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Sport: Künzer kann’s

Von Helen Ruwald Berlin. Ob der neugierige Herr ein Frauenfußball-Fan ist, ist unbekannt.

Von Helen Ruwald

Berlin. Ob der neugierige Herr ein Frauenfußball-Fan ist, ist unbekannt. Vielleicht geriet er auch nur zufällig an einen Text über die Fußballerinnen des 1. FFC Frankfurt. Beim Lesen interessierten ihn Tore von Weltklassespielerin Birgit Prinz und Siege in Serie des Deutschen Meisters und Pokalsiegers allenfalls am Rande. Fasziniert war er vielmehr vom Vorn von Mittelfeldspielerin Künzer: Nia. Der Herr, ein Sprachforscher, rief die Mutter der deutschen Nationalspielerin an, um sich mit ihr über die Herkunft des Namens zu unterhalten. Nia Künzer wurde in Botswana geboren, wo ihre Eltern Entwicklungshelfer waren, der Name „bedeutet ’ich will’ oder ’ ich kann’“, sagt die 22-jährige Frankfurterin, die heute mit ihrem Klub im DFB-Pokalfinale im Berliner Olympiastadion gegen den Hamburger SV (16.15 Uhr, live im ZDF) der große Favorit ist.

Der Name ist ungewöhnlich, Künzers Lebensgeschichte auch. Mit 19 wurde sie Spielführerin beim 1. FFC, sie, die Junge, Unerfahrene, nicht die mehrfache Europameisterin Birgit Prinz, „das war anfangs schon ein komisches Gefühl“. Durchsetzungsvermögen und Teamgeist hat sie früh gelernt: ihre Eltern waren nach der Rückkehr aus Afrika Pflegeeltern im Albert-Schweitzer-Kinderdorf bei Wetzlar. Nia wuchs mit einem leiblichen Bruder und sieben Pflegegeschwistern auf. „Als Zweitjüngste lernt man sich durchzusetzen gegen die älteren“, erzählt die Pädagogikstudentin. Sie kickte zuhause mit den vier Brüdern und später im Verein, „jetzt bin ich die einzige, die noch spielt“. Was so selbstverständlich nicht ist: Mit 16 zog sie sich Kreuzbandriss Nummer eins zu, mit 18 Nummer zwei. Beide Male im linken Knie. „Da denkt man dann erst einmal, das war es“, erinnert sich Nia Künzer. Zwei so schwere Verletzungen in jungen Jahren bedeuten oft das Aus der Karriere, bevor sie angefangen hat. Nicht bei Nia Künzer, die sich in monatelanger Schinderei wieder herankämpfte. Die U20-Nationalmannschaft spielte in ihren Gedanken lange keine Rolle mehr, die Ziele wurden bescheiden. „Man will ohne Krücken wieder laufen können, dann joggen, dann Fußball spielen.“

Sie biss sich durch, wurde seit 1999 jährlich Deutscher Meister und Pokalsieger, schoss vor drei Jahren im Pokalfinale sogar das Siegtor. In diesem Jahr ist Frankfurt der Meistertitel allenfalls rechnerisch noch zu nehmen, und das Pokalfinale wird voraussichtlich ein Spiel auf ein Tor. Aufsteiger HSV hat im Halbfinale zwar den Tabellenzweiten Turbine Potsdam ausgeschaltet, aber kurz vor Ende der Bundesligasaison erst ein Spiel gewonnen. In zwei Wochen steht Künzer mit Frankfurt im Uefa-Cup-Finale gegen Umea IK aus Schweden. In der Nationalmannschaft „durfte ich die letzten Spiele von Anfang an spielen, Stammspielerin bin ich noch nicht“. Die EM 2001, bei der Deutschland in Ulm den Titel gewann, erlebte sie nur als Expertin des ZDF. Im letzten Bundesligaspiel der Saison unmittelbar vor der EM zog sie sich einen Bänderanriss im Sprunggelenk zu. Für Nia Künzer eine banale Verletzung, eigentlich, „aber das waren eben die entscheidenden zwei Wochen“.

Den Spähern der nordamerikanischen Profiliga ist sie dennoch aufgefallen, San Diego Spirit machte ihr im Januar ein Angebot. Künzer lehnte ab, ihr Vertrag läuft bis Juni, die Saison in den USA hat längst begonnen. Auch Birgit Prinz und die langjährige Nationalspielerin Steffi Jones wechseln erst im Mai von Frankfurt in die USA, doch deren Chance, sich mitten in der Saison dort zu etablieren, schätzt Künzer als höher ein. „Die sind ein anderes Kaliber.“ Noch. Wenn die beiden Stars Frankfurt verlassen haben, wird Künzer noch mehr Verantwortung tragen und mehr im Blickpunkt stehen. Wenn das Knie hält, ist das nächste Angebot aus den USA nur eine Frage der Zeit. Dann wird der unbekannte Sprachforscher vielleicht wieder einen Artikel mit Künzers Namen entdecken. Begeistert dürfte er sein, wenn dort auch der zweite Vorname der 22-Jährigen genannt wird: Tsholofelo. Das heißt Hoffnung.

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