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41.000 auf der Straße und viele Debütanten. Berlin ist für viele Erst-Marathonies besonders reizvoll.

© AFP/MacDougall

Kolumne: So läuft es: Ein Marathon ist nichts Spirituelles

Wer sich gut vorbereitet, gesund und fit ist, der kann gerne Marathon laufen. Wer das Laufen aber missbraucht, um zu zeigen, was für ein harter Hund er ist, muss sich nicht beschweren, wenn sich der Körper meldet.

Der Berlin-Marathon liegt gerade einmal vier Tage hinter uns. Rund 41.000 Läufer waren angetreten. Tausende Menschen an der Strecke unterstützten die Marathon-Frauen und -Männer. Zollten ihnen Respekt. Für jeden Läufer sicher Balsam auf die geschundenen Oberschenkel. Es gab dieses Jahr viele, die ihren ersten 42er gelaufen sind. Und Berlin ist für viele Erst-Marathonies besonders reizvoll.

So soll es auch gerne sein, stellt sich jemand gesund und aus freien Stücken dieser Herausforderung. Leider ist etwas verrutscht. Etwas, das auf keinen Fall verrutschen darf: Die Sicht der Laufdinge. Marathon zu laufen ist nicht gesund für den Körper. Es kann ein großer Spaß sein. Es kann ein besonderer Kampf mit sich selbst sein. Aber gesund ist ein Marathon nicht. Würde man direkt nach einem solchen Wettkampf ein Blutbild erstellen lassen, würden Werte sichtbar, ähnlich denen eines Leukämie-Kranken. Das Immunsystem ist komplett im Keller. Das Herzinfarktrisiko steigt um das Siebenfache.

Mehr und mehr bekommt das Laufen für viele beinahe etwas Spirituelles, was es einfach nicht ist. Und wer einen Marathon laufen kann, ist mindestens ein Held. Oder fühlt sich göttlich, nach den 42 Kilometern. Ein bisschen irre ist allerdings: Wer vor zehn Jahren einen Marathon gelaufen ist, der wurde als Held gefeiert. Wer heute läuft, und noch nie bei einem Marathon das Ziel erreicht hat, der ist kein Läufer. Der ist ein Walker, vielleicht ein Jogger. Und genau diese Sichtweise ist unfassbar gefährlich. Die Leistungsgesellschaft, in der wir leben, ist längst auch im Laufsport angekommen. Ähnlich wie im Berufsleben verspüren Läufer so etwas wie Zeitdruck. Sie haben nur ein Ziel: Das ständige Jagen nach der Bestzeit. Noch schneller. Noch besser. Auch gerne noch weiter. Schließlich kommt nach dem Marathon der Ultra-Marathon.

Wer das Laufen aber missbraucht, der möge sich nicht beschweren, wenn sich der Körper meldet

Wer sich gut vorbereitet, wer gesund und fit ist, sich gewissenhaft mit dem Thema beschäftigt, der möge gerne 100 Kilometer laufen. Oder gleich um die ganze Welt. Wer das Laufen aber missbraucht, um zu zeigen, was für ein harter Hund er ist, der möge sich nicht beschweren, wenn sich der Körper meldet.

Ein sehr geschätzter Kollege hat sich sehr schnell, sehr intensiv auf den Frankfurt-Marathon in einigen Wochen vorbereitet. Und es war nicht einmal sein erster Marathon. Er ist ein wirklich liebenswerter Kollege, den ich sehr schätze. Aber er ist auch ungeduldig. Und will viel. Und schnell. Die Saison ist für ihn nun beendet. Bänderabriss im Fuß, bei einem intensiven Trainingslauf. Jäh gestoppt, als er sich vielleicht selbst überholt hat. „Ich bin sehr traurig. Sehr. Aber vielleicht ist es auch gut. Um wieder ganz klar zu sehen: Marathon laufen zu können, das kann nicht jeder. Im Gegenteil! Es ist ein Geschenk, Marathon laufen zu können“, sagte er mir sehr leise am Telefon. Dem ist nichts hinzuzufügen. So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

Mike Kleiß

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