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Sport: Kontrolle macht glücklich

Der VfB Stuttgart siegt so, wie es sich Trainer Felix Magath vorstellt: rational und abgebrüht

Stuttgart. Wenn ein Mann wie Felix Magath wie ein kleiner Bub auf den Zaun klettert und Hunderte von VfB-Anhängern abklatscht, die ihre Hände durch die Abgrenzgitter strecken, dann muss etwas Außergewöhnliches passiert sein.

„Es war ein besonderes Spiel für die Fans“, sagte Magath, der den persönlichen Triumphzug nach dem Gewinn der baden-württembergischen Meisterschaft als Geste an die schwäbische Fußballseele verkaufen wollte.

Dieser Erklärungsversuch ehrt den Maestro; ein Teamchef, für den Fußball in erster Linie Kontrolle bedeutet, darf seine wahren Gefühle nicht zeigen. Die waren vor dem Spiel nicht besonders gut. Mittags um zwölf erschien Marcelo Bordon beim Trainer und sagte, er halte die Schmerzen in der Leiste nicht mehr aus und könne nicht länger mit Spritzen und Tabletten spielen. Die Entscheidung, Bordon möglichst schon am Montag zu operiert, bedeutet, dass der brasilianische Abwehrchef bis zur Winterpause ausfällt. „Ein unersetzbarer Verlust für die entscheidenden Champions-League-Spiele“, sagte Magath. Um viertel nach vier patzte dann der zweite Garant des Stuttgarter Sicherheitsplans.

Torwart Timo Hildebrand holte unnötigerweise den Freiburger Bruno Berner von den Beinen, und noch bevor Coulibaly die Kugel aus elf Metern zum 1:1 unter die Latte donnerte, spürte Magath auf der Bank „ein bisschen Angst, dass die Freiburger die erste Mannschaft sind, die hier drei Punkte mitnehmen“. Ein paar Augenblicke später ist Magath, der sonst in der Kabine immer leise spricht, um die Anspannung seiner Leute hoch zu halten, richtig laut geworden. „Es gab einen Anschiss vom Trainer“, berichtete Hildebrand.

Doch Magath rügte nicht nur den Verursacher des zweiten und nach den internen Rechnungen der Boulevardpresse ersten regulären Gegentors im vierzehnten nationalen Wettbewerbspiel. Nach dem Torwart bekam die komplette Truppe Kritik ab: „Ihr glaubt wohl, was beim Pokalspiel in Burghausen reicht, reicht auch fürs Derby gegen Freiburg.“ Und die zwei, die für häufige Ballverluste standen, wurden ersetzt. Routinier Horst Heldt sofort durch den jungen Christian Tiffert, der Kroate Jurica Vranjes wenig später durch den Griechen Ioannis Amanatidis.

Kurz davor hatte Freiburgs Senior Andreas Zeyer die Gelb-Rote Karte gesehen und dessen Trainer Finke „noch keine Signale, die unbedingt auf eine Niederlage hingedeutet hätten.“ Dafür müsste der Macher der Schwarzwälder Fußballschule vielleicht öfters beim Liga-Nachbarn in Cannstatt vorbeischauen.

Für häufige VfB-Beobachter kündigte sich das Tor-Gewitter durchaus an. Nur, dass es so heftig und oft im Freiburger Strafraum einschlagen würde, ließ sich nicht vorhersagen. Selbst Magath war überrascht, in welchem Tempo Tiffert, dann Hleb und als Krönung der Stuttgarter Spielwut Kuranyi das Tor von Richard Golz zur badischen Schießbude degradierten. Nicht einmal der Stadionsprecher konnte dem Jubel-Protokoll folgen; es war ihm kaum möglich, die Geschichte der fantastisch herausgespielten Tore chronologisch nachzuerzählen – schon war das nächste unterwegs. Vom 1:1 zum 4:1 hatte es insgesamt 195 Sekunden gedauert.

Fast genauso schnell wie der Hurrikan „Junge Wilde“ über die dezimierten Freiburger gekommen war, legte er sich wieder. Unter Magath hält sich das Stuttgarter Ensemble nicht lange mit regionalpatriotischen Parolen auf. Von Tiffert wurde zwar der Satz überliefert, „dass es unheimlich geil war, wie Hinkel bei seinem Solo vor dem 4:1 alle Freiburger verarscht hat“. Doch dieses Lob galt der Klasse des Kollegen, es hatte absolut nichts mit der landsmannschaftlichen Rivalität im Südweststaat zu tun.

Die VfB-Profis hakten den Derby-Erfolg und die momentane Tabellenführung als Selbstverständlichkeit ab. Für den Edelreservisten Tiffert etwa ging es nur noch darum, Disziplin („ich war ja schon verwarnt“) vorzuführen. Der zuletzt über die Tribüne in die Stammformation zurückgekehrte Timo Wenzel wollte zeigen, dass er nicht nur ein Ersatzmann ist, sondern zusammen mit mehreren Kollegen den Ausfall der Führungsfigur Bordon kompensieren kann. Und der Rest schonte seine Kräfte, ohne dabei in Gefahr zu geraten.

Wahrscheinlich war es diese Art von rationalem Fußball, die Magath so glücklich machte.

Martin Hägele

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