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Teddy an der Kugel. Ralf Bartels, 32, ist der erfahrenere der beiden deutschen Kugelstoßer. Er fährt als Mitfavorit zur Europameisterschaft nach Barcelona, während der erst 20-jährige David Storl vor allem Erfahrungen sammeln soll. Foto: dpa

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Kugelstoßen: Bartels und Storl: Geliebte Gegner

Der erfahrene Kugelstoßer Ralf Bartels und sein junger Kollege David Storl treiben sich gegenseitig an. Konkurrenz belebt den Wettkampf.

Vor dem fünften Versuch krempelte David Storl seine Hose hoch, bis knapp übers Knie; es wurde ernst. Vier Versuche lang hatte er die hautenge Hose bis fast zu den Knöcheln gezogen. Das kümmerliche Zwischenergebnis: Fehlversuche und ein lächerlicher Stoß knapp über 19 Meter. Hose hoch, das wirkte wie eine Botschaft: Angriff. Fünfter Versuch, schnelles Angleiten, 20,45 Meter, die Führung im Kugelstoßen bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Braunschweig.

Vor dem fünften Versuch schob sich Ralf Bartels mit seinem massigen Bauch regelrecht zum Ring. Er wirkte wie eine mächtige Bugwelle. Auch für ihn wurde es ernst. Vier Versuche lang hatte er eher tapsig und verunsichert ausgesehen. Vier Versuche lang hatte er nichts zustande gebracht, 19,85 Meter, das war noch das Beste. Aber jetzt wuchtete er die Kugel mit enormer Dynamik in den Rasen. 20,54 Meter, die Führung, die Antwort auf Storl.

Es blieb dabei, Titel für Bartels, Platz zwei für Storl. „Ich muss mich bei David bedanken, dass er mich noch so gefordert hat“, sagte Bartels später, und Storl erklärte: „Ich muss mich bei Ralf bedanken, dass er mich so gepusht hat. Nach dem zweiten Versuch hatte ich eigentlich keine Lust mehr.“ Sie brauchen sich eben gegenseitig, seit einiger Zeit schon. Aber selten wurde es so deutlich wie in Braunschweig. Es ist die alte Geschichte von den Revierkämpfen; der Junge fordert den Alten heraus, beide treiben sich gegenseitig zur bestmöglichen Leistung. „Ich will nicht sagen, dass ich David führe, aber ein bisschen helfe ich ihm schon“, sagt Bartels. „Er ist ein Konkurrent, er fordert mich, das ist gut, aber wir kommen miteinander aus.“ Bartels wiegt über 130 Kilogramm, aber er hat ein konturenloses, rundes Gesicht, er strahlt das Weiche eines Teddybären aus, auch noch als 32-Jähriger. Storl ist gerade 20, sein Gesicht erinnert an das eines Teenagers, der Bammel vor der ersten Tanzstunde hat. Sie sind nicht die Typen, die aggressiv streiten.

Doch Storl ist U-20-Weltrekordler, der Nachwuchs-Bundestrainer hat ihn mal als „Jahrhunderttalent“ bezeichnet, er ist gefährlich für Bartels Dominanz. Bartels ist Europameister, aber das hilft ihm nichts im Kampf um die nationale Vorherrschaft. „David spielt eine sehr große Rolle für Ralf“, sagt Bartels Trainer Gerald Bergmann. Er nutzt das geschickt aus, mit Storl provoziert er seinen Athleten.

Bei der WM 2009, als Storl zum ersten Mal auf alle Weltklasse-Hünen traf, da hatte Bartels zu ihm gesagt: „Storli, das ist hier kein Jugendwettbewerb. Hier gehen ganz andere Kaliber an den Start als bei einer U-20-WM.“ Storl scheiterte nervlich völlig überfordert in der Qualifikation, Bartels holte Bronze. Das ist noch der Unterschied. „Aber für David war das ein wichtiger Schritt auf dem Weg, ein toller Athlet zu werden“, sagt Bartels in Braunschweig. „Die Gelassenheit von Ralf fehlt mir noch“, erwidert Storl.

Sie fahren beide zur EM, Storl, um zu lernen, Bartels, um eine Medaille zu gewinnen. Er hat in diesem Jahr 21,14 Meter gestoßen, aber das war schon im Mai. Seither kämpft er um seine Form. „Ich muss noch mehr Konstanz bekommen“, sagt Bartels. Trotzdem gehört er zum Kreis der deutschen Medaillen-Kandidaten, in dem auch Robert Harting (Diskus), Christian Reif (Weitsprung) oder Carolin Nytra (Hürdensprint) stehen. Gestern wurde das EM-Aufgebot bekannt gegeben (siehe beistehenden Kasten).

In ein paar Jahren wird auch Storl in den Favoritenkreis stoßen. Bis dahin wird er noch einiges von Bartels lernen, sehr zur Freude eines älteren Herrn. Der hat sich bereits bei Bartels gerührt dafür bedankt, dass die beiden starken Männer nicht streiten. Es war Großvater Storl.

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