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Teamleistung. Arne Bensiek (1124) ist jetzt ein Ironman.

© promo

Kolumne: Ich - Ironman (27): Aufbrezeln für den Gullideckel

Unser Autor hat es beim deutschen Ironman in Frankfurt ins Ziel geschafft. Was in mehr als elfeinhalb Stunden mit Muskeln und Kopf passiert, erfahren Sie in seiner letzten Kolumne.

Mit einem mulmigen Gefühl, wie vor einer Operation oder einem ausgedehnten Zahnarztbesuch, bin ich ins Bett gegangen. Wie muss ich das verstehen, wenn mein Unterbewusstsein selbst am Vortag des Wettkampfs noch nichts von der Großartigkeit des Ironmans wissen will und stattdessen nur die Schmerzen sieht und fürchtet? Zum Glück verschwende ich daran keinen Gedanken mehr, als um 3.55 Uhr der Wecker klingelt. Um 4.30 Uhr will ich mit meinen zwei Begleitern das Haus verlassen, vorher muss ich noch meinen Frühstücksbrei anrühren und vertilgen, meine Trinkflaschen füllen und mich mit Sonnencreme einschmieren. Die Zeit ist knapp bemessen, zu knapp für Zweifel und Ängste.

Als ich um 5.15 Uhr mit meinen Trinkflaschen munitioniert und dem Neoprenanzug über der Schulter die Wechselzone betrete, herrscht dort schon großer Betrieb. Räder werden von Schutzhüllen befreit, Reifen aufgepumpt, Dixiklos gefüllt. Jedes Gramm weniger macht dich langsamer, jedes Bar Luft im Reifen schneller. Ich setze gerade die Pumpe an den Schlauch meines Vorderreifens, da knallt es ein paar Reihen weiter. Einem Sportsfreund konnte der Reifen wohl nicht schnell genug sein. Jetzt muss der Knallkopf zeigen, wie schnell er ist – im Flicken vor Publikum. Gewarnt, mache ich bei acht Bar Schluss, dann wandere ich hinüber zum See.

Die Sonne ist schon aufgegangen, aber noch nicht aufgestiegen hinter den Baumkronen, der Himmel ist blau, glatt wie Wachs liegt das Wasser da. Diese friedliche Kiesgrube verbreitet keinen Schrecken, beruhige ich mich und zwänge mich in meinen Neoprenanzug. Ein paar Streber hat die Unberührtheit des Sees offenbar gleich verführt. Obwohl es noch mehr als eine halbe Stunde hin ist bis zum Start der Profis und der besten Amateure um 6.45 Uhr, schwimmen sie sich schon mal zwei Kilometer ein.

Gute Laune vor dem Start: Unser Kolumnist Arne Bensiek am Langener Waldsee, wo die Schwimmstrecke von 3,8 Kilometern absolviert wird.
Gute Laune vor dem Start: Unser Kolumnist Arne Bensiek am Langener Waldsee, wo die Schwimmstrecke von 3,8 Kilometern absolviert wird.

© Arne Bensiek

Wie Quietscheentchen drängen sich die Athleten Richtung Wasser

Wie ein Meer von Quietscheentchen drängen sich mehr und mehr Athleten mit ihren gelben Badekappen Richtung Wasser. Ich setze erst meine Schwimmbrille auf, dann die Badekappe, so kann ich die Brille nicht verlieren, sollte ich einen Schlag abbekommen. Schon vor dem Start ist das Wasser zwischen Ufer und Startleine völlig aufgewühlt und dunkelgrau. Ich wate vorsichtig hinein, schwimme ein paar Züge und ordne mich in der dritten, vierten Reihe ein. Die Situation nach dem Startschuss gleicht einem abgepumpten Karpfenteich. Zweieinhalbtausendfach platscht und zappelt es. An einen Rhythmus ist nicht zu denken. Ich halte meinen Kopf über Wasser, um mir meinen Weg durch dieses Kreuz und Quer zu bahnen und nicht sofort ausgeknockt zu werden.

