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Kneipen-Bericht: Wie die Hertha-Fans das Spiel erlebten

Nach der Heimniederlage im Relegations-Hinspiel gegen Fortuna Düsseldorf hofften viele Hertha-Fans noch auf ein Wunder. Wir dokumentieren, wie die Anhänger in der Berliner Kneipe "Herthaner" mit ihrer Mannschaft mitfieberten.

Nach dem Abpfiff: In der Kneipe fließen die Tränen, die Wirtin wischt sie mit dem Handrücken aus dem Gesicht. Auch ein Mann weint, seine Frau tröstet ihn. Die Hertha-Fans liegen sich in den Armen - aus Trauer. Viele sind wütend auf den Schiri: "Er hätte das Spiel abbrechen müssen", ruft einer. Viele wollen sich nicht mit dem Abstieg abfinden. "Wir müssen nochmal spielen, diesmal ohne Zuschauer", schlägt eine Frau vor.

Ein anderer Mann, der an der Theke sitzt, freut sich über den "wahnsinnigen Krimi", den er da gerade im Fernsehen gesehen hat. "So etwas habe ich noch nicht erlebt." Hertha habe gruselig gespielt, das Ergebnis sei verdient. Wieder ein anderer meint: "Der größte Skandal, den die Fußballwelt seit Jahrzehnten erlebt hat. Da sollen sich die Sportjuristen Gedanken drüber machen."

Die 54-jährige Heidi Carus ist sehr enttäuscht, muss die Niederlage erstmal verkraften: "Ich bleibe Hertha treu, irgendwann steigen sie wieder auf." Trotzdem will sie auch in Zukunft kein Spiel auslassen. "Das habe ich in der ersten Liga nicht gemacht, das mache ich auch in der zweiten Liga nicht." Markus Kowalke, Fan seit 30 Jahren, sagt leise: "Ich werde noch etwas bleiben und meinen Frust wegtrinken." In den Raum brüllt er: "Ich bin Berliner und bleibe der Hertha treu, das sollen alle hören!" Die Kneipe leert sich, ein harter Kern bleibt zurück. Die Hertha-Familie hält auch nach der Niederlage zusammen.

Nachspielzeit: Die Zuschauer stürmen den Rasen, Tumulte brechen aus, die Spieler verlassen den Platz. Im "Herthaner" herrscht völlige Fassungslosigkeit und Entsetzen. Die Hertha-Fans schreien rum, können nicht begreifen, was passiert. Wird das Spiel gewertet? Wenn ja, wie? Als das Wort "Wiederholungsspiel" fällt, brüllen sie vor Freude. Sie finden es richtig, dass sich die Berliner Spieler verschanzt haben und nicht mehr rauskommen. Die Wirtin steht völlig aufgelöst hinter der Bar, legt sich die Hand auf die Brust und sagt: "Mein Herz, das ist alles zu viel."

89. Minute: Die Zuversicht der Fanbasis bröckelt. Einer geht Richtung Ausgang und sagt: "Ich glaube nicht mehr dran, ich heule jetzt schon." Eine andere Zuschauerin, faltet die Hände und reckt sie in Richtung Kneipendecke: "Los Jungs, bitteeeeeee!", ruft sie. Der Stadionsprecher ist längst nicht mehr zu hören, er geht im Gebrüll der Fans unter. Eine Zuschauerin steckt sich den Zeigefinger ins Ohr und dreht sich zu ihrem Mann um: "Schatz, ich bin gleich taub."

85. Minute: Die Hoffnungslosigkeit verwandelt sich in Fangesänge: "Einer geht noch, einer geht noch rein", wird skandiert - zuvor hatte Raffael für Hertha ausgeglichen. Wieder wird eine Runde Schnaps getrunken. So stand draußen auch dran: "Für jedes Tor von Hertha BSC gibt es einen Schnaps gratis".

70. Minute: Die Fans beraten über Strategien, um das Spiel zu drehen. Ein Verteidiger soll raus, ein zusätzlicher Stürmer aufs Feld, so die Meinung an der Bar. Unterdessen steigt der Zorn auf die eigene Truppe, die Spieler werden mit Beinamen bedacht: "Nach vorne, du Vogel", "Aus dem Weg, du Pfeife", "Mach doch, du Penner".

