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Sport: Kleine Sprünge

Die französische Leichtathletik steckt in der Krise – das Stadion ist bei der WM in Paris trotzdem voll

Paris. Vincent kann nicht ins Stadion, Vincent ist Student. Er hat kein Geld für Tickets. Er wird sich die Leichtathletik-WM im Fernsehen anschauen. Aber das fehlende Geld ist nicht Vincents einziges Problem. „Es gibt zu wenig Informationen über die WM“, sagt er. Das klingt ziemlich komisch, weil er in der Metro in Paris gerade die WM-Sonderbeilage von „L’Equipe“ liest, der berühmten französischen Sportzeitung. Schon, sagt Vincent, aber im Fernsehen und in den anderen Zeitungen haben sie lange Zeit fast nichts Nachrichtliches von der WM gebracht.

Einerseits hat er ja Recht. Zeitungen wie „Le Monde“ oder „Le Figaro“ haben journalistisch erst sehr spät die WM entdeckt. Andererseits, sagt Jean-Philippe Leclaire, Leichtathletik-Experte von „L’Equipe“, „gab es im Fernsehen genügend Spots zur WM. In einem öffentlich-rechtlichen und in einem Kabelkanal. Man konnte ihnen gar nicht aus dem Weg gehen.“ Diesem Spot zum Beispiel: Weltrekordler Sergej Bubka, die Stabhochsprung-Legende, blickt breit lachend auf drei Telefonkabinen, die übereinander gestapelt sind. Angeblich türmen sie sich genau auf die Höhe seines Weltrekords, der bei 6,14 Meter liegt.

Und irgendwie müssen ja auch mehr als 400 000 Karten für die WM schon im Vorverkauf an den Mann gebracht worden sein. Das sind rund 75 Prozent aller Tickets. Gabriel Essar, Generaldirektor im WM-Organisationskomitee, sagt, „dass es ein Traum wäre, wenn wir 480 000 Tickets verkaufen würden“. Bei der WM 2001 in Edmonton wurden 402 000 Tickets abgesetzt, bei der WM 1999 in Sevilla 498 000.

400 000 Tickets schon weg, das hört sich gut an. Allerdings hat allein Gaz de France ein riesiges Kontingent gekauft. Der Konzern ist Generalsponsor des französischen Leichtathletik-Verbands, und ob Gaz de France die Tickets verschenkt oder zum Billigpreis weitergibt, weiß niemand. Den Verantwortlichen im Verband ist das auch egal.

„Hauptsache, das Stadion ist voll. Denn darum geht es in erster Linie“, sagt Jean- Philippe Leclaire, der „L’Equipe“-Reporter. Schließlich bewirbt sich Paris um die Olympischen Spiele 2012, bei der WM sind viele Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees vor Ort, und denen sollen peinliche Lücken auf den Tribünen erspart bleiben.

Die Masse der Fans aber kann mit Leichtathletik im Moment wenig anfangen, sagt Leclaire. Franzosen mögen Fußball, Rugby, Radrennen und die Formel 1, vor allem aber mögen sie Sieger und Idole. Die französische Leichtathletik aber war zuletzt „nur eine Lachnummer“, wie Leclaire sagt. Bei den Olympischen Spielen 2000 gab es keine Einzelmedaille, bei der WM 2001 nur zweimal Bronze. Sieger? Idole? Der französische Verband ließ 2002 in einer Umfrage die beliebtesten französischen Leichtathleten ermitteln. Das Ergebnis: 1. 400-m-Ikone Marie-Jose Perec, 2. 400-m-Hürdenläufer Stephane Diagana, 3. Stabhochspringer Jean Galfione, Olympiasieger von 1996. Perec hat eine Sinnkrise und verzichtet auf die WM, Diagana leidet unter Leistungsschwankungen, und Galfione hat sich nicht einmal qualifiziert. „Die WM ist die letzte Chance für die französische Leichtathletik“, sagt Leclaire.

Zu den französischen Meisterschaften 2003 in Narbonne kamen gerade mal 10 000 Fans, als Tim Montgomery im September 2002 im „Stade de Charlety“, im Süden von Paris, mit 9,78 Sekunden 100-m-Weltrekord lief, saßen auf den Tribünen ein paar hundert Fans. Zu unbedeutend, der Wettbewerb? Es war das Grand-Prix-Finale. Sie haben ja Medaillenkandidaten, die Franzosen. Muriel Hurtis zum Beispiel, die Europameisterin über 200 m. Hurtis soll die neue Sprintkönigin werden. Der Verband hofft, das sie Marie-Jose Perec als Frankreichs Leichtathletik-Star ablöst.

Aber Perecs Schatten ist zu groß. Sie ist ein Mysterium, sensibel, egomanisch. Startet sie? Startet sie nicht? Die Frage bewegte unzählige Fans. Sie startet nicht. Aber die Absage kam spät. Zu spät für viele Franzosen. Am Mittwoch findet das 400-m-Finale der Frauen statt. Die Karten für Mittwochabend waren als Erstes ausverkauft.

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