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Das Laufen wird mehr und mehr als Therapieform gegen Depressionen eingesetzt.

© Carsten Rehder/dpa

Kolumne: So läuft es: Laufen als Therapie

Jeden Tag joggt unser Kolumnist an einem verwahrlosten, kettenrauchenden Mann vorbei. Viele Menschen lachen über ihn und lästern. Dabei sollte man lieber mit ihm laufen.

Für mich ist es schier unerträglich, wie tief ein Held meiner Jugend gefallen ist. Icke Häßler. Der Weltmeister von 1990 findet sich seit einigen Tagen dort wieder, wo auch andere gefallene Seelen ihren Platz haben. In der RTL-Sendung „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“. Gekrönt wird das von der Chuzpe der Moderatorin Sonja Zietlow, die menschenverachtende Gags über Menschen macht, die am Boden sind, die geliftet sind, voller Botox. Dabei sieht die Moderatorin mittlerweile selbst so aus wie die, die sie verhöhnt. Die TV-Quote ist enorm. Schrecklich. Zu oft sind wir ein Land, das sich am Leid anderer ergötzt. Die Sendung ist der Spiegel einer hässlichen Fratze unserer Gesellschaft.

Ich laufe in letzter Zeit vermehrt meine täglichen 20 Kilometer durch die Stadt. Regelmäßig begegnet mir auf der Hälfte in Köln-Nippes ein Mann. Es ist immer dasselbe Bild: Er ist riesengroß, verwahrlost, steht vor seiner Hauseingangstür. Er raucht Kette. Zigarren. Er ist stark übergewichtig, und doch ist seine Hose zu groß. Einen Gürtel trägt er nicht. In der einen Hand die Zigarre, mit der anderen hält er sich die Hose fest. Seine Augen sind einfach nur leer. Und fürchterlich traurig. Und immer wieder lachen die Menschen, wenn sie ihn sehen. Und lästern. Und er flüchtet sich stets in den Hauseingang. Ich habe ihn heute angesprochen. Er hat seine Frau verloren, vor fünf Jahren. Sie starb an Lungenkrebs. Seither raucht er Kette. Er raucht Zigarren auf Kette. Auf Lunge. Damit er schnell wieder bei ihr ist, sagt er.

Laufen kann bei Depressionen helfen

Er steckt in einer tiefen Depression. So wie fünf Prozent der Deutschen. 3,1 Millionen Menschen. Das Laufen wird mehr und mehr als Therapieform gegen Depressionen eingesetzt und das hat seine Gründe: Der Körper wird gut durchblutet, der Stoffwechsel verändert sich positiv. Viel wichtiger: Menschen, die unter Depressionen leiden, hatten schon lange keine Erfolgserlebnisse mehr. Sie haben das Gefühl: Ich kann nichts, ich erreiche nichts. Beim Laufen lernen sie wieder: Sie werden Stück für Stück besser. Und fitter. Gerade Anfänger haben sehr schnell Erfolg. Und das tut ihnen gut.

Ich werde ihn beim nächsten Mal fragen, ob er mit mir ein Stück läuft. Und wenn Sie jemanden kennen, der gefallen ist, fragen sie ihn doch auch. Und laufen Sie mit ihm, vielleicht dann, wenn gerade die nächste Folge Dschungelcamp läuft. So läuft es. Nämlich.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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