zum Hauptinhalt
Gut möglich, dass die TSG Neustrelitz (rote Trikots) bald häufiger in Berlin im Einsatz ist, und nicht nur gegen die Reserve-Mannschaft von Hertha BSC.

© Imago

Kolumne Berliner Fußball: TSG Neustrelitz: Per Fernbus zum Heimspiel?

Der Regionalliga-Spitzenreiter TSG Neustrelitz will nach Berlin umziehen, zumindest vorrübergehend. Höchste Zeit für unseren Kolumnisten, sich bei dem Klub aus Mecklenburg-Vorpommern mal umzuhorchen.

Mecklenburg-Vorpommern erinnert mich sehr an meinen Heimatort in den irischen Midlands. Es ist sehr grün dort, es gibt viele Seen und das Land ist so flach wie der Dialekt der pragmatischen Einwohner. Es hat eine Schönheit, die nicht sofort erkennbar ist – wenn es anderswo so viele schöne Berge oder spannende Partymetropolen gibt, sind Meck-Pomm und Mittelirland keine Prioritäten für Touristen. Die Hauptstadt liegt jeweils etwa 90 Minuten entfernt, wird aber etwas skeptisch angesehen. Was hat die Hauptstadt anzubieten, was wir nicht schon selbst haben? Nichts! Mein Heimatort hat sogar eine Fußballmannschaft in der irischen Premier League, also einem Gefilde, wo er aus demografischer und finanzieller Sicht eigentlich gar nicht hingehört  – genauso wie der Mecklenburgische Spitzenreiter der Regionalliga Nordost, TSG Neustrelitz. Der Unterschied ist, dass Athlone Town ein tolles, neues, eigenes Stadion hat, das jedes Jahr eine Lizenz für jede Liga bekommt. Das hat Neustrelitz nicht. Und deswegen überlegt der Verein, im Falle des Aufstiegs in die Dritte Liga vorübergehend nach Berlin umzuziehen, während die nötigen Renovierungen am Neustrelitzer Parkstadion durchgeführt werden.

Bevor wir weitermachen, muss ich etwas zugeben. Vor dieser Saison wusste ich nicht, dass Neustrelitz überhaupt existiert. Erst durch die unglaubliche Serie von 13 Siegen in Folge habe ich irgendwann Google Maps angeschmissen und die Stadt gefunden. Wussten Sie, dass Neustrelitz die neuntgrößte Stadt von Mecklenburg-Vorpommern ist? Ich auch nicht. Es ist sogar kleiner als Güstrow und Waren (Müritz) – von denen habe ich auch nicht gehört. Der Punkt ist, dass es ein unglaublicher Erfolg für Neustrelitz ist, so lange an der Spitze der Regionalliga zu stehen – egal, ob der Aufstieg klappt oder nicht (Der Meister der Regionalliga-Nordost muss anschließend Relegationsspiele um den Aufstieg in die Dritte Liga bestreiten). Aber wenn es klappt, dann wird’s Probleme geben. Das Parkstadion ist zu klein für eine Drittliga-Lizenz und der Verein hat schon eine Lösung gefunden: den Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Berlin.

„Es ist das nächstgelegene drittligataugliche Stadion, mit 113km Entfernung“, sagt Oliver Bornemann, Sportdirektor des Vereins. „Es gibt sehr gute Verkehrsanbindungen zwischen Neustrelitz und Berlin-Gesundbrunnen, von wo aus man fußläufig das Stadion erreichen kann. Es ist auch wirtschaftlich die interessanteste Lösung.“

Es bleiben aber trotzdem viele Unklarheiten. Wird die Arbeit am Parkstadion nur durchgeführt, wenn die Mannschaft tatsächlich aufsteigt? Wie lange wird Neustrelitz in Berlin spielen? Wer bezahlt die Renovierungskosten daheim? Gespräche mit dem Land und mit der Stadt laufen.

