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Trophäen und Tränen. Stanislas Wawrinka (links) zeigte Mitgefühl mit seinem unterlegenen Kontrahenten Rafael Nadal. Foto: Reuters

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Sport: Kleines Nachzittern

Stanislas Wawrinka legt endgültig sein Image als Nervenbündel ab und gewinnt die Australian Open.

Stanislas Wawrinka hätte sich beinahe entschuldigt für seinen ersten Grand-Slam-Triumph. Es war ihm sichtlich unangenehm, Rafael Nadal da so geknickt hinter sich auf dem Podest in der Rod-Laver-Arena stehen zu sehen. Wawrinka hielt den silbernen Challenge-Cup fest umschlungen in den Armen, und Nadal kämpfte mit den Tränen. „Es tut mir leid, Rafa, du bist ein großer Champion“, sagte ihm Wawrinka zum Trost. Und er konnte gut verstehen, wie sich der Spanier nach dieser bitteren 3:6, 2:6, 6:3 und 3:6-Niederlage im Endspiel der Australian Open wohl fühlen musste. Denn vor einem Jahr noch unterlag Wawrinka hier in einer dramatischen Achtelfinal-Partie Novak Djokovic in fünf Sätzen, obwohl er dem Sieg eigentlich näher war. Schlimmer hatte er sich nie gefühlt. „Da habe ich viel geweint“, erzählte Wawrinka den Zuschauern, „und jetzt stehe ich hier. Ich muss noch überlegen, ob ich nicht träume – morgen weiß ich mehr.“

Doch der Sieg war Realität, und Wawrinka hatte ihn sich redlich verdient. So stark wie in den zwei Wochen von Melbourne hatte der 28-Jährige nie zuvor gespielt. Und er schrieb dabei sogar Tennisgeschichte, denn Djokovic und Nadal hatte bisher noch kein Spieler bei ein und demselben Grand-Slam-Turnier bezwingen können. Mehr noch, seit 20 Jahren konnte niemand mehr die Nummer eins und zwei der Setzliste gleichermaßen eliminieren. „Es ist verrückt, ich habe es immer noch nicht realisiert“, staunte Wawrinka, „ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Grand Slam gewinnen kann. Da spielen doch immer nur die Besten im Finale.“

In den vergangenen zehn Jahren hatten Roger Federer, Nadal und Djokovic die Trophäen fast ausschließlich unter sich verteilt. Aber jetzt ist Wawrinka nicht mehr bloß Zaungast, er gehört dazu. Ab heute ist er die Nummer drei der Welt, rangiert fünf Plätze vor Federer. „Das zeigt mir, dass ich schon sehr lange etwas richtig mache und sich die harte Arbeit jetzt auszahlt“, meinte Wawrinka.

Jahrelang galt er aber als einer, dem immer dann die Nerven versagten, wenn es wichtig wurde. Als einer, der sein Potenzial nicht voll ausschöpfte. In der letzten Saison legte er die Manschetten nach und nach ab, schaffte es erstmals in die Top Ten und bei den US Open in sein erstes Grand-Slam-Halbfinale. Das war schon beachtlich, doch an diesem Abend hatte Wawrinka seine Reifeprüfung nun endgültig bestanden. Gegen den 13-maligen Major-Champion und Weltranglistenersten Nadal war die Herausforderung ohnehin schon enorm, doch dann verletzte sich der Spanier auch noch. Und es gibt für Tennisspieler kaum Schwierigeres, als einen Gegner zu schlagen, der angeschlagen ist.

Wawrinka hatte einen furiosen Start hingelegt, von Nervenflattern war beim Debütanten nichts zu spüren. Schnell lag er mit 6:3 und 3:1 vorne, und die Zuschauer rieben sich verwundert die Augen, wie selbstbewusst Wawrinka auftrat. „Ich habe zu Beginn mein allerbestes Tennis gespielt“, sagte Wawrinka, „dann merkte ich, dass er verletzt ist, und ich fing an zu denken, dass ich einen Grand Slam gewinnen kann – schon war ich nervös.“

Und während sich Nadal vor Rückenschmerzen kaum noch bewegen konnte, nur noch mit 125, 140 km/h wie ein laues Lüftchen aufschlug, verlor Wawrinka seine Linie. „Ich habe nur gewartet, dass er Fehler macht“, meinte der Schweizer, „das war dumm.“ Nadal quälte sich, ließ sich behandeln, rang mit den Tränen. „Ich wollte nicht aufgeben“, erklärte er später tief enttäuscht, „ich habe alles versucht. Es war ein sehr schwerer Tag für mich, aber das ist unwichtig: Es ist Stans Tag.“

Er wurde es, nachdem Wawrinka verkraftet hatte, dass er gegen den entkräfteten Nadal den dritten Satz verloren hatte. Seine Nerven, sie zitterten nicht mehr. Er würde nicht wieder scheitern wie schon so oft. Der Spanier wehrte sich auch dank der Schmerzmittel wieder mehr, und Wawrinka fand so wieder Tritt. Gegen seine hammerharten Aufschläge und gepeitschten Vorhandkracher war Nadal dann doch wehrlos. Und auch die „Rafa, Rafa“-Sprechchöre vermochten seine Lebensgeister nicht mehr zu wecken. Wawrinka jubelte und wirkte wie befreit. Von den eigenen Dämonen, vom langen Schatten Federers. Und irgendwann hatte Wawrinka dann doch realisiert, was er da geschafft hatte: „Die Chance ist groß, dass ich heute Abend betrunken sein werde.“

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