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Ex-Radprofi Marco Appler justiert den Fahrradsattel.

© Tsp

Kolumne: Ich - Ironman (10): Beim Schleifstein-Optimierer

Unser Autor will Anfang Juli am deutschen Ironman in Frankfurt teilnehmen. Weil er wie ein Tiefkühlkaninchen auf seinem Rennrad sitzt, unterzieht er sich einer stundenlangen Sitzpositionsoptimierung.

Eine dreiste Beleidigung hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich säße auf meinem Rennrad wie ein Affe auf dem Schleifstein, behauptete jüngst ein Triathlet beim Anblick meines Heimtrainings auf der Rolle. Mein liebes silbrig funkelndes Rad und ich, das erschien mir zwar auch vorher nicht als Inbegriff des harmonischen Zusammenspiels von Mensch und Maschine. Aber so ein Trauerspiel?

Da ich kein Zeitfahrrad besitze und mein Sparstrumpf gerade eher ein Kompressionsmodell ist, bin ich gezwungen, an der Symbiose aus meinem Aluminiumgefährt und mir zu feilen. Sitzpositionsoptimierung heißt das Prozedere, das für solch traurige Fälle erfunden worden sein muss. Ich wusste bisher nicht, dass man zweieinhalb Stunden damit zubringen kann, einen Sattel und zwei Pedale einzustellen. Aber die Mitarbeiter des darauf spezialisierten Ladens Laktat3 in Friedrichshain – die ehemaligen Radprofis Ronny und Marco – haben den Beweis mühelos erbracht. Immerhin kostet der kosmetische Eingriff auch 240 Euro.

Ziel der Feineinstellungen ist es, die optimale Position auf dem Rad zu finden, sowohl was die Kraftübertragung auf die Pedale als auch die Aerodynamik betrifft. "Man kann zwar auch auf einem teuren Zeitfahrrad scheiße sitzen, aber noch schlimmer ist es, auf einem scheiß Rad scheiße zu sitzen", erläutert Marco eingängig, als ich die Affe-auf-Schleifstein-Haltung einnehme. Zur Anamnese hat er mein Rennrad auf eine Trainingsrolle montiert, die Platten unter meinen Schuhen justiert und mir Fixpunkte auf Schulter, Ellenbogen, Hand, Hüfte, Knie und Knöchel geklebt. Von der Seite filmt nun eine Kamera, welche Irrwege die Punkte beim Treten einschlagen, und überträgt das Dilemma auf einem Computermonitor.

Unser Autor Arne Bensiek in optimaler Sitzposition.
Unser Autor Arne Bensiek in optimaler Sitzposition.

© Tsp

Mit Hilfe eines Programms zeichnet Diplom-Sportwissenschaftler Marco munter Winkel ein und überprüft diverse Gradzahlen. "Du sitzt definitiv zu niedrig und zu weit hinten", ist das Blitzurteil des Experten. Mein Oberkörper sei zu sehr in die Länge gezogen, wenn ich die Arme auf dem Zeitfahraufsatz des Lenkers lege. "Das ist bestimmt auch keine angenehme Haltung", mutmaßt der mehrfache Ironman-Finisher.

Mich zu strecken wie ein Kaninchen im Tiefkühlfach, schien mir bisher schlicht alternativlos. Den Sattel musste ich so weit wie möglich nach hinten schieben, um darunter das unverzichtbare Nottäschchen mit Reserveschlauch und Werkzeug befestigen zu können. Jetzt verschieben sich die Prioritäten. "Wir müssen dich nach vorne bringen", erklärt Marco, der das schuldige Täschchen schon von der Sattelunterseite gepflückt hat und mit einem Inbusschlüssel ans Optimieren geht.

Als alle Schrauben wieder festgezogen sind und ich lostrete, ist mein Tuningfreund immer noch nicht glücklich: "Wenn die Tretkurbeln in der Waagerechten stehen, ist dein Kniegelenk immer noch zu weit hinter der Pedalachse." Zwei Zentimeter fehlten noch, um eine optimale Kraftübertragung zu erreichen. Der Sattel ist allerdings am Anschlag. Ich bin ratlos.

"Deine Sattelstütze ist nach hinten gebogen, wenn wir die noch durch eine gerade ersetzen, ist das Problem gelöst", verspricht Marco. Er mache mir auch einen Freundschaftspreis, sagt Chef Ronny. 60 Euro für zwei Zentimeter? Das klingt eher nach dem Kostenvoranschlag eines Intimchirurgen. Aber ich akzeptiere den Eingriff am offenen Geldbeutel.

Eine halbe Stunde oder – genauer gesagt – eine Sattelstützenmontage später steige ich auf das frisch operierte Rad. Nicht nur Vektor-Marco ist jetzt zufrieden mit den Pirouetten seiner Klebepunkte und schwärmt von irgendeinem Kraftmaximumwinkel von 115 Grad. Auch ich fühle, dass ich jetzt deutlich entspannter auf meinem Rad hocke. Meine gesamte Muskelkette von den Armen, über den Rücken, bis in die Beine müsse sich nun allerdings erst einmal an die neue Haltung gewöhnen, warnt Marco. Das könne anfangs kräftigen Muskelkater geben. "Aber ich denke, wir haben dich für die 180 Radkilometer beim Ironman gerade mindestens 20 Minuten schneller gemacht."

Beflügelt wuchte ich meinen Schleifstein aus dem Laden und frage mich dabei, welche anderen Beleidigungen noch einen beschleunigenden Effekt haben könnten. Nur noch ein paar mehr und die Qualifikation für Hawaii ist drin.

Arne Bensiek ist Autor des Tagesspiegel. Jeden Donnerstag erscheint seine Kolumne „Ich – Ironman“ auf www.tagesspiegel.de/ironman.

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