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Sport: Kraft der Selbstheilung Viele Deutsche finden erst im Nationalteam Ruhe

Wenn Dietmar Hamann etwas wichtig ist – und das ist es ihm gerade –, macht er ein Gesicht, als laufe er barfuß über Scherben. Der Bayer aus Waldsassen wirkt hoch konzentriert.

Wenn Dietmar Hamann etwas wichtig ist – und das ist es ihm gerade –, macht er ein Gesicht, als laufe er barfuß über Scherben. Der Bayer aus Waldsassen wirkt hoch konzentriert. Diese EM in Portugal dürfe nicht wieder in einem Fiasko enden wie die vor vier Jahren. Damals war die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in der Vorrunde gescheitert. Hamann ist einer der wenigen Überlebenden der Ära Ribbeck. Negative Einflüsse kamen damals aus der Mannschaft. Jetzt ist alles anders. Zweifel würde nur die deutsche Öffentlichkeit hegen. Deshalb sagt Hamann: „Wenn wir nicht an uns glauben, wer dann?“

Es muss ja nicht gleich ein Scherbenhaufen sein. Doch woher kommt der Glaube, der den deutschen Spielern vermittelt, dass sie Dinge schaffen können, die unmöglich erscheinen? Es muss eine imaginäre Kraft geben, die an das Unterbewusstsein der Spieler appelliert. Vielleicht ist es ja viel schlichter. In vielen Fällen hat es einfach schon Wunder gewirkt, wenn mental angegriffene Vereinsspieler in den Schoß der Nationalmannschaft kamen. Es ist die Kraft der Selbstheilung.

Auf diese Kraft setzen viele im Team von Rudi Völler. „Wir sind eben noch nicht so gefestigt, wie wir sein sollten“, sagt Hamann. Die jüngste Niederlage gegen Ungarn spiele dabei keine Rolle. Die Ursachen reichen weiter zurück. „Wir haben nur wenige Spieler, die sich im Verein absolutes Selbstvertrauen für das EM-Turnier geholt haben“, sagt Bundestrainer Michael Skibbe. Der Assistent von Teamchef Rudi Völler weiß, wie sehr es so kurz vor dem wichtigen Spiel gegen Holland auf ein intaktes Mannschaftsgefüge ankommt, an dem jeder mitzuwirken habe. „Jeder Spieler hat jetzt die Chance, diese Saison doch noch erfolgreich zu beenden.“

Da ist zum Beispiel Oliver Kahn. Der hat beim FC Bayern seine Unantastbarkeit verloren und will den Verein verlassen. Kann er die Fehlgriffe auf dem Feld und die Turbulenzen im Privaten aus seinem Kopf bekommen? Wie sieht es mit der Stuttgarter Fraktion aus? Kevin Kuranyi und Phillip Lahm scheinen das für sie unglückliche Saisonende verarbeitet zu haben, was aber ist mit Andreas Hinkel und Timo Hildebrand? Wie sehr belastet es die Profis aus Dortmund (Wörns, Frings, Kehl), dass sie von der sportlich enttäuschenden und finanziell klammen Borussia auf dem Transfermarkt feilgeboten werden? Und was ist mit den Stürmern Fredi Bobic und Miroslav Klose? Der eine hat eine unbefriedigende Saison in Berlin hinter sich, der andere hat nach seinem Wechsel von Kaiserslautern nach Bremen eine fast unlösbare Aufgabe vor sich: Wird Klose Torschützenkönig Ailton beim Meister ersetzen können?

Rudi Völler weiß, wie sehr eine ungeklärte berufliche Perspektive belasten kann. Aber er weiß auch um die Heilkraft – die Nationalmannschaft als Hort sozialer Wärme, in dem die Spieler zur Ruhe kommen. Natürlich sei das Auswahlteam kein Paradies, in dessen Glückseligkeit alle Probleme ausgeblendet werden, sagt Völler. Aber: „Jeder hilft hier jedem“, sagt Christian Ziege, der wegen seiner integrativen Kunst nachnominiert worden war. „Jeder redet den anderen stark – die Stammspieler jene, die Ersatz sind, und umgekehrt.“

Bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren in Japan und Südkorea konnte sich Völler auf eine funktionierende Solidargemeinschaft verlassen. Dietmar Hamann will in den vergangenen Tagen einige Fortschritte festgestellt haben. Bei der WM hätten einige seiner Mitspieler in einer ähnlichen Situation gesteckt. Trotzdem habe das Team eine schwierige Vorrunde überstanden und in der anschließenden K.o.-Runde gezeigt, „dass wir jeden schlagen können“. So viel Glaube war selten.

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