Robert Gerhart ist seit achtzehn Jahren TSG-Fan und will nicht, dass die Mannschaft nach Berlin umzieht. Er ist aber realistisch – das Stadion muss schließlich umgebaut werden. „Die beste Lösung wäre, dass man vielleicht bis zum Winter in Berlin spielt und dann für die Rückserie zurückzieht“, meint er. „Momentan gibt es um die 1000 Fans bei unseren Heimspielen aber ich denke, wenn wir aufsteigen und in Neustrelitz spielen würden, kämen zwischen zwei- und dreitausend Leute.“ Die vorgeschriebene Mindestkapazität für die Dritte Liga beträgt übrigens 10.000. Und würden viele Neustrelitzer die Reise nach Berlin unternehmen? „Man spielt lieber zu Hause als in Berlin“, sagt der 24-jährige.

Die Umzugspläne haben diese Woche schon für viele Schlagzeilen über die TSG Neustrelitz gesorgt, aber dann kamen plötzlich noch mehr: Trainer Thomas Brdaric wird den Klub am Ende der Saison verlassen – egal, ob die Mannschaft aufsteigt oder nicht. Das Timing dieser Bekanntmachung ist durchaus schlecht, umso interessanter aber ist die Begründung. Neustrelitz war natürlich immer nur ein Zwischenstopp für den einstigen Champions League und Nationalspieler, aber er hat auch infrastrukturelle Probleme bei der TSG als Grund für den Abgang erwähnt. Ich habe Oliver Bornemann gefragt, was er damit meint. „Zum einem wohl die Unwissenheit, wie es mit dem Stadion weitergeht – da werden wir zeitnah einen Weg finden“, antwortet der Sportdirektor, um dann noch weiter auszuholen. „Wir haben, was professionellen Fußball angeht, suboptimale Trainingsbedingungen. Da haben wir mehrfach versucht, mit der Stadt einen gemeinsamen Weg zu finden. Wir sind immerhin auch Werbebotschafter von Neustrelitz, da sollte man auch versuchen, für uns die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen. Wir bekommen aber mehr Widerstände als Unterstützung seitens der Stadt“.

Ich habe in dieser Woche mehrmals ein Zitat von Andreas Grund gesehen, dem Bürgermeister der Stadt Neustrelitz: “Den Profifußball zu unterstützen, ist nicht die Aufgabe einer Kommune.”

Hier wird die Idee der TSG Neustrelitz anscheinend zu eng betrachtet. Klar, das ist zunächst mal ein Fußballverein. Aber es kann für eine sonst weitestgehend unbekannte Stadt auch viel mehr sein. Ich habe mich sehr gefreut, als Athlone Town in die irische Premier League aufgestiegen ist – nicht, weil ich großer Fan bin, sondern weil ich es schön finde, dass meine kleine Heimatregion einen Vertreter auf der größten Bühne des irischen Fußballs hat. Eigentlich komme ich aus Mullingar. Wir hassen die scheiß Athloner. Aber wir sind trotzdem Stolz – die sind Midländer, so wie wir. Wir sind endlich sichtbar! Es geht nicht nur um Dublin und Cork! Wir haben nicht so viele Möglichkeiten, auf uns Stolz zu sein – und wollen deswegen jede Möglichkeit feiern.

Ich will nicht unhöflich sein oder Neustrelitz beleidigen, aber wie oft darf die Stadt ein einen großes Ereignis feiern? Wie oft reisen tausende von Menschen für einen Tagesausflug dorthin? Und wie oft sind nationale Fernsehkameras zu Besuch? Es könnte oft sein, wenn es mit dem Aufstieg klappt und die Mannschaft möglichst selten ins weite und fremde Berlin ausweichen muss. Denn dass die TSG massenhaft Berliner in den Jahn-Sportpark lockt, scheint unwahrscheinlich, damit haben schon die einheimischen Klubs große Schwierigkeiten. Das sollte auch Bürgermeister Grund im Kopf behalten.

Der Autor: Stephen Glennon kommt aus Irland, lebt seit 2005 in Berlin und ist Mitgründer des englischsprachigen Berliner Fußballmagazins „No Dice.  Für den Tagesspiegel schreibt Glennon immer freitags über den Berliner Fußball. Aktuelle Fotos und Spielberichte aus dem unterklassigen Berliner Fußball gibt es auch unter www.facebook.com/NoDiceMagazine

Zur Startseite