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Nach zehn Minuten hat sich das Feld etwas entzerrt und ich wage meinen üblichen Dreierrhythmus. Leichte Kollisionen sind noch immer nicht zu vermeiden. Aber das Freiwassertraining hat mir die Angst vor den Zusammenstößen genommen. Ein paar Brustzüge in allzu unübersichtlichen Situationen sind aber auch keine Schande – gerade wenn es um die Bojen herum geht. Da drängen die Schwimmer von überall auf die Ideallinie. Dabei entsteht ein Sog, der einen gerade im Neoprenanzug fast von allein um die Ecke trägt. Mancher meistert derweil gleich die gesamten 3,8 Kilometer im Bruststil. Mein Beileid. Ich finde, man muss die erste Disziplin nicht unnötig ausweiten.

Nach den ersten 2,1 Kilometern gibt es einen kurzen Landgang. Ich vermeide dabei bewusst, auf meine Uhr zu schauen. Denn ich habe mein Tempo gefunden, ich fühle mich gut und erspare mir gerne die mögliche Enttäuschung mitten auf der Schwimmstrecke. Im Gegenteil: Als ich nach der letzten großen Wendepunktboje in der Ferne den Schwimmausstieg sehe, bin ich voller Euphorie. Vor einem halben Jahr hätte ich es für unmöglich gehalten, dass ich mich nach einer Stunde Schwimmen noch so gut fühlen kann – dass ich es sogar genieße.

Das lange Liegen im Wasser nimmt einem das Gleichgewicht

Nach einer Stunde und 16 Minuten steige ich aus dem Wasser und laufe den steilen Sandhang hinauf zur Wechselzone. Meine ersten Schritte sind wackelig. Das lange Liegen im Wasser nimmt einem das Gleichgewicht. Bis ich an meinem Wechselbeutel ankomme und einen Platz auf einer Bierbank im Wechselzelt gefunden habe, sind schon mehr als zwei Minuten vergangen. Neoprenanzug aus – gar nicht so leicht mit Transponderchip am Bein und Uhr am Handgelenk. Mit einer Wasserflasche spüle ich den Sand von meinen Füßen, trockne sie mit einem kleinen Handtuch ab. Eine gute Zeitinvestition: Jedes Sandkorn in den Socken kann später zur Folter werden. Shirt und Radschuhe an, dann auf zum Rad. Nach etwas mehr als acht Minuten sitze ich im Sattel.

Auf den ersten Kilometern Bundesstraße Richtung Frankfurt wartet schon eine mürrisch dreinblickende Schar von Kampfrichtern. Die Freunde überwachen, dass niemand sich im Windschatten seines Vordermanns ausruht, zeitsparend in voller Fahrt uriniert oder Müll fallen lässt – und haben für fast jedes Szenario eigens eine Strafkarte dabei. Nach 20 Minuten habe ich mit meiner lahmen Aluschleuder schon eine Handvoll Konkurrenten mit Zeitfahrmaschinen überholt. Dass die Unglücksraben jeweils am Straßenrand ihre Platten geflickt haben, ändert nichts an der Tatsache.

Meine Bilanz beim Überholen und Überholtwerden ist unübersichtlich

Im kleinen Örtchen Maintal, das wegen seines Kopfsteinpflasters auf den Namen „The Hell“ getauft wurde, erwischt es mich um ein Haar selbst. Ein spanischer Athlet entdeckt einen lieben Kameraden und zieht kurzerhand rechts rüber. Ich schreie und verhindere knapp den Zusammenstoß. Dann fluche ich, bis mich der Spanier mit einem unschuldigen Que-pasa-Lächeln anschaut.

