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Sport: Krieg den Hütten, Friede den Stadien

WM-Ausrichter Brasilien hat noch viele Probleme zu lösen – nicht nur in den geräumten Favelas gärt es

Täglich kommen Touristen, um das Maracana-Stadion zu bewundern. Schon die imposante Silhouette zwischen den mehrgeschossigen Wohnhäusern in Rio de Janeiros nördlichem Stadtteil Grande Tijuca beeindruckt. Der Besuch selbst enttäuscht aber: Viel mehr als eine staubige Baustelle bekommen Neugierige derzeit nicht zu sehen. Denn seit zehn Monaten sind die Umbauarbeiten für die WM 2014 im Gange. Umgerechnet vier Euro kostet der Blick in die legendäre Fußballarena, in dem 1950 Brasilien gegen Uruguay vor 200 000 Zuschauern das WM-Endspiel 1:2 verlor. Hier soll nach Ansicht vieler Brasilianer 64 Jahre später ihre Nationalelf die historische Schmach wieder gut machen. Viel Zeit für den Umbau bleibt nicht mehr. Schon in zwei Jahren soll hier der Confederations-Cup ausgetragen werden.

Eine Flugstunde südlicher in Sao Paulo macht sich unter Fußballmanagern Frust breit. Denn der Weltverband Fifa hat die Metropole als Austragungsort des Confed-Cups gestrichen. Grund: Das Stadion werde nicht rechtzeitig vor dem Turnier 2013 fertig. Erst seit Ende Mai rollen die Planierraupen im Stadtteil Itaquera, damit in drei Monaten die Stahlbetonkonstruktion hochgezogen werden kann.

„Brasilien riskiert sich vor aller Welt zu blamieren“, warnte Fußballlegende Pelé seine Landsleute bereits Anfang des Jahres. Der frisch gewählte Abgeordnete Romario, Star der WM 1994, forderte Anfang Juni, Verbandschef Ricardo Teixeira solle in einer parlamentarischen Ausschusssitzung vorgeladen werden. „Ich sage nicht, dass es eine Mafia ist. Aber unser Fußball wird von Funktionären geführt, die Vetternwirtschaft betreiben und nicht transparent arbeiten“, sagte Romario vor laufenden Fernsehkameras.

Über die Verzögerungen schütteln auch Architekten und Ingenieure auf den Baustellen nur ihre Köpfe. Sie sind verblüfft über den fehlenden Enthusiasmus. „In Südafrika hat eine Nation für die WM gelebt. In Brasilien scheinen alle nur auf den anderen zu warten“, sagen sie und wollen nicht namentlich genannt werden. Es fehlten klare Entscheidungsstrukturen und Zuständigkeiten. Die Stadionbauer verweisen mit bedenklicher Miene auf den engen Terminkalender: „Wir haben noch Zeit, aber es wird verdammt eng.“

Erstmals haben sich die Vereinten Nationen zu den Bauarbeiten geäußert. Denn aufgrund des Umbaus der Areale um die Stadien herum kommt es offenbar zu illegalen Räumungen von Wellblechhütten und selbstgemauerten Häusern. Die Bauherren würden dadurch grundlegende Menschenrechte verletzen, sagt UN-Sonderberichterstatterin Raquel Rolnik. Konkrete Zahlen kann Rolnik allerdings nicht vorweisen. „Genau da liegt ja das Problem der Räumungen: Es gibt niemanden, der sich in Brasilien um diese Menschenrechtsverletzungen kümmert.“ Die Siedlungen müssen neuen Straßen, Parkplätzen und Sportanlagen weichen. Allein in Rio de Janeiro seien bislang 22 Armenviertel von Abrissarbeiten betroffen. Die Professorin für Stadtentwicklung erhält fast täglich Eingaben von Anwohnern vor allem aus dem südöstlichen Teil Brasiliens, also den wichtigsten Austragungsorten wie etwa Belo Horizonte, Rio de Janeiro oder Sao Paulo.

Betroffen sind auch die Menschen der „Vila do metrô“, einer Favela wenige Gehminuten vom Maracana-Stadion entfernt. Sie liegt direkt zwischen einer viel befahrenen Straße und einer Bahnstrecke – kein Ort, an dem Menschen leben möchten. Doch die dort leben haben meist keine Wahl, ihr Einkommen ist zu niedrig. Seit Monaten schwelt der Konflikt. Teilweise wurden Familien aus ihren eigenen vier Wänden vertrieben, ihre Häuser von Bauarbeitern mit Baggern abgerissen. Die Bürgerschutzbehörde stoppte die Räumungen aufgrund fehlender richterlicher Anweisungen. „Ich habe über derartiges Vorgehen keinerlei Informationen“, sagte ein Sprecher des Bürgermeisters Eduardo Pães.

Auch die Gewalt beunruhigt die Einwohner. Keine andere Metropole auf der Welt beklagt so viele Gewaltopfer: 2010 starben nach Angaben des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit 4768 Menschen im Kugelhagel. Immerhin 1000 Tote weniger als vier Jahre zuvor. Vor allem die neue Sicherheitsstrategie macht Governeur José Cabral für diesen „Teilerfolg“ verantwortlich. Wurden die Armenviertel während der Panamerikanischen Spiele 2007 noch für wenige Wochen militärisch besetzt und dann wieder Drogenbaronen und korrupten Polizisten überlassen, werden seit 2009 ganze Gebiete dauerhaft unter staatliche Kontrolle gebracht. Hauptbestandteil sind so genannte Unidades de Polícia Pacificadora (UPP), Polizeiwachen, die inmitten der Armutsviertel die organisierte Kriminalität zurückdrängen sollen. Zur WM 2014 sollen 40 UPPs und 12 000 Polizisten insgesamt 173 Favelas kontrollieren.

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