54. Minute: Rote Karte für Ben-Hatira. Die Köpfe der Fans neigen sich nach unten. "Jetzt ist es vorbei", ruft jemand von der Bar. "Mit zehn Mann, was soll da noch passieren?" Andere korrigieren die Prognose nach dem 2:1 für Düsseldorf einfach nach oben: "Jetzt spielen wir einfach 4:2." Viele schimpfen auf den Schiri und die eigenen Jungs. "Ihr habt schlecht gespielt, die ganze Mannschaft hat es verbockt. Sollen sie doch absteigen", sagt ein Mann.

Zur Halbzeit war die Hoffnung noch groß

Vor der Kneipe "Herthaner" in Neukölln.
Vor der Kneipe "Herthaner" in Neukölln.

© Annika Sartor

Halbzeitpause: Markus Kowalke ist guter Dinge: "Die Spannung ist noch da. Die packen das noch." Dann setzt er etwas leiser nach: "Wenn nicht, haben sie aber gekämpft." Seine Frau Petra sitzt neben ihm. "Ich bin völlig aus der Puste", sagt sie nach der ersten Halbzeit und greift zum Bierglas. Wie ihr Mann schätzt sie die familiäre Atmosphäre im "Herthaner". Ein Spiel im Stadion sei nichts für sie, sagt sie. "Da wüsste ich gar nicht, mit wem ich in der Halbzeit reden sollte."

Detlef Haack, 51 Jahre, Jeansweste, Wollmütze, genehmigt sich vor der Kneipe eine Zigarette. Hier im "Herthaner" nennen sie ihn Hacki. Auf seiner Weste verkündet ein Aufnäher: "Hertha ist eine Religion". "Wir haben keinen Bock auf zweite Liga", sagt Hacki, "sollten die Jungs in der ersten Liga bleiben, müssen sie sich etwas einfallen lassen, dass wir Fans so einen Scheiß nicht noch mal erleben." Er ist seit 40 Jahren Hertha-Fan, sah das erste Spiel aus Schuljunge im Olympia-Stadion. Damals habe die Hertha noch als Vormannschaft der Nationalmannschaft gespielt, sagt er. Und wenn Hertha jetzt absteigt? "Egal. Ich habe mir gerade eine Dauerkarte gekauft. Einmal Hertha, immer Hertha."

34. Minute: Im "Herthaner" dominiert der Imperativ: "Rüber!", "außen!", "schieß", "mach", "schneller!", "ran da!", "weg da!", "hin da!"

23. Minute: Der Ausgleich, die Fans sind nicht zu halten. Sie springen von ihren Plätzen auf, johlen, gröhlen, pfeifen. Die Männer schlagen ein, die Frauen umarmen sich. Die Wirtin, die im Hertha-Trikot serviert, spendiert eine Runde Kurze für alle: Pflaumenschnaps - auch für Medienvertreter vor Ort. Die Fans hüpfen auf und ab, singen: "Das war super, das war elegant. So soll es weiter gehen. Hertha BSC steigt niemals ab."

1. Minute im Spiel: Entsetzen und Schreie in der Bar. Alle schlagen sich Hände vor das Gesicht, als Düsseldorf in Führung geht. "Das gibt es doch nicht. Das kann nicht sein", ist zu hören. Draußen drücken Passanten die Nase an die Scheibe, um einen Blick auf die Leinwand zu erhaschen.

20:25: Kurz vor dem Anpfiff erzählt der 48-jährige Markus Kowalke: "Ich bin seit 30 Jahren Hertha-Fan. Die müssen einfach in der ersten Liga bleiben, sonst ist Berlin die einzige Hauptstadt Europas ohne Erstligaverein. Das wäre peinlich, wenn die verlieren." Zwei Minuten vor dem Spiel singt der Fanchor: "Jetzt geht's los, jetzt geht's los." Ein Einzelner grölt: "In zwei Minuten kann mit der Dortmunder Vernichtung begonnen werden." Stille. Verdutzte Gesichter. Der Mann korrigiert sich: "Ich meine natürlich Düsseldorf."

20:15: Berlin-Neukölln - Kneipe "Herthaner" in der Weserstraße. Es ist eine dieser typischen Fan-Kneipen. Schon draußen hängt eine große Hertha-Fahne, drinnen Trikots so weit das Auge reicht. In der Kneipe wurde eine große Leinwand und ein Fernseher aufgebaut, das Bier fließt, Zigarettenrauch brennt in den Augen. Der Laden platzt aus allen Nähten, drinnen sitzen etwa 50 Leute mit Trikots, Schals und Fahnen. An der Bar sieht man viele Jogginghosen, viele Tätowierungen. Sogar ein schwarzer Hund, der durch die Kneipe streift, trägt heute ein Hertha-Halstuch. Das volle Programm.

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