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Kommentar: Hertha und der Faktor Leidenschaft

Mit den Beinen spielen, mit dem Kopf gewinnen? Sven Goldmann erklärt, warum Hertha am Saisonende scheiterte und noch keine große Mannschaft ist.

Hertha BSC hat in Karlsruhe mehr verloren als ein Fußballspiel. Verspielt ist die mühsam aufgebaute neue Reputation, die Teilnahme an der Champions League und wohl auch ein Teil der Zukunft, denn es ging neben sportlichen Ehren auch um verdammt viel Geld. Ja, wussten die denn gar nicht, was da auf dem Spiel stand?

Natürlich wussten sie das. Und sie haben versucht, dieses Problem so zu lösen, wie sie die gesamte Saison gestaltet hatten. Fußball wird mit den Beinen gespielt und mit dem Kopf gewonnen. Mit dieser Erkenntnis sind Trainer Lucien Favre und seine Spieler gut gefahren. Und am Ende doch beinahe zwangsläufig gescheitert beim Versuch, die nächste Ebene zu erreichen.

Es gab in der Bundesliga reichlich Mannschaften mit mehr Talent, aber wenige haben ihre Möglichkeit so effizient ausgenutzt. Mit schlauem Defensivmanagement und überfallartigen Gegenstößen, die rar, aber sehr erfolgreich waren. Hertha funktionierte über den Kopf und blendete den Faktor Leidenschaft mit weitgehend aus. Doch wer zu lang zu dicht an seinem Limit spielt, der muss jeden Tag geerdet werden, sonst überschätzt er die eigenen Möglichkeiten.

Der unerwartete Erfolg hat Hertha nicht satt gemacht, aber selbstgefällig. Schon das 0:0 vor einer Woche gegen Schalke hat die Mannschaft nicht als Warnung empfunden, sondern als ungerechte Laune des Schicksals. Karlsruhe war die Fortsetzung von Schalke, nur dass Ergebnis und Konsequenzen noch brutaler ausfielen. Das Schema beider Spiele war nahezu identisch. Nie machten die Berliner nie den Eindruck, als kämpften sie mit letztem Einsatz um alles. Sie spielten vielmehr mit dem vermeintlichen Wissen im Hinterkopf, dass sich der Erfolg bei ein wenig Geduld schon einstellen werde. So wie fast immer in dieser bis dahin so großartigen Saison.

Kühle, Effizienz und der unbedingte Glaube an beides haben in den vergangenen Monaten die Faszination des Fußballproduktes Hertha BSC ausgemacht. In der entscheidenden Phase aber wendeten sich diese Faktoren gegen ihre Urheber. Auch gegen Lucien Favre, den Mann, der das kleine Berliner Fußball-Wunder mit seinem analytischen Verstand erst möglich gemacht hat. Favre hat seinen Kapitän Arne Friedrich in den entscheidenden Spielen gegen Schalke und Karlsruhe aus logisch nachvollziehbaren Gründen nicht mitspielen lassen. Doch Fußball ist keine Mathematik, er kennt auch eine metaphysische Ebene. Man wird nie erfahren, was allein die Präsenz des 64-maligen Nationalspielers Friedrich wert gewesen wäre, welche Kapazitäten er jenseits aller technischen und taktischen Fertigkeiten geweckt hätte. Lucien Favre hat sich auf dieses gedankliche Experiment gar nicht erst eingelassen. Das muss und wird er sich vorhalten lassen.

Es gibt Grenzen, die kann man mit intellektueller Überlegenheit allein nicht überschreiten. Große Mannschaften gewinnen große Spiele nicht nur mit dem Kopf, sondern auch und vor allem mit Herz und Leidenschaft. In Karlsruhe war deutlich zu sehen, warum Hertha BSC noch keine große Mannschaft ist.

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