Meine Bilanz beim Überholen und Überholtwerden ist schnell so unübersichtlich, dass ich gar nicht mehr darauf achte. Wichtiger ist ohnehin die Konzentration auf die Verpflegungsstellen. Im Fahren erst eine Trinkflasche zu greifen und zu verstauen, dann Beutel mit Energiegel und vielleicht noch einen nassen Schwamm, erfordert Geschick. Da es später 29 Grad werden, trinke ich jede Stunde einen Liter Wasser und ein paar Schlucke von meinem Kohlenhydrat-Eiweiß-Getränk. Dazu gibt es ein bis zwei Gels pro Stunde und – wenn mir die Lust nach etwas Festem steht – hin und wieder einen Energieriegel. Später, beim Laufen, wird mein Magen kaum noch feste Nahrung aufnehmen können, das muss ich also vorziehen.

Mit jedem Kilometer wird es ruhiger auf der Radstrecke

Das Menschenspalier am berüchtigten Heartbreak Hill in Bad Vilbel trägt mich förmlich den Berg hinauf. Nach 110 Kilometern habe ich einen Geschwindigkeitsdurchschnitt von 32 Stundenkilometern. Schneller als gedacht. Doch die Euphorie geht mir langsam aus. Mit jedem Kilometer wird es ruhiger auf der Strecke, die Athleten sind nur noch mit sich selbst beschäftigt – auch ich. Nie hätte ich erwartet, dass bei einer Veranstaltung mit 3000 Sportlern so etwas wie Einsamkeit aufkommen könnte.

Als ich auf der zweiten Runde endlich wieder den Hauch von Tour de France spüren will, bin ich geschockt, dass viele Bad Vilbeler schon nach Hause gegangen sind. Genau in dem Moment, als ich unter dem großen Aufblasbogen durchfahre, verabschiedet sich der Moderator bei den Zuschauern: „Bis zum nächsten Jahr.“ Der verbale Besenwagen.

Endlich wieder Boden unter den Füßen. nach sechs Stunden auf dem Rad nimmt Bensiek die Laufdistanz in Angriff.
Endlich wieder Boden unter den Füßen. nach sechs Stunden auf dem Rad nimmt Bensiek die Laufdistanz in Angriff.

© Arne Bensiek

Nach sieben Stunden und 21 Minuten steige ich vom Rad und eiere ins zweite Wechselzelt. Ich bin glücklich, dass jetzt wieder mehr Halligalli zu erwarten ist und ich auch mein Begleitteam häufiger sehen kann. Radhelm runter, Cappy auf, Laufschuhe an und los. Eine sportliche Minute und fixe 48 Sekunden, dann hat der Marathon für mich begonnen. Meine Beine fühlen sich gut an. Aber ich weiß nicht, wie trügerisch dieses Gefühl ist. Ich habe keine Ahnung, wie meine Muskeln nach so viel Vorarbeit auf 42 Kilometer Fußweg reagieren werden. Oft habe ich gehört, spätestens nach 25 Kilometern hätten alle Schmerzen. Also gehe ich die dritte Disziplin vorsichtig an. Schließlich geht es auch darum, Krämpfe zu vermeiden. Ich will das, was jetzt folgt, soweit wie möglich genießen.

Umso entsetzter stelle ich noch auf dem ersten Kilometer fest, dass ich in den Tiefen meines zweiten Wechselbeutels die Salztabletten vergessen habe. Warum habe ich mir die Packung nicht auf die Schuhe geklebt? Da hätte ich sie nicht übersehen können. Die Sonne knallt mittlerweile, der Schweiß läuft, der Körper verliert Salz, die Muskeln übersäuern. Oh je, ein taktischer Fehler.

