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Sport: Kunst oder Kampf

Im ersten Halbfinale der Champions League trifft Real Madrid auf Juventus Turin – zwei Teams, die unterschiedlicher nicht sein könnten

Madrid. Der Unterschied zwischen den Champions League-Halbfinalgegnern Juventus Turin und Real Madrid (Dienstag 20.45 Uhr, live auf Premiere) lässt sich in Zahlen ausdrücken. Um im Viertelfinale den FC Barcelona auszuschalten, brachten es die Italiener in zwei Spielen plus halbstündiger Nachspielzeit insgesamt auf 3:2 Tore. Sie erzielten alle ihre Treffer aus Einzelaktionen heraus. Die Madrilenen hingegen gelangten gegen Manchester United zu einem variantenreich herausgespielten Gesamtergebnis von 6:5 – und sie trugen zu dieser Bilanz sogar noch zwei Eigentore bei.

Vor allem aber wurde in diesen Begegnungen klar: Die Italiener laufen und kämpfen wie die Berserker, um das Spiel ihrer Gegner zu zerstören. Ihr oberstes Ziel lautet: Nur selbst keinen Treffer hinnehmen. Bei den Spaniern wiederum gilt der Grundsatz: Ball und Gegner laufen lassen. Für sie ist nicht so wichtig, den eigenen Kasten sauber zu halten, als vielmehr selbst möglichst oft zu treffen. Kurzum, zwei Fußballkulturen prallen da aufeinander, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten.

Juventus ist ein massiver Abwehrblock, der sich drei vorgeschobene Außenseiter leistet – gewöhnlich Nedved, Del Piero und Trezeguet. Man lässt den Gegner anrennen, versucht erst gar nicht, die Initiative zu ergreifen, also das Mittelfeld zu besetzen - und spekuliert darauf, durch vereinzelte Partisanenaktionen doch zu dem einen oder anderen Torerfolg zu gelangen.

Real Madrid ist ein Angreiferensemble bis hinein in die eigene Abwehr: die Außenverteidiger Michel Salgado und vor allem Roberto Carlos agieren bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Flügelstürmer. Und ob das Spiel für diese Elf läuft, entscheidet sich vor allem im Mittelfeld. Die Kernfrage lautet stets, ob es gelingt, den Ball in den eigenen Reihen zu halten und ihn über viele Stationen geduldig zirkulieren zu lassen, bis sich doch einmal eine Lücke in der gegnerischen Abwehr auftut.

Ein solches Spiel erfordert: absolute Ballbeherrschung jedes einzelnen Spielers, viel Phantasie und enorme Konzentration. Im Grunde haben Zidane, Figo, Guti, Makelele (Raul ist derzeit verletzt) & Co. gegenwärtig nur einen ernst zu nehmenden Gegner: sich selbst. Das hat das 1:5 gegen Real Mallorca am Samstagabend eindrucksvoll bestätigt.

Am Ball können die Kicker von Real Madrid alles, was man können muss – erwischen sie aber einen schlechten Tag, manifestiert sich das in Fehlpässen im Spielaufbau: die eigene Abwehr wird dann entblößt und Ronaldo verhungert als Sturmspitze. Der Brasilianer ist zwar die Figur, um die der meiste Medienrummel inszeniert wird – doch in Wahrheit kann er an technischer Finesse und vor allem an Spielintelligenz mit etlichen seiner Mitspieler nicht mithalten. Er ist darauf angewiesen, mit präzisen Pässen in den freien Raum in Front gebracht oder am Strafraum durch schnelle, den Gegner verwirrende Kombinationen freigespielt zu werden. Sein Torinstinkt erweist sich häufig als phänomenal – doch zur Spielgestaltung trägt er (im Gegensatz zum gleichfalls als Torjäger bewährten Raul) faktisch nichts bei. Bleibt er auf sich allein gestellt, so kann man ihn vergessen. Raul kann im Gegensatz zu Ronaldo auch an schlechten Tagen ausgeglichene Spiele allein entschieden.

Da er gegen Juventus nicht dabei sein kann, werden die Madrilenen nun wohl vor allem auf einen Ex-Juve-Spieler setzten: den Franzosen Zinedine Zidane, der technisch ebenso wie als Spielgestalter wohl völlig zu Recht als bester Spieler der Welt gilt. So richtig zum Ausdruck kommt das allerdings erst, seit er im Verbund mit anderen absoluten Weltstars bei Real Madrid jenes kreative, aus immer wieder verblüffenden Detailkunststücken zusammengefügte Offensivspiel aufziehen kann, das man im rein ergebnisorientierten italienischen Fußball für verzichtbaren Luxus hält. Zidanes Ehrgeiz ist gewiss groß, seinen ehemaligen Arbeitgebern zu beweisen, dass schöner Fußball letztlich auch erfolgreich sein kann – und stilvoll.

Mit diesem Wunsch steht der große Künstler des Fußballs keineswegs allein. Johan Cruyff, als ehemaliger Spieler und Trainer des FC Barcelona von Natur aus absolut kein Real-Madrid-Anhänger, macht keinen Hehl daraus, für wen er in diesem Spiel die Daumen drückt: „Da drei italienische Mannschaften im Halbfinale stehen, führt kein Weg daran vorbei, dass zumindest eine von ihnen ins Finale gelangt. Das allein ist schon schlecht für den Fußball, wie ich ihn mir vorstelle. Ein Gekicke, bei dem nur das Resultat zählt, darf nicht auch noch mit Erfolg belohnt werden.“

Harald Irnberger

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