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Nach dem Spiel feierten die Fans im Werner-Seelenbinder-Sportpark in Neukölln.

© Ian Stenhouse/No Dice Magazine.

Kolumne Berliner Fußball: Die Pokalsensation des SV Tasmania

Unser Kolumnist war beim Berliner Pokal-Halbfinale zwischen SV Tasmania und dem Berliner AK. Was er dort erlebte und warum er an das Champions-League-Endspiel 1999 zwischen Manchester United und Bayern München denken musste, lesen Sie hier.

Ich war fünfzehn Jahre alt, als ich das Champions League Endspiel 1999 zwischen Manchester United und Bayern München im Fernsehen sah. Bayern schoss ein frühes Führungstor und dominierte das Spiel – bis zur einundneunzigsten Minute. Dann kam der Ausgleich von Teddy Sheringham. Und kurz darauf das Siegtor von Ole Gunnar Solskjær. Mit dem Schlusspfiff sank Bayern-Verteidiger Sammy Kuffour zu Boden, schlug gewaltig und emotional mit geballten Fäusten auf den Rasen und weinte.

Das ist jetzt knapp fünfzehn Jahre her, und ich habe von diesem Spiel viele wichtige Dinge gelernt, hauptsächlich von Alex Ferguson und seinem Interview nach dem Spiel. „Football, bloody hell!“ hat er mit einem großen Lächeln auf dem Gesicht gesagt, dieser verdammte Fußball. Mehr konnte er nicht ausdrücken – weil es manchmal nicht mehr auszudrücken gibt. Er hatte keine drastische taktische Umstellungen gemacht. Bayern oder der Schiri hatten keine groben Fehler gemacht. United hatte einfach mehr Leidenschaft, mehr Glück, mehr Impuls, mehr Antrieb. Das ist fast immer wichtiger als komplexe Taktik.

So war’s auch am Mittwochabend im Werner-Seelenbinder-Sportpark in Neukölln. Berlin-Ligist SV Tasmania gelang gegen Regionalligist Berliner AK die Sensation im Halbfinale des Berliner Pokalwettbewerbs. 2:1 nach 0:1 Halbzeitrückstand, mit zwei Toren von Einwechselspielern. Entscheidend war aber, dass Tasmania einfach über die letzten Monate die Gewohnheit zu Siegen entwickelt hat – genau das Gegenteil vom BAK mit nur zwei Siegen seit November. Tasmania spielt zwei Ligen tiefer, aber mit Blick auf die aktuelle Verfassung der beiden Teams war der Sieg die wohl am wenigsten überraschende Pokalüberraschung aller Zeiten.

Beide Teams waren am Anfang nervös und vorsichtig – vor allem die Gastgeber. BAK hatte ein paar ungefährliche Distanzschüsse bevor Christian Siemund nach etwa einer halben Stunde den Führungstreffer erzielte. Als der Ball ins Tor rollte, lag Siemund auf dem Bauch und schlug emotional auf den Boden – genau wie Sammy Kuffour. Die Emotionen waren aber völlig anders. War das endlich der Befreiungsschlag für den kriselnden BAK? Vielleicht könnte diese albtraumhafte Rückrunde doch etwas Licht am Ende des Tunnels haben, mit dem Einzug ins Pokalfinale und der damit verbundenen Chance auf die lukrative Teilnahme am DFB-Pokal in der neuen Saison?

Tasmania war aber eine andere Mannschaft nach der Pause. Nach einer zurückhaltenden ersten Halbzeit hatten wir plötzlich ein schnelles, temporeiches Spiel mit mehreren Torchancen für beide Mannschaften. Nach 60 Minuten flankte der starke Salvatore Rogoli von der linken Seite, der Ball wurde von BAK nicht geklärt und von Tasmania-Joker Kevin Gempf sicher ins Tor geschossen. Und dann der Wendepunkt: Der BAK bekam einen Elfmeter, Baris Gündüzer schoss aber rechts daneben. Vorteil Tasmania. Stichwort: Impuls.

Das Siegtor ließ nicht lange auf sich warten. Safa Sentürk schoss ungenau von außerhalb des Strafraum. Der Ball kam zu Jack Grubert, BAK-Torwart Eric Niendorf hatte keine Chance. Wenn Siemund sein Tor wie Sammy Kuffour gefeiert hatte, dann war Grubert eher so wie Marco Tardelli im WM-Endspiel 1982. Tasmania gewann und trifft nun im Endspiel auf den zweiten Berliner Regionalligisten, FC Viktoria 98, der sich nach Elfmeterschießen beim zukünftigen dritten Regionalligisten aus der Hauptstadt durchsetzte, dem BFC Dynamo.

Es ist klar, dass in dieser Mannschaft von Tasmania viel Zusammenhalt, viel Motivation und viel Leidenschaft steckt. So etwas entwickelt, wenn man ständig gewinnt. Der BAK, auf der anderen Seite, war schon abgeschlagen. Keiner wollte in der Schlussphase die Verantwortung annehmen. Das Team aus Moabit konnte keine einzige Torchance über die letzte fünfzehn Minuten erarbeiten.

Manchmal hat eine Mannschaft schon lange vor dem Schlusspfiff eine Niederlage erlitten. Die kaputten Bayern-Spieler 1999 mussten wenigsten nicht mehr allzu lange auf die Gnade des Schlusspfiffs warten. Football, bloody hell.

Der Autor: Stephen Glennon kommt aus Irland, lebt seit 2005 in Berlin und ist Mitgründer des englischsprachigen Berliner Fußballmagazins „No Dice.  Für den Tagesspiegel schreibt Glennon immer freitags über den Berliner Fußball. Aktuelle Fotos und Spielberichte aus dem unterklassigen Berliner Fußball gibt es auch unter: www.facebook.com/NoDiceMagazine

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