Bensiek vergißt die Salztabletten vor dem letzten Wechsel und ist sauer

Noch saurer als die Muskeln ist jetzt wohl nur der Athlet auf sich selbst. Was für eine riskante Unbedachtheit. An der ersten Verpflegungsstelle greife ich mir frustriert einen Becher Cola. Da sehe ich ein paar Meter weiter meine Rettung: ein kleiner Teller mit Partybrezeln. Ich greife zu und stopfe gierig eine nach der anderen in mich hinein. Meine Dankbarkeit an den Veranstalter kennt in diesem Moment keine Grenzen. Auf den angebotenen Red Bull verzichte ich derweil, dabei könnte man sich allein damit unterwegs fast die Startgebühr wieder reintrinken. Erleichtert und aufgebrezelt laufe ich weiter.

Da auf dem 10,5 Kilometer langen Rundkurs am Main entlang alle zwei Kilometer eine Verpflegungsstelle kommt, stellt sich schnell eine Routine ein: Ein Becher Wasser, ein Becher Cola, ein paar Brezeln, zwei vollgesogene Schwämme, so sieht jeder der 20 Gänge meines Marathon-Menüs aus. Ein Zwischengang aufs Dixiklo bleibt hin und wieder auch nicht aus.

Am rechten Handgelenk habe ich inzwischen ein hellblaues Haargummi, das den Zuschauern zeigt: Ich habe die erste Runde hinter mir. Ohne vier von diesen Schmuckstücken am Arm lässt der Türsteher am Eisernen Steg niemanden auf die krumme Zielgerade hoch zum Römer. Meine Gedanken kreisen also in einer Tour um Cola, Brezeln und Haarbänder.

Meine Gedanken kreisen in einer Tour um Cola, Brezeln und Haarbänder

Irgendwann, als eigentlich die Schmerzen beginnen sollten, schweifen meine Gedanken ab. Ich stelle mir die Frage, ob es Sinn macht, was ich gerade tue. Nicht, dass ich zu sehr leiden würde, oder nach Erlösung suchte, wie in manch kleinerem Wettkampf der Vergangenheit. Das Gegenteil ist der Fall: Ich fühle mich körperlich gut. Aber ich frage mich, ob es gut ist, was ich gerade tue. Nicht alles, was der Körper zu leisten im Stande ist, ist auch förderlich. Reicht die Hälfte nicht auch? Viele Athleten um mich herum können längst nur noch gehen. Was machen wir hier?

Langer Ausdauersport und Denken, das ist zusammen eine schwierige Sache. Als ich das letzte Band übergestreift bekomme, habe ich zwar keine abschließende Antwort, aber Erleichterung gefunden. Die letzten vier Kilometer schwebe ich mal mit einem breiten Grinsen, mal mit Tränen in den Augen Richtung Ziel. Von diesen Minuten habe ich so viele Jahre geträumt. Auf den Zieleinlauf habe ich mehr als elfeinhalb Stunden hingearbeitet, gegessen und getrunken – insgesamt sogar mehr als ein Dreivierteljahr. Nie habe ich mich auf eine Sache länger und gezielter vorbereitet als auf diesen Tag. Als ich zum Römer abbiege und in das Spalier aus Menschen eintauche, gibt es keine Fragen und keine Sorgen mehr. Vermutlich habe ich noch nie so laut geschrieen wie beim Überqueren der Ziellinie.

Eine junge Dame hängt mir einen Gullideckel von Medaille um den Hals. Das Ding nach Hause zu tragen, ist eine eigene Disziplin. Direkt neben mir übergibt sich ein Ankömmling, dem das Marathon-Menü offensichtlich nicht ganz gemundet hat. Auf dem Weg zu meinen Begleitern lasse ich das riesige Massagezelt, in dem gerade zentnerweise Muskelstahl geknetet wird, links liegen. In meinen behaarten Beinen könnten sich die engagierten Damen sicher verfangen. Und es ist doch alles gerade so schön.

Arne Bensiek ist Autor des Tagesspiegel. Jeden Donnerstag ist seine Kolumne „Ich – Ironman“ auf www.tagesspiegel.de/ironman erschienen.

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