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Weniger trainieren, um mehr zu leisten? Simuliertes Höhentraining soll's möglich machen.

© Arne Bensiek

Kolumne: Ich – Ironman (9): Auf Heidis Alm

Unser Autor will Anfang Juli am deutschen Ironman in Frankfurt teilnehmen. Beim simulierten Höhentraining absolviert er eine imaginäre Radtour über den Grossglockner und fühlt sich doch wie im Kinderzimmer eines computersüchtigen 14-Jährigen.

Die Tür zum Berg öffnet sich einen Spalt breit. Schnell, die kostbare Luft soll nicht entweichen. Ich schlüpfe hindurch und stehe mit einem Mal in 2500 Metern Höhe, zwischen Rennrädern und Ergometern. Mein Bergführer Grischa erklärt: „Durch einen reduzierten Sauerstoffgehalt in der Luft simulieren wir hier ein Höhentraining.“ Ausdauersportler könnten in diesem Raum effektiver und zeitsparenderer trainieren. „Bis zu 15 Prozent Leistungssteigerung kann ein Breitensportler hier erreichen.“ Genau dieses Versprechen hat mich verführt, deswegen bin ich nach Charlottenburg zu den Spezialisten von Höhenpunkt gefahren.

Nur die Gummibärchen fehlen

Frische 18 Grad sind es heute auf meinem Trainingsberg, von Schnee keine Spur. Mit einem kurzen Zischen strömt frischer Stickstoff aus einem Metallrohr an der Decke in den etwas schummrigen Raum. Es riecht wie im Kinderzimmer eines adipösen, computerspielsüchtigen 14-Jährigen. Nur Chips, Gummibärchen und Cola fehlen. Ich merke sofort, dass ich in der feindlichen Umgebung schneller atme. Grischa klemmt mir ein kleines Gerät auf den Zeigefinger, das meinen Puls und die Sauerstoffsättigung meines Blutes misst. „Die Sättigung liegt bei dir wahrscheinlich bei 98 Prozent, jetzt wird sie schnell auf bis zu 82 Prozent absinken“, kündigt er an. Der Puls steige wiederum, weil der Körper sofort auf den Mangel reagiert und seinen Stoffwechsel darauf einstellt. Ich nicke, dabei kann ich mich auf Grischas Lehrstunde schon längst  nicht mehr konzentrieren. Zu wenig Frischluft fürs Hirn.

Weniger trainieren - mehr leisten

Vereinbart ist ein Koppeltraining, also eine imaginäre Radeinheit über den Grossglockner und gleich im Anschluss ein Lauf durch Mexiko Stadt. Bevor Sportwissenschaftler Grischa die Miefhöhle verlässt, fragt er mich noch, ob er mir zur Ablenkung den Fernseher einschalten soll, der an der Wand hängt. Ich lehne ab. Ganz und gar will ich mich dem Berg hingeben. In den ersten Minuten auf dem Ergometer ziehen mich die Anzeigen des Trainingscomputers und des Oxymeters an meinem Zeigefinger vollkommen in ihren Bann. Die geringere Leistungsfähigkeit in der dünnen Luft ist an der Wattzahl, dem Puls und der mickrigen Geschwindigkeit klar zu beobachten. Weniger trainieren, um hinterher mehr zu leisten, das gefällt mir.

Dumm trinkt viel

Nach einer halben Stunde auf der Tretmühle sinkt mein schon stickstoffgedämpftes Wohlempfinden noch einmal. Beim Versuch, meine voraussichtliche Zieldistanz für 50 Minuten hochzurechnen, verheddere ich mich immer wieder. Ich gebe auf. Und trete weiter. Dumm trinkt offenbar viel: Ich habe einen wahnsinnigen Durst – meine Wasserflasche aber leider unten im Tal vergessen. Als sich in mir schon Weinerlichkeit breitmacht, entdecke ich Heidi. Durchtrainiert, von gazellengleicher Anmut steht die Blonde plötzlich rechts am Wegesrand. Das riesige Bild mit der knackigen Läuferin war meinen benebelten Sinnen bisher entgangen. Ich frage mich, ob der stolze Grischa hier seine Holde ausstellt. Oder ob die Dame hier arbeitet und ich nur den zweitbesten Trainer erwischt habe. Ein Szenario jagt das andere. Noch bevor ich eine schlüssige Antwort gefunden habe sind 50 Minuten vergangen, und ich muss Heidi und ihrer Alm Lebewohl sagen.

Von Heidi keine Spur

In meinen Radschuhen stackse ich eilig raus. Tief sauge ich die frische Luft ein. Neben Grischas Empfangstresen habe ich meine provisorische Wechselzone eingerichtet und tausche schnell Shirt und Schuhe aus. Gierig trinke ich und stopfe mir einen Müsliriegel rein. Keine drei Minuten später öffnet sich für mich die Tür zu Dampfkammer Nummer zwei, die mit den Laufbändern. Mit zwölf Stundenkilometern lege ich los. Das Band wackelt bei jedem meiner schweren Schritte. Mein Blick sucht Halt an den Wänden. Aber von Heidi keine Spur. Fahrlässig, da sich gerade auf der abschließenden Laufstrecke eine Motivationsstütze gut machen würde. Ich improvisiere kurzerhand: Da in meinem Rücken drei kleine Fenster einen Blick in Heidis Radkammer freigeben, mache ich einen Schulterblick – und falle dabei fast vom Band.

Nach einer uninspirierten halben Stunde verlasse ich klitschnass und fertig die Kammer und beschwere mich bei Grischa über die ungleiche Ausstattung der Trainingsstätten. Jeder frage nach der Blonden, erzählt er mir. Und fügt hinzu: „Vielleicht hängen wir demnächst in den Laufraum noch einen durchtrainierten Feuerwehrmann.“

Arne Bensiek ist Autor des Tagesspiegel. Jeden Donnerstag erscheint seine Kolumne „Ich – Ironman“ auf www.tagesspiegel.de/ironman.

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