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Kommentar: Das Live-Medium leert das Stadion

Alles für die Prime-Time: Joachim Huber über die Probleme der Leichtathletik-WM in Berlin mit den Zuschauerzahlen - und das schlechte Gewissen der Fernseh-Macher.

ARD und ZDF sind sehr, sehr nett. Bei den Übertragungen der Leichtathletik-WM geben Kameraleute und Regisseure ihr Bestes, damit das Olympiastadion nicht so leer aussieht, wie es tatsächlich ist. Ausschließlich nett ist das natürlich nicht, ein bisschen wird es auch das schlechte Gewissen sein. Das Live-Medium leert das Stadion und füllt die Fernsehsessel. Wenn Usain Bolt am Sonntagabend seinem 100-Meter-Weltrekord entgegenfliegt, halten 9,92 Millionen Zuschauer im ZDF den Atem an. Tag für Tag können die Sender über famose Einschaltzahlen jubeln. Die Organisatoren der WM haben die Sportarten und die Finals quotengenau getimt. Alles für die Primetime – die Leichtathletik wird zum Fernsehprogramm wie ein „Tatort“.

Und es ist ein Spitzenprogramm, jeder Wettkampf bekommt seine individuelle Dramaturgie, seine Auflösung in Super-Super-Slow-Motion, seine emotionale Wucht. Sieg oder Niederlage? Da steckt immer ein Drama drin. Der Fernsehzuschauer ist gegenüber dem Stadionbesucher im Vorteil. Längst hat er begriffen, dass das Fernsehen alles versucht, sein Publikum zu unterhalten. Fernsehen kennt keine Pausen, keine Langeweile, keine Hänger. Weil ständig etwas passieren muss, passiert auch ständig etwas. Das billigere Vergnügen ist es allemal.

Über die Dominanz des Fernsehens muss keiner in Tränen ausbrechen. Vater, Mutter, Kind, die wirklichen Fans, erhalten die Spitzen-Leichtathletik nicht am Leben. Nur das Fernsehen treibt das Schwungrad aus Sport und Ereignis, Werbegeld und kommerzieller Verwertung an. Ohne Fernsehbild keine Leichtathletik, kein Handball, kein Eisschnelllaufen, kein Boxen, kein Motorsport, jedenfalls nicht auf massentauglichem Niveau. Einzig der Fußball oder solche Einmal-im-Leben-Ereignisse wie Olympia können den Fernsehsportler massenhaft zum Stadionbesuch aktivieren. Der Rest der Leibesübungen hängt am TV-Kabel wie der Kollabierte an der Beatmungsmaschine.

Ach, in der Leichtathletik soll gedopt werden? Macht nix, das erledigt der Fernsehzuschauer bereits vor der Live-Übertragung.

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