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Ankommen ist alles. Unser Autor beim Zieleinlauf.

© promo

Kolumne: Ich - Ironman (22): Aluman und sein Kunstwerk

Unser Autor will Anfang Juli am deutschen Ironman in Frankfurt teilnehmen. Bei der Generalprobe wird er auf seinem normalsterblichen Rad unzählige Male überholt und nimmt das trotzdem als Kompliment.

Seinen Schrecken verliert der graue Ironman-Brei mit dem ersten Löffel. Etwas scharf, aber gar nicht so übel, melden Zunge und Nase, als ich mir den wässrigen Bananenhaferschleim mit Zimt und Ingwerpulver reinfahre, so wie mir das Ernährungsexperte Dr. Wolfgang Feil empfohlen hat. Die Pampe ist das erste Ritual am Morgen der Generalprobe, am Tag, an dem ich all das wage, was mir erfahrene Triathleten und Experten für die erste Langdistanz geraten haben.

Mit genau fünf Wochen Abstand zum Ironman in Frankfurt liegt der Wasserstadt Limmer Triathlon in Hannover fast ideal. Ich habe mich für die Mitteldistanz (1,9 Kilometer Schwimmen, 90 Kilometer Radfahren, 21 Kilometer Laufen) angemeldet, ein ernsthafter Test mit ausreichend Zeit zur vollständigen Regeneration bis zum großen Tag. Als ich mein läppisches Rennrad nach dem Check-in durch die Wechselzone schiebe, merke ich, dass auch wirklich Hinz und Kunz eine Zeitfahrmaschine aus Karbon besitzen. Den Titel Aluman habe ich hier schon sicher. Ein wenig beunruhigen mich die grauen Wolken und die gerade mal 13 Grad. Werde ich mit meiner nassen Wettkampfkleidung im Fahrtwind zu Eis? Ein Helfer lacht mich aus. „Wir haben hawaiianische Verhältnisse.“ So wie er wiehert, muss das Thermometer in den letzten zwei Jahren um den Gefrierpunkt gewesen sein, der Wettkampf eine Polarexpedition.

Bloß nicht unter die Räder kommen

Ich parke mein Rad in der vorgesehenen Halterung und drapiere feinsäuberlich ein kleines Handtuch daneben. Gels, Sonnenbrille, Socken, Laufschuhe, Cappy – alles, was ich später brauche, sollte darauf in chronologischer Reihenfolge griffbereit liegen. Auf der Mitteldistanz kommt es zwar nicht auf die Sekunde an, noch weniger auf der Langdistanz – aber man muss die Zeit auch nicht unnötig verschenken. Mit der Gewissenhaftigkeit eines Schaufensterdekorateurs habe ich meinen Hausrat gerade zu einem akkuraten Gesamtbild zurechtgezuppelt, da kräht es hinter mir: „Wenn du deine Sachen nicht gleich da wegnimmst, mache ich das.“ Der Helfer ist offenbar auch Aufpasser und kann auch anders. Am Rad seien nur der Helm und die Schuhe erlaubt. Alles andere müsse ich 50 Meter weiter aufbauen. „Sonst wird das hier zwischen den Rädern zu eng und unübersichtlich“, erklärt er mir. Etwas genervt organisiere ich den Umzug meines fragilen Kunstwerks.

Am Lindener Stichkanal, einer Abzweigung der Leine, sind die Ersten schon in ihre Neoprenanzüge geschlüpft. Das Wasser ist 19 Grad kühl, die Schwimmhilfe ist also zum Glück erlaubt. Da ich mein zehn Jahre altes, brotscheibendickes Modell satt hatte, habe ich mir einen neuen Neo besorgt, der unter den Armen aus angenehm dünnem und flexiblem Material besteht. Ob ich dem Modellnamen „Sailfish Attack“ alle Ehre machen kann, bezweifle ich trotzdem. Ich drücke mir noch ein ungeliebtes Gel rein, springe dann als einer der Letzten in den glasklaren Kanal und ordne mich für den Schwimmstart vorsichtshalber eher hinten ein. Bloß nicht unter die Räder kommen. Direkt neben mir schwimmt ein Bär ohne Anzug. Ich rätsle noch, ob er nach dem Frühstück nicht mehr in seinen Neo gepasst hat, oder ob er sich allein aus Tapferkeit für Biopren entschieden hat. Da fällt der Startschuss.

Unser Autor springt in Hannover als einer der Letzten in den Kanal.
Unser Autor springt in Hannover als einer der Letzten in den Kanal.

