in der Sommerpause in den Kader der Berliner zurück.

© Fotoagentur-Engler

Klackern, krachen, klatschen: Hertha in der Testspielschleife

In den Testspielen der Sommerpause lässt sich Fußball in seiner Urform beobachten – und hören. Ein Besuch im Amateurstadion, wo Hertha am Freitag gegen Teplice vorspielte.

Alles beginnt mit dem Geräusch von vierundvierzig Stollenschuhen, die eine Betontreppe hinunterklackern. 1 680 Paar Hände klatschen vornehm ineinander. Dann ein heller Pfiff, und die vierundvierzig Klackerschuhe beginnen auf dem nassen Rasen zu schmatzen. Ein Lederball zischt über den tiefen Grund, knallt dumpf bei jeder Richtungsänderung. Anweisungen werden gerufen, Pferdelungen hecheln, Männerkörper krachen zu Boden.

Es herrscht Vorbereitungszeit in der Bundesliga. Auch die abgestiegene Hertha spielt in der Testspielschleife. Und so mancher Anhänger des Berliner Zweitligisten kam am Freitagabend im Amateurstadion in einen seltenen Genuss. Denn unter normalen Umständen sind die aberhundert Geräusche eines Fußballspiels ja gar nie mehr zu hören. Die Urkomposition der verschiedenen Klänge wird allzu oft verschluckt von den modernen Großraumarenen, übertönt von ewigen Ultra- Schlachtgesängen, beleidigt von etlichen „Dies und das wird Ihnen präsentiert von“-Einspielern, „Danke“ – „Bitte“.

Doch beim Freundschaftsspiel gegen den FK Teplice gab es keinerlei Störgeräusche, von der musikalischen Halbzeitpausenuntermalung und dem leidvollen Aufstöhnen nach dem Gegentreffer zum 0:1-Endergebnis einmal abgesehen. Die Atmosphäre erzählte von einer entertainmentfreien Vorzeit. Ein Ortstermin.

Die Zuschauer nehmen weit vor Spielbeginn ihre Sitzplätze ein, die bis an die Rasenkante heranreichen. Nichts soll sie für die kommenden 90 Minuten ablenken. Allenfalls der spontane Gedanke an eine Bratwurst lässt so manchen noch einmal aufspringen. Aber Bratwurst und Fußball – das gehörte in Deutschland schon immer zusammen. Dann klackern und schmatzen die Spieler aufs Feld. Es ist angerichtet. Aber was eigentlich?

Die Organisation dieses Testspiels beschränkt sich auf ein gesundes Minimum. Profifußball vielleicht in seiner Urform. Lediglich vier Ordner stehen jeweils an der Eckfahne, acht Balljungen hinter dem Seitenaus. Es gibt einen Schiedsrichter und zwei Linienrichter. Und es gibt zwei Mannschaften, die an dem freundschaftlichen Kräftemessen in den kommenden 90 Minuten ihre Freude haben werden. Fußballerherz, willst du wirklich mehr?

Michael Preetz wird zum Stehplatz-Fan

Vielleicht einen Sitzplatz. Denn Michael Preetz schaut überrascht, als er kurz nach dem Anpfiff aus den Katakomben kommt. „Volles Haus, hm?“, raunt Herthas Manager seinem Begleiter zu. Dann trübt sich sein Blick für einen kurzen Moment: Man hat dem 44-Jährigen auf der winzigen Ehrentribüne nur einen einzelnen Platz freigehalten. Was aber soll werden aus seiner Begleitung? „Dann bleiben wir eben stehen“, sagt diese unvermittelt. Michael Preetz schaut erneut überrascht, auf diese Idee wäre er womöglich nicht gekommen. Und so bleiben sie tatsächlich stehen. Lange auf dem einen Bein, dann lange auf dem anderen.

Die Zuschauer genießen diese unbekannte Nähe zu ihrem Verein, und sie tragen zu der unverfälschten Akustik ihren eigenen Teil bei. Sie applaudieren warm, als Nico Schulz das Standbein wegrutscht und er sich im Nachsetzen den Ball zurückerobert. Sie raunen verzweifelt im Chor, als Adrian Ramos wieder eine gute Möglichkeit zum Torerfolg auslässt. Und sie springen auf von ihren Schalensitzen und schimpfen, als der Linienrichter in einer knappen Abseitsentscheidung erneut gegen ihre Mannschaft winkt.

Michael Preetz ragt aus den Stehenden hervor wie die Gallionsfigur an einem Schiffsbug. Immer wieder hat der Manager fremde Hände auf seiner Schulter. „Wat iss’n nu’ mit Raffael?“ wollen die Menschen wissen. Preetz atmet ein und atmet aus. „Da geht es um sehr viel Geld für uns“, sagt er dann, „aber ich denke Tag und Nacht darüber nach, das müsst ihr mir einfach glauben.“ Ja, ja, sie glauben es ihm ja, vielleicht, und nehmen die Hände wieder von seiner Schulter. In der 53. Spielminute ist es dann soweit: Michael Preetz sinkt auf seinen reservierten Sitzplatz danieder, seine Begleitung setzt sich auf die kalte Treppenstufe daneben.

Auf dem Rasen steht in der zweiten Hälfte eine nahezu komplett ausgewechselte Hertha-Mannschaft. Sie überlässt ihrem Gegner in den ersten zehn Minuten das Spielgeschehen, doch schon bald lässt sie die Tschechen wieder aussehen wie einen besseren deutschen Drittligisten. Das nachsichtige Berliner Publikum bleibt daher geduldig. Sie wollten sich wohl eh bloß einmal der aktuellen Form ihrer Mannschaft vergewissern – und mal horchen, wegen Raffael und so.

Kurz vor Spielschluss wird dann noch das Flutlicht angeknipst an den hohen Masten, und der Spielball wird zum zweiten Mal an diesem Abend über das Stadiondach hinaus auf die Straße geschossen. Und wenn man sich sehr darauf konzentriert, dann hört man in diesem Moment die 1 680 Fußballerherzen höher schlagen ob dieser Folklore.

Und alles endet mit einem hellen Pfiff und dem Klackern, das diese heilvollen 90 Minuten in der Zeit auflöst.

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