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Bei einigen führt es bis in die Sportsucht.

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Kolumne: So läuft es: Laufen bis es wehtut

Wer es übertreibt mit dem Laufen, kann sich ernsthaft schädigen. Trotzdem können einige nicht anders.

Es ist die Zeit der Grippe. Und es ist die Zeit der Magen-Darm-Erkrankungen. Wohin man auch hört, überall liegen die Läufer flach. Und sie stehen oft viel zu früh wieder auf. Obwohl der Arzt dringend dazu geraten hat, einfach im Bett liegen zu bleiben, schleppen sich viele bereits nach ein oder zwei Tagen wieder über die Laufstrecke – und gefährden damit sich selbst und eventuell auch ihre Familie. Wenn es gut läuft, dann hat das einfach nur etwas mit Unvernunft zu tun. Wenn es schlecht läuft, dann ist das eventuell eine Form von Sportsucht.

Dieser Begriff ist leider bisher einfach nur Theorie, denn im medizinischen Diagnose-Handbuch ICD-10, das in Deutschland gilt, kommt die Sportsucht als Krankheitsbild nicht vor. Das liegt schlicht daran, dass die Lauf- oder Sportsucht oft in Verbindung mit Essstörungen oder Magersucht gebracht wird. Und diese Krankheitsformen sind in der Tat im Diagnose-Handbuch aufgenommen.

So läuft zum Beispiel ein sehr guter Bekannter von mir auch dann, wenn er noch Temperatur hat. Wenn er eigentlich unbedingt ins Bett gehört: „Weißt Du, ich laufe nicht, weil es mir Spaß macht. Es ist irgendwie eine Art Druck, ein Zwang. Ich vernachlässige recht vieles. Das Laufen ist eine Art Flucht. Da habe ich meine Ruhe. Manchmal fühle ich mich wie ein Junkie“, sagte er mir neulich. Natürlich beim Laufen.

Wie bei einer Alkohol- oder Drogensucht

Bei der Sportsucht liegt das Laufen auf Platz eins der Statistik. Im Jahr 2013 wurde eine repräsentative Umfrage dazu geführt. Fünf Prozent der befragten Ausdauersportler waren stark suchtgefährdet. Somit kann man sicher nicht von einem Massenphänomen sprechen. Aber die Tendenz zeigt steil nach oben. „Experten diskutieren seit langem, wie man die Sportsucht genau definiert. Typische Symptome sind Kontrollverlust, Wiederholungszwang und Dosissteigerung.

Die Betroffenen können nicht mehr steuern, wie oft und wie lange sie Sport treiben“, sagt der Frankfurter Sportsoziologe Robert Gugutzer. „Wenn jemand verletzungsbedingt pausieren muss, stellen sich körperliche und psychische Entzugserscheinungen wie Unruhe, Magen- Darm-Probleme oder Schlafstörungen ein.“ Zudem würden Betroffene die ganze Zeit an den Sport denken, auch wenn sie nicht trainieren. „Das sind allerdings allgemeine Kriterien, die auch für Alkohol- und Drogensucht gelten“, sagt Gugutzer.

Nicht nur grippale Infekte werden einfach überlaufen. Viele laufen bis es richtig wehtut. Auf meiner Reise zu einem großen Ultramarathon erzählte mir ein Pärchen, dass es beinahe jedes Wochenende einen Ultramarathon zusammen laufe, was eigentlich gar nicht ginge. „Wir haben die Reise aber gebucht. Wir haben einen ganz guten Arzt gefunden, der uns fit gespritzt hat“, sagten sie und grinsten. Unser Sport hat so viele wunderbare Seiten. Und sie überwiegen, keine Frage. Aber wir müssen uns leider auch mit der dunklen Seite auseinander setzen. Wohl immer öfter. So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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