© promo

Ich kraule los. Und merke, dass ich vor lauter Bär vergessen habe, den Startknopf meiner Uhr zu drücken. Ein, zwei Brustzüge, erledigt. Die Strecke führt auf der linken Kanalseite 950 Meter bis zu einer gelben Wendepunktboje und auf der anderen Seite wieder zurück. Bei jedem Atemzug auf der linken Seite orientiere ich mich am Ufer. Das anstrengende Ausschauhalten nach der fernen Boje entfällt. Grund zur Freude, wäre da nicht der Idiot hinter mir, der mit seinen Händen immer wieder an meine Fußsohlen stößt. Aber gegen die 3000 Starter in Frankfurt sind die etwa 130 in der ersten Startgruppe hier und jetzt ein Lacher, beruhige ich mich. Wie gelernt, versuche ich mit meinen Armen weit nach vorne zu greifen, lange zu gleiten und die Luft schnell wieder auszuatmen. Nach der Hälfte hat sich das Feld so zerstreut, dass keine Kollisionsgefahr mehr besteht. Mit wackeligen Beinen, aber vollkommen erleichtert steige ich nach 35 Minuten die rostigen Stufen aus dem Kanal. Frühstücksbrei? Schwimmtrainer? Neoprenanzug? Ich weiß gar nicht, wo ich danke sagen soll.

In der Wechselzone pelle ich mich aus dem warmen Neo. Shirt und Socken an, Startnummernband zu, Brille auf. Dann ab zum Rad. Helm auf und schiebend Richtung Ausgang. Gleich auf den ersten Kilometern überholt mich eine ganze Reihe von Karbongeschossen – als würde ich parken. Obwohl ich sie beim Schwimmen kaum eingesetzt habe, fühlen sich meine Beine schwer an. Da die Reihe der kohlefaserunterstützten Überholer in der gesamten ersten Radstunde nicht abreißt, muss ich feststellen: Zweiradhändler haben hierzulande ein besseres Auskommen als Schwimmtrainer.

Das Publikum schreit: "Wenden!"

Unser Autor wird gleich auf den ersten Rad-Kilometern üvon Karbongeschossen überholt.
Unser Autor wird gleich auf den ersten Rad-Kilometern üvon Karbongeschossen überholt.

© promo

Ich nehme jede Vorbeifahrt trotzig als Kompliment für meinen Wettkampfauftakt und konzentriere mich auf die Ernährung: Jede Stunde 750 Milliliter meines Kohlenhydrat-Eisweißmixes mit Zimt, Ingwer und Aminosäuren, ein Gel und als feste Nahrung einen Kohlenhydrat-Molken-Riegel. Die strenge Abfolge dieses Mehrgängemenüs fordert Servicequalitäten und viel Aufmerksamkeit und lenkt zumindest etwas von der Anstrengung ab. Nach 60 Kilometern überhole ich einen grinsenden, bärtigen Kauz, der aufrecht auf seinem Cityrad strampelt. Langdistanz-Staffel steht unter seiner Startnummer. Heißt: 180 Kilometer mit geschätzten 20 Stundenkilometern! Ich mache mir gar keine Sorgen mehr um mich, als ich nach eher lahmen 2:49 Stunden vom Rad steige.

Auf der ersten von zwei Laufrunden à 10,5 Kilometern kommen mir schon mit hochrotem Kopf und ernstem Blick die ersten Ausnahmeathleten wieder entgegen. Ich mache ruhig, um nicht zu viel Kraft zu verbrauchen. Immerhin ist das hier ein Training, trichtere ich mir ein. An der Verpflegungsstelle am Ende der ersten Runde schreien junge Mädchen: „Wasser? Cola?“ – „Habt ihr eine Schere?“, schreit ein Athlet verzweifelt zurück und verschwindet mit dem eilig aufgetanen Werkzeug in einem Dixiklo. Die Zuschauer feixen. Ich nehme eine Cola, übersehe prompt den Wendepunkt und laufe schon über einen Bahnübergang Richtung Ziel und Topplatzierung. Da schreit es: „Wenden!“ Na gut.

Bis dahin habe ich ein Gefühl der völligen Kontrolle. Doch nach 18 Kilometern spüre ich plötzlich einen Krampfansatz in der linken Wade. Bei jedem Schritt zwickt es leicht. Ich drücke das Bein bei jedem Schritt extra durch. Wahrscheinlich habe ich auf der Laufstrecke zu wenig getrunken, wahrscheinlich habe ich mich einfach zu gut gefühlt. Trügerisch. Zum Glück ist das heute kein Ironman. Als ich zum zweiten Mal den Bahnübergang Richtung Ziel quere, nähert sich eine Straßenbahn. Eine Handvoll Athleten hinter mir wird prompt zum Warten gezwungen. 5:12 Stunden habe ich bis hierher gebraucht. Und doch um Sekunden die Bahn verpasst. Zum Glück.

Arne Bensiek ist Autor des Tagesspiegel. Jeden Donnerstag erscheint seine Kolumne „Ich – Ironman“ auf www.tagesspiegel.de/ironman.

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