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Sportpsychologe Veit Klenner.

© Mike Wolff

Kolumne: Ich - Ironman (11): Startschuss im Kopf

Unser Autor will Anfang Juli am deutschen Ironman in Frankfurt teilnehmen. Dafür trifft er sich mit einem Sportpsychologen, spricht mit ihm über Ängste und Albträume.

Neulich ist der schlimmstmögliche Fall eingetreten. Ich komme am Wettkampfort an, völlig aufgeregt. Ich bin spät dran. Hektisch springe ich aus dem Auto, renne rüber zum See. Da sehe ich das Unheil. Das Rennen läuft. Ich bin zu spät. Die ersten Triathleten steigen schon wieder aus dem Wasser. Ich fühle mich wie gelähmt. Alles ist ruiniert, all die Vorbereitung umsonst, der Traum vom Ironman ist geplatzt. Dann bin ich aufgewacht.

„Ein gutes Zeichen, das zeigt, dass Du fokussiert bist“, überrascht mich Sportpsychologe Veit Klenner. Ich möchte mit ihm über die mentale Herausforderung eines Ironman-Wettkampfs reden, vor allem will ich lernen, wie ich stark bleiben kann, wenn mein Körper schwach wird. Aber zunächst mal verstören mich diese jüngsten Träume von meinem großen Traum. An eine Handvoll kann ich mich erinnern. Nie träume ich vom Training, immer drehen sich die Träume um den Wettkampf. In keinem habe ich das Ziel erreicht. Jedes Mal kommt mir irgendein Problem dazwischen. Was soll der Mist?

„Das ist die Angst davor, dass äußere Umstände dich stoppen könnten“, erklärt mir Veit. „Dein Kopf versucht alle erdenklichen Falltüren auszumachen, damit du sie am Ende umgehst.“ Eigentlich halte ich das Verpassen des Ironman-Starts für ein vollkommen idiotisches und unrealistisches Szenario. Mein Unterbewusstsein offenbar nicht. Um mich selbst zu beruhigen, könnte ich am Wettkampftag statt um 3.30 Uhr noch eine Viertelstunde früher aufstehen, ich könnte noch ein bisschen mehr Zeit für die Fahrt zum Langener Waldsee einplanen, wo der Ironman Germany beginnt. „Du solltest versuchen, alle Überraschungen auszuschalten“, empfiehlt mir Veit, der schon viele Mitteldistanz-Triathlons und im vergangen Jahr sogar seine erste Langdistanz gefinisht hat. Um mental stark zu sein, sei es ratsam, vorab ein Drehbuch für den gesamten Wettkampftag zu entwerfen. Den Ablauf solle ich bewusst visualisieren. „Es geht darum, im Rennen möglichst viele bereits durchdachte Momente zu erleben und Aha-Effekte zu erzielen.“

Die besondere Herausforderung einer Langdistanz ist also schon vor dem Startschuss der Kopf. Er muss die Trainingsschnipsel zu einem großen Puzzle zusammenlegen. Denn anders als in den meisten Sportarten, ist es unsinnig, im Training eine Ironman-Generalprobe hinzulegen. Die Regenerationszeit wäre zu lang. Also bleibt immer ein Rest Unsicherheit, ein paar Zweifel. Wie fühlt sich nach sieben Stunden der Wechsel vom Rad zum Laufen an? Wie verarbeitet mein Magen nach zehn Stunden Banane Nummer dreizehn? Und wie gehe ich damit um, wenn es anders kommt, als ich es vorgesehen habe?

Die ersten beiden Fragen kann ich als Ironman-Frischling unmöglich vorab beantworten – und niemand seriös für mich. Bei der dritten ist Veit als Verbandspsychologe der deutschen Eiskunstläufer dagegen in seinem Element. Stürzen seine Athleten beim dreifachen Rittberger oder vierfacher Toeloop, müssen sie das sofort ausblenden, dürfen dem nicht nachhängen. „Wichtig ist, nicht in eine Negativschleife zu kommen, sondern seine Gedanken sofort auf den nächsten Koordinatenpunkt zu nageln“, erzählt Veit. „Der Trick ist, Dich selbst zu betrügen.“ Ihm selbst helfe dabei ein positives Mantra. Veit geht ins Hohlkreuz und streckt die Brust raus. „I’m a machine“, trichtere er sich dann ein.

Über meine Lieblingsangst – das Untergehen beim Schwimmen im riesigen Pulk – schmunzelt Veit. Ich sei doch trotz der traumatischen Erlebnisse noch am Leben, an diese Erkenntnisse müsse ich anknüpfen. Im Neoprenanzug könne ich ohnehin nicht untergehen. Wenn es trotzdem wieder zur Angst komme, solle ich versuchen, dem auslösenden Moment zu entkommen: Atmung sicherstellen, nach außen schwimmen, wo weniger Gedränge herrscht, um dann wieder die Gedanken auf meine Schwimmtechnik zu fokussieren.

Total erleichtert steige ich aus dem Wasser, löse am Rücken den Reißverschluss meines Neoprenanzugs. Laufenden Schrittes geht es eine kleine Steigung hoch durch den Sand Richtung Wechselzone. Ich fühle mich gut, kaum ausgelaugt. Kurz orientieren, in die richtige Reihe abbiegen. Da, mein Wechselplatz. Mein Rad? Nicht da. Mein Herz pumpt reines Adrenalin. Da fällt mir ein, dass ich das Rad im Auto vergessen habe. Ich renne zu meinen Eltern, die hinter der Absperrung an der Wechselzone stehen. „Schnell, ich brauche den Autoschlüssel“, flehe ich meine Mutter an. „Das bringt doch jetzt auch nichts mehr“, meint sie und schaut mitleidig. Halb zornig, halb verzweifelt beginne ich, sie zu schütteln. Bevor der schlimmstmögliche Fall eintritt, wache ich auf.

Arne Bensiek ist Autor des Tagesspiegel. Jeden Donnerstag erscheint seine Kolumne „Ich – Ironman“ auf www.tagesspiegel.de/ironman.

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