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Sport: La Ola auf der Ersatzbank

Von Stefan Hermanns Miyazaki. Die Akklimatisation ging erstaunlich rasch und problemlos vonstatten.

Von Stefan Hermanns

Miyazaki. Die Akklimatisation ging erstaunlich rasch und problemlos vonstatten. Gerhard Mayer-Vorfelder war am Sonntag mit der Nationalmannschaft in Miyazaki eingeflogen, und nicht einmal 24 Stunden später hatte ihn der Geist des Ortes bereits überwältigt. In der täglichen Pressekonferenz referierte der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes eine halbe Stunde lang seine Sicht der Dinge, und seine Sicht der Dinge ist vor allem positiv.

Intrigen in der Fifa-Spitze, Machtkämpfe beim Weltverband, Probleme mit den Finanzen? Alles wird gut, verkündete Mayer-Vorfelder. Und natürlich gilt das auch für die deutsche Nationalmannschaft. Aber was heißt: wird? Alles ist gut. Ein wenig scheint es in diesen Tagen und Wochen, als habe das japanische Grundbedürfnis nach Harmonie auch den Tross des DFB ergriffen. Und der Sieg gegen Saudi-Arabien zum Auftakt der Weltmeisterschaft hat das allgemeine Wohlbefinden nur noch verstärkt. Selbst Mayer-Vorfelder ist das in der Kürze der Zeit bereits aufgefallen.

Es hat schon andere Situationen in der langen WM-Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes gegeben. Die Legende von den elf, respektive inzwischen dreiundzwanzig Freunden, die gemeinsam singend ins Stadion fahren, ist längst als schöne Erfindung entlarvt. In einem WM-Kader gibt es realistisch betrachtet immer zwölf Unzufriedene: die zwölf, die nicht spielen. 1962 in Chile zertrümmerte Hans Tilkowski das Mobiliar seines Zimmers, nachdem er erfahren hatte, dass er von Bundestrainer Sepp Herberger nicht ins Tor gestellt werden würde. 1986 in Mexiko stritten die Spieler des 1. FC Köln und des FC Bayern München um die Vorherrschaft im Team, und 1994 legte Mario Basler eine derart demonstrative Unlust an den Tag, dass der DFB nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, um den unzufriedenen Reservisten in die Heimat zurückzuschicken.

In diesem Jahr sind solche Ausfälle nicht zu befürchten. Rudi Völler hat schon bei der Auswahl seiner Kadermitglieder nicht nur deren fußballerische Fähigkeiten berücksichtigt, sondern auch die soziale Kompetenz. Deshalb hat der Teamchef sich beispielsweise für Heinrich statt Böhme entschieden und für Butt statt Rost. Und Völlers Konzept scheint zu funktionieren.

Dass die Mannschaft, vom Sonderfall Oliver Kahn abgesehen, keine Stars besitzt, ist längst zum Vorteil umdefiniert worden. „Eine sehr homogene Truppe“ hat der DFB-Präsident Mayer-Vorfelder in Miyazaki angetroffen, eine Mannschaft, „die sich auch im Quartier durch eine Geschlossenheit auszeichnet, in der es nicht irgendwelche Stars gibt und in der keine Extravaganzen gefragt sind". Ein wenig erinnert das an die Europameisterschaft 1996, das letzte erfolgreiche Turnier der deutschen Nationalelf, als Bundestrainer Berti Vogts die gesamte Mannschaft zum Star erhob. Doch damals gab es immerhin noch Matthias Sammer, Jürgen Klinsmann und Thomas Helmer, die auf und neben dem Platz eine Führungsrolle ausfüllten. Im aktuellen Kader fehlen solche Typen. „Wir haben keinen Superstar“, sagt Jens Jeremies, „wir haben vielleicht Spieler, die es werden können." Eine echte Zerreißprobe hat das Band der Harmonie, das die Truppe zusammenhält, noch nicht erfahren. Bundestrainer Michael Skibbe sagt, dass „Unzufriedenheit bei keinem erkennbar ist, auch im Ansatz nicht". Die Ersatzspieler könnten auch nur schwer argumentieren, dass sie die Sache gegen Saudi-Arabien besser gemacht hätten als die, die auf dem Platz standen. „Es gibt für den Teamchef keinen Grund, die erfolgreiche Mannschaft zu ändern“, sagt Jeremies vor dem morgigen Spiel gegen die Iren (13.30 Uhr, live im ZDF). „Deswegen gehe ich davon aus, dass ich auf der Bank sitzen werde.“ Dass das Team gegen Saudi-Arabien (8:0) derart erfolgreich war, muss nicht bedeuten, „dass es nicht die eine oder andere Veränderung geben kann“, sagt Skibbe.

Es muss aber auch nicht bedeuten, dass es eine Veränderung gibt; entscheidend ist letztlich nur, dass keiner das Gefühl hat, er habe überhaupt keine Chance. Oliver Bierhoff zum Beispiel ist es nicht leicht gefallen, seine Rolle als Ersatzspieler zu akzeptieren, aber - sagt Völler - „der Olli wird immer wieder seine Chance bekommen". Kimochi nennen die Japaner das Gefühl des gemeinsamen Wohlbehagens, von dem längst die Nationalmannschaft befallen ist. Wichtig ist dem Japaner, sich selbst nicht in den Vordergrund zu schieben. Jeremies sagt: „Wir haben nur eine Chance, wenn wir alle zusammenhalten."

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