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Entfernte Bekannte. Thomas Kraft (l.) und Rune Jarstein sollen sich gegenseitig anspornen.

© Ottmar Winter

Kraft, Jarstein, Gersbeck: Hertha BSC hat ein Luxusproblem im Tor

Es ist noch gar nicht lange her, da kam bei Hertha BSC auf der Torwartposition hinter Thomas Kraft wenig. Durch die Verpflichtung von Rune Jarstein und den starken Auftritt von Marius Gersbeck in Dortmund hat sich das mittlerweile geändert.

Dieser Schuss würde kein leichter werden. So viel war klar. Ronny legte den Ball auf den Elfmeterpunkt, ging zehn Meter zurück und lief an. Mit seinem starken linken Fuß wuchtete der Brasilianer den Ball in die rechte Ecke, doch Thomas Kraft schnellte ebenso wuchtig in die Flugbahn und faustete den Ball zur Seite. Besser hätte das Trainingslager in Belek für den Torhüter von Hertha BSC gar nicht anfangen können. Der erste Schuss auf sein Tor – und gleich die erste Glanzparade. Die 30 Anhänger des Berliner Fußball-Bundesligisten auf der kleinen Sitzplatztribüne spendeten Szenenapplaus.

Im Laufe der Hinrunde sind ein paar Zweifel an Thomas Kraft aufgekommen. Im Herbst, bei den Niederlagen gegen Bayern und Schalke, wirkte er in der Strafraumbeherrschung nicht entschlossen genug; auch seine fußballerischen Fertigkeiten werden oft kritisch gesehen. Vor diesem Hintergrund ist es schon eine interessante Geschichte, dass Hertha im Dezember einen neuen Torhüter verpflichtet hat – und zwar keine klassische Nummer zwei ohne großen persönlichen Ehrgeiz, sondern den norwegischen Nationaltorhüter Rune Jarstein. Einen Torhüter, von dem Trainer Jos Luhukay sagt: „Er ist ein erfahrener Mann, der weiß, was er will.“ Dauerhaft auf der Bank sitzen ganz sicher nicht.

Muss Thomas Kraft sich also ernsthaft um seinen Stammplatz sorgen? „Thomas ist ganz klar unsere Nummer eins“, sagt Richard Golz, der seit dem Sommer Herthas Torhüter trainiert. „Wir sind fest von ihm überzeugt und zweifeln nicht an ihm.“ Genau so habe man das auch Jarstein mitgeteilt. Den 29 Jahre alten Norweger hat das trotzdem nicht abgehalten, bei Hertha einen Vertrag bis zum Sommer 2016 zu unterschreiben.

Gerade für die Berliner, die jede Investition doppelt und dreifach prüfen müssen, ergibt sich dadurch eine unglaublich luxuriöse Situation. Kein anderer Bundesligist leistet sich einen Ersatztorhüter, der in seiner Nationalmannschaft als Nummer eins gesetzt ist. Dass Jarstein ablösefrei zu haben war, hat die Verpflichtung natürlich wesentlich erleichtert. „So eine Gelegenheit bekommt man wahrscheinlich kein zweites Mal“, sagt Luhukay. „Das mussten wir einfach machen.“

Zumal Hertha auf der Torhüterposition nicht gerade glänzend aufgestellt war. Die Berliner sind mit drei Torhütern in die Saison gegangen, von denen keiner älter als 25 war. Selbst Kraft als Nummer eins konnte auf die Erfahrung von gerade 46 Bundesligaspielen verweisen, Sascha Burchert ist bisher fünf Mal in der Bundesliga zum Einsatz gekommen, Philipp Sprint kein einziges Mal. „Wir haben in unserem Portfolio jetzt ein bisschen mehr Erfahrung“, sagt Torwarttrainer Golz.

Sascha Burchert dürfte nach seiner Genesung keine große Rolle mehr spielen

Die gesamte Mischung wirkt jetzt sehr viel schlüssiger. Da ist Kraft als klar definierte Nummer eins, Jarstein als sein Vertreter, den man nicht nur im Notfall bedenkenlos einsetzen kann, sondern der auch alles dafür tun wird, um auf Dauer mehr zu sein als Ersatz. Und hintendran hat Hertha mit dem 18-jährigen Marius Gersbeck nun auch noch einen überdurchschnittlich talentierten Nachwuchsmann, der perspektivisch durchaus eine große Nummer werden kann. Mit seinem Bundesligadebüt zum Hinrundenabschluss hat Gersbeck, der gestern Nachmittag wegen Knieproblemen das Training abbrechen musste, in der Torhüterhierarchie einen deutlichen Satz nach vorne gemacht.

Der junge Mann ist nach dem 2:1 gegen die Borussia ausgiebig gefeiert worden – völlig zu Recht, wie Richard Golz findet. „Das war top“, sagt er über Gersbecks Debüt. Schon beim Warmmachen hatte Herthas Torwarttrainer „ein richtig gutes Gefühl“, und als Gersbeck dann auch noch einen Flugball „mit seinem zweitbesten Fuß über 50 Meter geschlagen hat, der mir genau auf die Brust fällt“, da waren auch die letzten Zweifel beseitigt. „Er ist einfach ein Eisvogel“, sagt Golz.

An Philipp Sprint, der gerade in die U 23 zurückversetzt wurde, ist Gersbeck schon vorbeigezogen; an Burchert vermutlich auch. Die bisherige Nummer zwei fehlt in Belek wegen einer Sprunggelenksverletzung; dass Burchert nach seiner Genesung noch einmal eine wesentliche Rolle bei Hertha spielen wird, ist eher unwahrscheinlich. Burchert hat sich nie entscheidend nach vorne entwickelt; für Thomas Kraft hat er ebenso wenig eine Herausforderung dargestellt wie Philipp Sprint. Das ist jetzt anders. Der Konkurrenzkampf ist deutlich schärfer geworden, die Qualität insgesamt hat zugenommen. „Ich glaube schon, dass das leistungsfördernd ist“, sagt Richard Golz.

Das Risiko, dass Kraft Jarsteins Verpflichtung vor allem als Misstrauensvotum verstehen könnte, hat Herthas Trainerteam dabei bewusst in Kauf genommen. Indizien dafür gibt es bisher nicht. Golz hat nicht das Gefühl, dass sich die Stimmung in seiner Lerngruppe verschlechtert hat. „Man merkt schon, dass die Kollegen sich kritisch beäugen und gegenseitig scannen“, sagt er. „Aber sie sind alle sehr bemüht, positiv miteinander umzugehen. Sie unterstützen sich im Training, loben sich.“ Zu viel Freundschaft sei allerdings auch nicht produktiv, findet Golz: „Man muss schon gesteigertes Interesse haben, besser zu sein als der Konkurrent. Wenn man zu freundlich ist, kann man sich gegenseitig auch nicht pushen.“

Allzu groß ist diese Gefahr bei Hertha vermutlich nicht.

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