zum Hauptinhalt
309616_0_0b648948.jpg

© dpa

Krankheit im Leistungssport: Das Tabu gebrochen

Auch Fußballprofis leiden unter Depressionen. Nicht alle haben die Kraft, das öffentlich zu machen.

Der Fall Robert Enkes, seine Selbsttötung auf einem Bahndamm bei Hannover, erschüttert nicht nur die Welt des Fußballs. Und nicht nur weil Enke ein Prominenter ist, löst sein Tod eine gesellschaftliche Diskussion über seine Krankheit aus. Sondern auch, weil er ein Fußballer ist. Depressionen im Profifußball – das ist ein Tabuthema.

Einer hat dieses Tabu gebrochen: Sebastian Deisler. Der frühere Spielmacher der Nationalmannschaft hat seine Erkrankung im Herbst 2003 bekannt gemacht, er hat gesprochen über seine Leiden und seinen Umgang damit. „Ja, ich bin krank, ich leide an Depressionen“, hatte er gesagt und eine staunende und fragende Öffentlichkeit zurückgelassen. Deisler hatte damals den Mut aufgebracht, seine Krankheit öffentlich zu machen und damit auch den Druck aufzuzeigen, unter dem er steht. Und der damals 23-Jährige hat die Kraft aufbringen wollen, mit dieser Krankheit umzugehen. Auch Jan Simak tat das, auch er ein Fußballprofi aus Hannover, der einer Krankheit mit ganz ähnlichen Symptomen nicht davonrannte, selbst wenn er ins Ausland wechselte. Nicht wenige haben damals von einem „Pflegefall“ gesprochen, und es klang nicht so, als wäre es fürsorglich gemeint.

Robert Enke, 32, hatte die Kraft nicht aufbringen können, den Ausweg eines öffentlichen Umgangs hat er nicht gefunden. Vielleicht war es auch keiner für ihn.

Sebastian Deisler hat über die Krankheit seine Gesundheit und seinen Beruf verloren. Von Frau und Kind lebt er getrennt. Noch Jahre danach ist er dabei, vollständig gesund zu werden. Enke hat sein Leben verloren. Selbstgewählt. Aber was heißt schon – selbstgewählt?

Profifußball ist ein Männergeschäft, eine Mannschaft ist eine Leistungszelle, in der Mitgefühl oder Fingerspitzengefühl nicht in einem notwendigen Maße zu erwarten ist. Dort drohen Ansehens- und Jobverlust. Diese Ängste sind bisweilen größer als die inneren Qualen wie Freud- und Antrieblosigkeit. Betroffene überkommt das Gefühl, die Kontrolle über ihren Lebenslauf zu verlieren. „Ich war leer, ich war müde, ich habe Krieg geführt gegen mich. Am Ende war es nur noch eine Qual. Ich musste mich irgendwie retten, um mich nicht ganz zu verlieren.“ Das sind Sätze von Sebastian Deisler.

Auch Robert Enke wirkte oft ernsthaft, wenn auch nicht so verschlossen. Aber dass er krank war, wussten nur wenige. Während eines Interviews im vergangenen Jahr fragte ihn ein Reporter danach, ob es schwer sei, als sensibler Mensch Fußballprofi zu sein. Enke wies es damals von sich, besonders sensibel zu sein, vielleicht, weil er wusste, dass ihm das Häme einbringen könnte in einem Sport, in dem es als unmännlich gilt, eine Schwäche zu zeigen. Auch einen Vergleich mit Sebastian Deisler, dem Fußballprofi, dessen Karriere ähnlich unterbrochen wurde von Verletzungen, der bekannte depressiv zu sein und seine Karriere beendete, lehnte er grundweg ab. Enke sagte damals: „Der Fall Sebastian Deisler ist ein komplett anderer, ich habe keine Depressionen und kein Burn-Out.“

Mit dem Suizid ist Robert Enke wohl dem völligen Zusammenbruch seines inneren Selbstwertgefühls zuvorgekommen. Er wählte die größtmögliche Aggression gegen sich selbst. In einem Brief hat er sich entschuldigt für seine Tat, entschuldigt für seine jahrelange und bewusste Täuschung über seinen seelischen Zustand. Muss er das?

Tagesspiegel-Redakteur Michael Rosentritt ist Autor des Buches „Sebastian Deisler. Zurück ins Leben“, das gerade im Edel-Verlag erschienen ist. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false